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SPIELFELD
16.11.2022

„Ich möchte ein Vorbild sein“

Im Sommer wechselte die in Schwäbisch Hall geborene Fußballerin Erëleta Memeti vom SC Freiburg zur TSG Hoffenheim. Die 23-Jährige überzeugt seitdem nicht nur auf dem Feld mit ihrer forschen Art. In einem ungewöhnlich privaten SPIELFELD-Interview erzählt Memeti, warum sie für das Nationalteam des Kosovo, die Heimat ihrer Eltern, spielt – wie sie sich dort als Vorbild für junge Mädchen fühlt und für die Modernisierung der dortigen Gesellschaft eintritt.

Erëleta, wie hast Du Dich eingelebt, hier in der Region, bei der TSG?

„Am Anfang war es schon schwer, fußballerisch reinzukommen, weil in Hoffenheim eben ganz anders gespielt wird als ich es kannte. Aber deswegen bin ich hier. Das Training macht richtig Spaß. Man spielt Fußball, mit Betonung auf ‚spielen‘. Das passt zu mir. Ich löse vieles gern fußballerisch, statt den Ball immer vorzubolzen und hinterherzurennen. Ich spüre, ich bin hier an der richtigen Adresse.“

Du kamst vom SC Freiburg zur TSG Hoffenheim. Spürst Du hier einen anderen, womöglich höheren Anspruch an Dich?

„Die TSG ist auf jeden Fall ein gewaltiger Schritt. Die Ziele sind höher, ebenso wie das Anforderungsniveau auf meiner Position. Aber ich habe richtig Lust darauf, in Hoffenheim Neues kennenzulernen. Ich habe mich in Freiburg innerhalb kurzer Zeit so gesteigert, dass ich nun wissen wollte, wie weit es noch gehen kann. Als das Angebot der TSG kam, habe ich mir gedacht: ‚Hier will ich versuchen, mein Limit zu verschieben.‘“

Zudem bist Du nun wieder näher am elterlichen Zuhause in Fichtenberg, Landkreis Schwäbisch Hall. War das auch ein Argument?

„Auf jeden Fall. Als ich in Wolfsburg gespielt habe, lebten meine Eltern sechs Stunden entfernt. Und in Freiburg war es auch nicht um die Ecke. Bei einer Stunde Fahrtzeit kann ich meine Familie nun viel öfter sehen – meine Eltern sind zum Beispiel bei jedem Heimspiel dabei. Das freut mich natürlich sehr, weil ich die Unterstützung meiner Familie benötige und bislang auch immer hatte.“

Welche Rolle spielt Deine Familie dabei, dass Du Fußballerin geworden bist?

„Die entscheidende. Mein Papa hat mich ja fast ein wenig gezwungen, Fußball zu spielen. (lacht) Ich habe zwei Brüder, die damals schon Fußball im Verein spielten. Und ich kickte immer im Garten mit ihnen. Als ich elf Jahre alt war, also relativ spät, hat er dann zu mir gesagt: ‚Komm, wir gehen mal zum Training.‘ Aber ich wollte nicht und habe ihm gesagt: ‚Nein, Fußball ist etwas für Jungs.‘“

 Aber Dein Vater hat wohl nicht locker gelassen...

„Er hat mich quasi auf den Platz gezogen und das erste Training mehr oder minder mitgemacht. Irgendwann war ich dann so im Spiel drin, dass ich gar nicht gesehen habe, dass mein Papa schon längst draußen am Rand stand. Und der Coach hat nach dem Training gesagt: ‚Hey, wir machen dir sofort einen Spielerpass.‘ Und so habe ich dann eben in der D-Jugend beim Dorfverein SK Fichtenberg angefangen. Erst im Alter von 17 Jahren habe ich das erste Mal in einem Frauenteam gespielt. Das meiste habe ich also bei den Jungs gelernt.“

