Zahlreiche Magnettafeln, an denen mit roten und gelben Punkten taktische Formationen erkennbar sind. Zitate von Star-Trainern wie Pep Guardiola oder Xabi Alonso kleben an der Wand. „Wenn du das Mittelfeld kontrollierst, kontrollierst du das Spiel und hast größere Chancen auf den Sieg. Wenn du das Mittelfeld gewinnst, gewinnst du wahrscheinlich das Spiel“, gab Leverkusens Double-Trainer zu Protokoll. Der Leitsatz fällt auf, wird im ansonsten aber gewöhnlichen Trainerbüro von einem weiteren Wandschmuck überstrahlt. Eine Taktikzeichnung hängt wie ein Kunstwerk gerahmt neben der Eingangstür. Über dem komplexen Gekritzel steht: „Ballgewinnzone 4:2 zu 4:3 Umschaltchance“. Die Kreuze, Pfeile und Anweisungen malte vor elf Jahren Julian Nagelsmann auf eine Taktiktafel, ehe sein Team Hannover 96 überrollte und mit einem 5:0 die Deutsche Meisterschaft der U19-Junioren errang.

Niklas Bräuer und Philip Giesler sind zwar nicht mit eigenen Zeichnungen an der Wand des Leistungszentrums der TSG Hoffenheim vertreten, den damaligen Erfolg des heutigen Bundestrainers konnten sie im vergangenen Jahr aber überbieten. Das Double der Hoffenheimer U19 hat seinen Platz im Geschichtsbuch der TSG sicher – Bräuer und Giesler hatten daran großen Anteil. Cheftrainer Tobias Nubbemeyer vertraut seinen beiden Co-Trainern. „Tobi gibt uns extrem viele Freiheiten, wir dürfen sehr viel machen“, sagt Giesler. „Dann ist es aber unsere Aufgabe, das mit Leben zu füllen. Ich verstehe es aber als Lob, wenn man so viel Vertrauen geschenkt bekommt.“ Mit dem Vertrauen geht auch Verantwortung einher.

So auch an diesem Dienstagmorgen im Frühling. Pünktlich um 9:30 Uhr beginnt die Videoanalyse des nächsten Gegners. Philip Giesler, der 2019 als Videoanalyst zur TSG stieß, übernimmt das Wort. Die Spieleröffnung der Hannoveraner wird analysiert. Während Giesler spricht, hört Nubbemeyer zu. Als über die mögliche Ausrichtung innerhalb des Trainerteams diskutiert wird, schreitet Giesler – ganz analog – an die Magnettafel, um seine Vorstellung zu visualisieren. Bräuer hinterfragt, ist auch mal anderer Meinung als sein Cheftrainer. Eine rund halbstündige, offene, aber zielorientierte Diskussion beginnt.

Es ist kurz nach 10:00 Uhr, als das Trio gemeinsam mit Torwart-Trainer Dominik Maier, Athletik-Trainer Julian Keller und Physiotherapeut Tobias Dipoli Wieser auf den verfügbaren Kader blickt. Einige Spieler befinden sich noch auf Länderspielreise mit ihren U-Nationalteams, andere Akteure sind im Training bei der U23. Viele Spieler werden es an diesem Tag nicht sein, die ins Training kommen. Bei der Vormittagseinheit, in der individuell mit den Spielern gearbeitet werden soll, stehen nur fünf Feldspieler zur Verfügung, am Nachmittag sollen es zumindest zehn sein.

Eine gewisse Spontanität ist gefragt, doch eine Grundplanung für das Training ist bereits vorhanden. Auch hierfür gibt es keine klare Hierarchie, wie Bräuer sagt: „Es ist eigentlich immer so, dass wir uns austauschen, welche Übung Sinn macht, manchmal auch in Bezug auf den nächsten Gegner.“

Um 10:30 Uhr geht es dann für das Individualtraining auf den Rasen. Niklas Bräuer baut akribisch auf, hat verschiedene Passformen und eine Torschussübung geplant. Alles muss passen, auch wenn das Hütchen dafür nochmal um wenige Zentimeter verschoben werden muss. Eine halbe Stunde nach ihm, um Punkt 11:00 Uhr, folgt dann eine Handvoll Spieler. Mit Jamie Wähling wird über dessen unverhofften Bankplatz bei der U23 am vorherigen Wochenende gewitzelt. Das Verhältnis der Spieler zu den Co-Trainern ist ein anderes als das zum Cheftrainer. „Du bist als Co-Trainer das Bindeglied zwischen Mannschaft und Cheftrainer“, sagt Bräuer: „Deshalb ist der Austausch zwischen Philip und mir auch so wichtig, damit wir immer auf einem Stand sind.“

