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AKADEMIE
06.12.2020

Mein TSG-Moment (15): Kai Kraft und der letzte Arbeitstag

Der Fußball steckt voller Emotionen, vor allem, wenn der eigene Verein beteiligt ist. In unserer Serie „Mein TSG-Moment“ blicken aktuelle und ehemalige Mitarbeiter, Trainer und Spieler der Akademie auf ihre ganz besonderen Momente mit der TSG zurück – ob als aktiv Beteiligte oder als Zuschauer. Heute: Kai Kraft. Der aktuelle Athletiktrainer von RB Leipzig arbeitete acht Jahre für die TSG-Akademie. Unvergesslich für ihn: Sein emotionsgeladener letzter Arbeitstag.

»Es war ein surrealer Moment. Ich saß da wie versteinert in der Kabine des Dietmar-Hopp-Stadions, mit meiner kleinen Tochter auf dem Schoß, und um mich herum wurde gejubelt und gesungen. Dann ergriff Julian Nagelsmann kurz das Wort und verkündete den U19-Spielern, die eben noch den Einzug ins Endspiel um die Deutsche A-Junioren-Meisterschaft ausgelassen gefeiert hatten, meinen sofortigen Weggang nach Leipzig. Die Jungs kamen einer nach dem anderen zu mir, klatschten ab und wünschten mir viel Glück. Den Kampf gegen die Tränen hatte ich da schon längst verloren.

Der 14. Juni 2014 war mein letzter Arbeitstag bei der TSG. Den ersten hatte ich knapp acht Jahre zuvor, als ich ins kalte Wasser geworfen wurde und beim U19-Training in Zuzenhausen auf dem Rasen stand. Ich bin in Sinsheim geboren und habe beim SV Sinsheim selbst Fußball gespielt. Bei einem aufstrebenden Klub vor meiner Haustür als Athletiktrainer arbeiten zu dürfen, habe ich als großes Glück empfunden. Nach der ersten Einheit kam Coach Uwe Wolf zu mir und meinte: „Das hast du nicht schlecht gemacht, Junge. Aber an deiner Kleidung müssen wir etwas ändern.“ Ich war in meinen privaten Athletikklamotten und in Turnschuhen erschienen.

In den darauffolgenden Jahren habe ich von der U12 bis zur U19 jede Akademie-Mannschaft athletisch betreut und viele Erfahrungen gesammelt. Als im Frühjahr 2014 das Angebot aus Leipzig kam, war das für mich ein logischer Schritt, den ich auch nie bereut habe. Aber an meinem letzten Arbeitstag ist mir der Abschied doch sehr schwergefallen. Es war aber eben nun mal auch ein sehr besonderer Tag.

Im Trainerteam waren wir ein eingeschworenes „Pack“. Wir haben uns selbstironisch als „Rudel“ bezeichnet, das Wolfsheulen wurde zu unserem Running Gag. Aber auch um das Team herum hat alles gepasst. Selbst wenn es abgedroschen klingt, aber wir waren eine große Familie und hatten in der Akademie eine sehr gute Stimmung, die ihren Teil zum Erfolg beigetragen hat, auch wenn der sich natürlich nicht messen lässt.

Die U19 hatte nach einer Auftaktniederlage in Mainz eine überragende Saison absolviert und sich am letzten Spieltag erstmals in der TSG-Historie die Süddeutsche Meisterschaft gesichert. Dass wir nun im Halbfinale standen und auf den FC Schalke 04 trafen, das allein war schon großartig. Dann fuhren wir nach Gelsenkirchen und spielten in der Arena vor 10.000 Zuschauern, was für uns alle Neuland war. Schalke hatte eine bärenstarke Mannschaft. Das waren Männer. Und doch haben wir 1:0 gewonnen. Weil die Jungs über ihre Schmerzgrenzen gegangen sind. Ich werde nie vergessen, wie Steffen Nkansah den Siegtreffer markierte und vor dem Schalker Fanblock jubelte.

Als in der Nachspielzeit zum wiederholten Mal ein Spieler von uns am Boden lag, drehte sich Julian zu mir um und schrie: „Warum kriegen die alle Krämpfe?!“ Ich sagte nichts und dachte nur: „Weil sie bis in die letzte Haarspitze angespannt sind und alles gegeben haben!“ Zurück im Hotel habe ich den Eiswürfelspender im Flur geleert und die Badewannen in den Zimmern der Jungs in Eistonnen verwandelt.

Das Rückspiel war mein letzter Arbeitstag, der sehr früh begann. Durch die hohe Anspannung war keine Zeit für Sentimentalitäten, noch nicht. Die Partie war wie ein 90-minütiger Adrenalinstoß. Von Leroy Sané ging ständig Gefahr aus, doch unsere Jungs hielten gut dagegen. In der vierten Minute der Nachspielzeit bewahrte uns Keeper Marvin Schwäbe mit einer Glanzparade vor dem Elfmeterschießen. Nach dem Schlusspfiff brachen alle Dämme, obwohl wir „nur“ das Finale erreicht, aber noch keinen Titel gewonnen hatten.

In der Kabine kam es dann zu meinem eingangs erwähnten TSG-Moment. Meine Tochter auf dem Schoß, Julians emotionale Ansprache, der Abschied von den Jungs, die acht Jahre, die vor meinem geistigen Auge vorbeizogen. Das alles gepaart mit dem Bedauern, beim Endspiel nicht dabei sein zu können… In diesem Moment kamen mehrere Gefühlslagen auf einmal zusammen. Anschließend bin ich vom Stadion runter ins NLZ gefahren, habe meine Sachen zusammengepackt und jedem Kollegen noch ein Stück Schokolade auf den Schreibtisch gelegt. Danach hieß es: ab nach Leipzig.

Eine Woche später stieg das A-Junioren-Finale in Hannover. Ich stand am Vormittag noch auf dem Trainingsplatz am Cottaweg und bin dann mit dem Auto in die AWD-Arena gedüst, wo ich die Partie gegen Hannover 96 mit meiner Familie auf der Haupttribüne verfolgt habe. Die TSG gewann 5:0 – und obwohl ich zu diesem Zeitpunkt Leipziger war, habe ich mich auch ein bisschen als Deutscher Meister gefühlt.«

Ein Blick zurück: 14. Juni 2014 | Finale! U19 spielt nach dem 0:0 gegen Schalke um den DM-Titel

 

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