Vermutlich auch bei Deinen Brüdern…

„Mit meinem großen Bruder Vigan habe ich bei der SK jahrelang zusammengespielt. Ich auf dem linken Flügel, er dahinter. Ein Geschwisterpaar in einer Mannschaft, ein Junge und Mädchen – das war nicht alltäglich. Eigentlich wollte er da spielen, wo ich aufgestellt wurde. Ich habe ihm seine Lieblingsposition aber weggenommen. (lacht). Es war für ihn als Jungen in dem Alter sicher auch manchmal blöd, wenn dann eher ich als Mädchen im Mittelpunkt stand. Er hat mich aber immer unterstützt, und manchmal auch damit geprahlt: „Das ist meine kleine Schwester.“ Das fand ich cool. Und da wusste ich, okay, meine Brüder (neben Vigan noch der zwei Jahre jüngere Liburn; Anm. d. Red.) haben damit kein Problem.“

Die Wertschätzung, gerade auch der Männerwelt, ist durch die Fußball-EM der Frauen im Sommer stark gewachsen. Oder wie ist Deine Empfindung?

„Viele Menschen wurden für den Frauenfußball begeistert. Was ich besonders schön fand, dass dies nicht nur in Deutschland der Fall war. Als ich nach der Europameisterschaft bei meiner Verwandtschaft im Kosovo war, erzählte mir mein siebenjähriger Cousin, dass er das Finale geschaut habe. Unglaublich. ‚Wow‘, dachte ich, die Begeisterung kam sogar hier an. Wir haben mit dieser EM nochmal einen Meilenstein gesetzt.“

Du hast den Kosovo angesprochen, für den Du seit September 2020 in der Nationalelf aufläufst. Wie siehst Du dort die Entwicklung?

„Der Frauenfußball im Kosovo steht noch am Anfang. Es gibt zwar eine Liga, aber es fehlt natürlich noch sehr viel. In Deutschland gibt es zum Beispiel mehr als 800.000 Fußballerinnen, im Kosovo etwa 660 – im gesamten Land. Das ist nicht mal ein Prozent. Aber wir sind ein junges und kleines Land – und das Nationalteam der Frauen wurde erst 2016 gegründet. Darum bin ich mir sicher: Es kann und wird noch sehr viel kommen.“

Du bist in Schwäbisch Hall geboren und hast bis 2018 für die DFB-Juniorinnen gespielt. Wie fiel die Entscheidung, fortan für den Kosovo zu spielen?

„Ich habe bis zur U20 für Deutschland gespielt, wusste damals aber nicht einmal, dass es eine Nationalmannschaft des Kosovo gibt. Im Jahr 2018 kam dann ein Anruf vom dortigen Verband mit der Frage, ob ich mithelfen möchte, im Kosovo etwas aufzubauen, auch durch meine Erfahrung, die ich damals in der zweiten Liga und in den DFB-Teams gesammelt hatte. Ich war mit 19 Jahren noch sehr jung und dachte mir: In so eine Rolle zu schlüpfen – das ist schon eine gewaltige Aufgabe. Ich weiß gar nicht, ob ich da so richtig reinpasse.“

Und Du hast es einfach probiert.

„Ich war dann in Pristina bei einem Freundschaftsspiel. Als ich dort war, spürte ich: Hier muss noch vieles aufgebaut werden. Aber ich konnte schon im ersten Lehrgang so viel Input geben, dass ich direkt meine Rolle gefunden habe. Es war einfach so: Ich habe mit dem Herzen entschieden. Ich habe mich dort zuhause gefühlt. Als ich später meinen Eltern sagte, dass ich zum Kosovo tendiere, da merkte ich erst, wie stolz es sie macht, dass ich für ihr Geburtsland spiele.“

Wie sehr verändert es Deine Rolle in der Nationalmannschaft, dass es nicht nur um den Sport geht?