Nicht alle Spieler kommen an diesem Vormittag vollkommen fokussiert auf den Rasen. Dann kann Bräuer auch schon mal die Stimme erheben. Ein Wort, das häufig fällt: „Qualität“. Diese fordert der 25-Jährige permanent ein. In den Übungen merkt man das Anspruchsdenken, weniger als sehr gut ist ungenügend. Dennoch bleibt auch während der Übungen Raum für Spaß. Als Niklas Bräuer an einer Übung aktiv teilnimmt, coacht ihn Philip Giesler exakt so, wie Bräuer zuvor die Spieler angeleitet hatte. „Die Fußspitze beim Pass hoch“, den Satz durften sich zuvor noch die U19-Akteure anhören, nun stichelt Giesler damit seinen Kompagnon.

Zurück im Trainerbüro, es ist kurz vor 13:00 Uhr. Vor der zweiten Einheit arbeiten beide Trainer wieder fokussiert am Laptop. Individuelle Analysen werden vorbereitet, die Spieler sollen nicht nur auf dem Platz trainiert werden, sondern auch visualisiert bekommen, was sie noch verbessern können. „Auch das sorgt natürlich dafür, dass wir viel Zeit mit den Spielern verbringen“, sagt Giesler. Der 30-Jährige hat heute eine Sitzung mit Leonard Krasniqi. Der Außenbahnspieler soll aber zunächst einmal selbst die Partie anhand der Bilder analysieren. Giesler hat verschiedene Themen aufbereitet, die er mit seinem Schützling durchgeht. Mal geht es um das Flankenverhalten, mal um sein Positionsspiel im gegnerischen Spielaufbau. Was habe ich gut gemacht? Was ist verbesserungswürdig? Doch es ist kein Lehrer-Schüler-Verhältnis, kein Vortrag, sondern ein Gespräch. Im folgenden Spiel wird Leonard Krasniqi den Siegtreffer erzielen.

Außenstehenden fällt die Arbeit, die die beiden Co-Trainer leisten, kaum auf. Das geht nicht nur Niklas Bräuer und Philip Giesler so, es ist das Schicksal der Männer und Frauen in der zweiten Reihe. Doch gerade für die beiden U19-Assistenten der TSG ist die Position in der aktuellen Phase ein Segen. „Ich war als Analyst ja noch eine Stufe weiter hinten“, merkt Giesler dazu an: „Ich fühle mich im Hintergrund total wohl. Ich kann außerhalb des Rampenlichts lernen und mich entwickeln.“ Bräuer sagt: „Wir haben nicht die Co-Trainer-Rolle von früher, Hütchen aufstellen, Bälle aufpumpen und am Ende aufräumen.

Auch vor der zweiten Einheit des Tages, die für 15:00 Uhr angesetzt ist, sind es die beiden Co-Trainer, die für den Aufbau sorgen. Diesmal sind es mehr Spieler, auf die sie zurückgreifen können, auch zwei Torhüter können integriert werden. Der Anspruch bleibt aber auch bei erhöhter Teilnehmerzahl unverändert. Tobias Nubbemeyer, der die Ansprache vor dem Training hält, agiert während der Einheit auf Augenhöhe mit seinen beiden Assistenten. Doch nicht nur mit ihnen, auch mit dem restlichen Staff setzt er auf offenen Austausch. „Ich möchte von jedem die Meinung hören. Letztlich muss ich die Entscheidungen treffen, aber ich brauche ein Team, das mir nicht nach dem Mund redet, sondern überzeugt ist von seinen Ansichten“, sagt der Cheftrainer, der zum Saisonende die TSG auf eigenen Wunsch verlässt.

Nach rund anderthalb Stunden endet gegen 16:30 Uhr die zweite Einheit des Tages und auch der Arbeitstag der beiden Co-Trainer neigt sich dem Ende entgegen. Gelingt es ihnen, zu Hause abzuschalten? Beide sagen „ja“, verbunden mit einem „aber“. „Es kommt einem immer mal wieder eine Idee in den Kopf“, sagt Bräuer. Giesler pflichtet ihm bei: „Man hat die ganze Zeit etwas im Hinterkopf“, so der 30-Jährige. „Wir beide schreiben außerhalb der Arbeit viel miteinander. Fußball ist auch immer noch unser Hobby. Dann fühlt es sich abends auch nicht mehr wie Arbeit an.“

Am Tag darauf trainiert die U19 gemeinsam mit der U17. Für Niklas Bräuer und Philip Giesler ein neuer Tag, an dem sie als Co-Trainer im Hintergrund wieder viele neue Herausforderungen lösen werden.

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