„Es ist ein besonderer Ansporn, dass es diesen gesellschaftlichen Aspekt hat. Es ist eine absolute Ehre, dabei mitzuhelfen, den Frauenfußball im Kosovo auf ein neues Niveau zu heben. Ich möchte Mädchen davon überzeugen, Fußball zu spielen, mutig zu sein. Ich selbst musste ja auch von meinem Vater überzeugt werden. Ich möchte nun ein Vorbild für die Frauen und Mädchen sein, diesen Schritt selbst zu tun. Das ist – neben dem Fußballerischen – nun meine Rolle in der Nationalelf. Da darf man keine Angst vor der Verantwortung haben. Ich gehe mit Selbstbewusstsein dorthin und sage: ‚Ja, ich mache das‘.“

Wie sehr erfüllt Dich diese Rolle?

„Brutal. (lacht) Das macht mich sehr, sehr stolz. Und es rührt mich, auch meine Eltern damit stolz zu machen. Ich fühle mich im Kosovo daheim, ich lächle gefühlt die ganze Zeit. Wenn nun immer mehr Mädels mit dem Fußball anfangen und die Zahl deutlich größer wird als die aktuellen 660, dann wird es mich noch mit Stolz erfüllen, wenn meine Karriere schon längst vorbei ist und ich nur noch am Fernseher zuschaue. Dann werde ich dankbar sein, dass ich diesen Weg gegangen bin.“

Sportlich bist Du in der Nationalmannschaft die prägende Figur, bist auch Kapitänin.

„Wir haben viele Spielerinnen mit Potenzial, aber sie spielen meist im Kosovo in einem Verein, in dem es an der grundlegenden Ausbildung, zum Beispiel taktisch, fehlt. Das ist dann manchmal wirklich mühsam, aber auch da sind wir auf einem guten Weg. Denn grundsätzlich gibt es im Kosovo schon eine große Begeisterung für das noch junge Nationalteam: Bei meinem ersten Länderspiel waren 4.000 Menschen da. Da habe ich schon gestaunt.“

Was zeichnet denn die Kosovaren und ihren Fußball aus?

„Menschlich ist es sicher unser Stolz. Wenn man das auf den Fußball überträgt: Wenn wir mal den Ball verlieren, dann nehmen wir das nicht hin, dann erkämpfen wir uns ihn zurück. Das ist eine Mentalitätsfrage. Bei uns im Albanischen sagt man: Wir seien, sorry, wie Krieger.“

Diese Geschichte steckt tief in Euren Wurzeln, auch familiär. Was hast Du als kleines Kind davon mitbekommen?

„Meine Eltern flüchteten 1997, kurz bevor mein Bruder Vigan geboren wurde, nach Deutschland – wir sind letztlich Kriegskinder. Mein Vater ist im Krieg gewesen, mein Onkel ebenso – man bekommt die Folgen als nachfolgende Generation schon mit. Ihre Erzählungen sind sehr emotional, du erfährst, was sie durchgemacht haben, wie sie flüchten mussten. Das prägt natürlich, das macht etwas mit Dir. Wenn ich mittlerweile im Kosovo bin, wird mir von älteren Menschen oft die Frage gestellt: „Hast du noch Familie?“ Sie fragen, weil sie nicht wissen, ob ich noch Mama und Papa habe oder als Waise groß geworden bin. Es hätten meine Eltern sein können, die im Krieg starben. In solchen Momenten spürst du, wie nahe es noch ist. Ich glaube, diese Wunde steckt tief in uns.“

Spürt man den Konflikt noch immer?

„Die aktuellen Auseinandersetzungen liegen eher im Nordkosovo, davon ist der Teil meiner Familie im Süden nicht direkt betroffen. Aber die Folgen sind immer spürbar. In der EM-Qualifikation spielte Russland in unserer Gruppe. Ein Land, das uns nicht anerkennt. Wir mussten deshalb beide Spiele gegen Russland auf neutralem Boden austragen. Und du denkst: Wir wollen doch einfach nur Fußball spielen – und dann steht das Politische dazwischen.“

Das reicht bis in den Alltag…

„Als ich im Sommer auf Mallorca war, habe ich ein paar Bilder in die Familien-WhatsApp-Gruppe gestellt. Und meine Mutter schrieb: ‚Oh, wie schön das aussieht. Nach Mallorca würde ich auch gern mal hin.‘ Ich war kurz davor, Flüge für nächstes Jahr zu buchen, da hat sie mir gesagt: ‚Ich darf da aber doch gar nicht hin. Ich habe einen Kosovo-Pass.‘ Da wurde mir bewusst, dass meine Eltern nicht dort einreisen können, weil Spanien den Kosovo nicht anerkennt.“

Inwieweit betreffen Dich mit Deiner Familiengeschichte solche Konflikte und Kriege wie jener in der Ukraine nochmal anders?

„An jenem 24. Februar, als die Ukraine angegriffen wurde, war es für unsere Familie ein bisschen wie damals – in diesen Tagen hat uns alle eine gewisse Traurigkeit erfasst. So etwas sollte doch in einer modernen Zeit nicht mehr passieren. Das ist sehr erschreckend und total traurig.“

Ein Konflikt unter sogenannten Brüdervölkern. Die Spannungen sind bekanntlich oft noch Jahrzehnte später spürbar.

„Ja, wenn du im Krieg warst und fast dein Leben dafür geopfert hast, ist es wohl auch total normal, dass du eine gewisse Skepsis entwickelst. Ich muss aber sagen, mein Vater war – gerade in Anbetracht dessen, was er selbst im Krieg durchgemacht hat – sehr offen. Ich hatte einen serbischen Jungen in der Mannschaft und mein Vater, der Serbisch konnte, hat sich sehr oft am Rand mit dessen Vater unterhalten – und die beiden Männer haben sich gut verstanden. Er sagte dann zwei wichtige Sätze: ‚Weißt du, Eri, es kommt einfach von Mensch zu Mensch darauf an. Du kannst nicht alle in eine Schublade stecken.‘ Das habe ich mir gemerkt.“

Von Mensch zu Mensch ist ein gutes Stichwort. Die Rolle der Frau wird im Kosovo auch durchaus unterschiedlich gesehen.

„Es ist so ein bisschen zwiegespalten, muss ich sagen. In größeren Städten wie Pristina ist sie viel moderner, in anderen Regionen noch sehr rückständig. Ich bin im Urlaub mit dem Fahrrad von unserem Haus in die Innenstadt gefahren, zum Einkaufen – und dann wieder zurück. Und ich wurde von vielen Passanten staunend betrachtet: ‚Da sitzt die Frau einfach so auf dem Fahrrad.‘ (schüttelt lachend den Kopf) Es gibt viele, die noch ein sehr rückständiges Gesellschaftsbild haben – aber es gibt eben auch immer mehr, die modern und offen sind. Ich glaube, es ist in etwa fifty-fifty – und es braucht noch ein bisschen, um das weltoffene Kosovo dann weiterzuentwickeln. Immerhin: Inzwischen wird das Land von einer Präsidentin regiert.“

Du bist also anders aufgewachsen.

„Absolut. Ich bin stolz darauf, wie ich aufwachsen durfte – auch im Vergleich zu meinen Eltern. Andere aus diesem Kulturkreis sagen mir oft: ‚Wow, deine Eltern haben dich mit 16, 17 Jahren allein nach Stuttgart gelassen, um Fußball zu spielen. Bei einem Mädchen hätten wir das nie gemacht.‘ Da kann ich nur müde lächeln. Ich bin froh, dass ich das Vertrauen meiner Eltern bekommen habe und so unabhängig werden konnte. Wenn ich sehe, dass es in anderen Ländern Frauen gibt, die unterdrückt werden, dann macht mich das wütend, aber auch traurig. Ich frage mich, warum es so etwas noch gibt. Wir können dieses alte Denken nicht immer weiterführen. Es ist allerhöchste Zeit, in der Gegenwart anzukommen.“

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