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SPIELFELD
03.06.2016

Peter Görlich: "Mainz war der Schlüssel"

Im Oktober trat Dr. Peter Görlich sein Amt als TSG-Geschäftsführer an, erbte die sportliche Krise – und durfte dann aufatmen: Im Interview spricht der 49-Jährige über den Glücksfall Julian Nagelsmann, den Hoffenheimer Weg und die Aufgabe, den Klub in der Region zu verankern.

Herr Dr. Görlich, wie war eigentlich Ihre Gefühlslage an jenem 7. Mai in Hannover, als Sie realisierten, dass der Klassenerhalt trotz der 0:1-Niederlage geschafft ist?

Peter Görlich: Es war skurril. Immer diese Frage: 'Stimmt es tatsächlich?' Ich habe bestimmt fünf Mal die Tabelle nachgerechnet, immer im Kopf: Kann das wirklich sein? Sind wir durch? Und dann war es eigentlich nur… Erleichterung. Puh, Haken dran, aber gar nicht jubeln deswegen. Erst über die Tage habe ich es wirklich realisiert. Es war ein verdammt heißer Ritt.

Gab es denn auch beim Geschäftsführer mal tief im Innern den Moment des Zweifelns?

Görlich: Das 0:2 gegen Darmstadt war ein Tiefpunkt, da war ich desillusioniert. Nichts hatte gefruchtet, alle Versuche waren gescheitert. Es war verdammt schwer, mit dieser Situation umzugehen. Aber in so einem Moment ist eines wichtig: Du musst den Blick nach vorn richten, kühl und nüchtern überlegen: Was kann ich jetzt tun?

Wie kann sich der TSG-Fan das vorstellen, wenn der Geschäftsführer in so einer Situation steckt. Verfolgt einen das bis in die Träume?

Görlich: Man schläft ja gar nicht. Ich bin von Natur aus ein Schlechtschläfer, aber nach so einem Spiel gehst du ins Bett, wachst nach eineinhalb Stunden Dösen wieder auf und dann ist die Nacht vorbei. Dann hilft nur eins: Mache dir einen Plan, strukturiere die Aufgaben, damit du vorbereitet bist, und strahle nach innen auch Zuversicht aus.

Drei Tage später musste Julian Nagelsmann nach dem Rücktritt von Huub Stevens früher als geplant in die Bresche springen.

Görlich: In Nachhinein war es natürlich eine glückliche Fügung. Wir haben ja schon vorher immer gesagt, dass die Mannschaft mehr kann. Tief drin schlummerte das Potenzial, aber aus irgendeinem Grund konnten es die Spieler, konnte es die Mannschaft nicht abrufen. Das Momentum fehlte. Das klingt dann immer leicht esoterisch, wenn man von mentaler Blockade spricht.

Und Julian Nagelsmann hat sie gelöst.

Görlich: Wir fuhren nach Bremen, überstanden in Unterzahl die Drangphase der Bremer bis in die 95. oder 96. Minute, holten das 1:1. Dann kam der Heimsieg gegen Mainz – gegen eine gute, hungrige Truppe. Wir kamen nach Rückstand zurück und Mark Uth macht einen Doppelpack. Da kommt einer, mit dem du nicht gerechnet hast, der sich bis dahin schwergetan hat, hier reinzukommen. Das war für mich das Schlüsselspiel.

Das Momentum war fortan auf Seiten der TSG …

Görlich: Wir wurden selbstbewusster, kamen aus der Deckung, spielten mutig, offensiv – sicher auch dank der Art von Julian, diese gewisse Unbekümmertheit, die besser zu uns passt. Wir sind kein verkrampfter Verein, bei uns geht es schon locker zu.

Aber muss man sich dann nicht die Frage stellen, wie man glauben konnte, dass der Plan mit Huub Stevens funktioniert.

Görlich: Wir haben an beide geglaubt. Wir hatten uns ja nach der Trennung von Markus Gisdol selbst unter Druck gesetzt, uns auf Julian als Cheftrainer zur neuen Saison festgelegt. Und dann musst du gucken, wer erklärt sich bereit, den Übergang zu moderieren. Um es flapsig zu sagen: Wer verdingt sich als Kurzarbeiter ohne Anschlussperspektive? Und: Wer kann für Aspekte wie Ordnung, Disziplin und Fitness sorgen, damit die Mannschaft auch entsprechend agieren kann. Das kriegst du nicht mit Appellieren hin. In so einer Situation brauchst du schon eine harte Hand.

Für sie war es auch ein harter Einstieg. Im Oktober wurden sie Geschäftsführer der TSG, inmitten der schweren Krise. Sie sind als Geschäftsführer des Heidelberger ETHIANUM natürlich harte Entscheidungen gewohnt. Aber mit dem hoch emotionalen Fußball-Business und dem öffentlichen Druck lässt sich das sicher nicht vergleichen.

Görlich: Man macht um das Fußball-Business ja auch gern einen Hype. Die Sachaufgabe unterscheidet sich sehr wohl, aber die Management-Aufgabe ist identisch, egal ob bei einem Fußball-Bundesligisten, in der Klinik oder in der Schraubenfabrik. Du kannst auch alles richtiggemacht haben, dann geht einmal die Charge kaputt und dann stehst du vor dem Aus. Diese Situation hast du immer. Die Lösung ist: Nicht in Panik verfallen, ruhig weiterarbeiten. Das Entscheidende: Du brauchst einen Plan.

Aber gelten im Fußball nicht andere Regeln…

Görlich: Du musst deinem Team vertrauen, musst auch loslassen können. Wenn du ein Kontrollfreak bist, dann funktioniert das in anderen Unternehmen sicher gut. Im Fußball geht das nicht, da musst du den Spezialisten Raum geben, um eigenständig zu agieren. Das war vielleicht auch ein Erfolgsgeheimnis, diesem jungen Trainer den Raum zu lassen, ihm zu vertrauen. Wir haben Julian gezeigt: Hier ist die Spielwiese: Mach‘ einfach. Schlechter kann es nicht werden.

Es wurde besser. Und am Ende steht tatsächlich der Klassenerhalt.

Görlich: Ja, deshalb auch Erleichterung, aber kein Jubel. Unser Saisonziel war es nicht, am vorletzten Spieltag den Klassenerhalt zu schaffen. Wir müssen diese Saison haarklein analysieren, jeden Stein umdrehen, unter jedes Blatt gucken und uns selbstkritisch fragen: Wo haben wir was übersehen? Welche Fehler haben wir gemacht und nicht frühzeitig bemerkt? Wo müssen wir auch mal unser Ego zurückstellen, um für den Klub erfolgreich zu sein? Wir müssen Fehler klar benennen, und die müssen wir ins Gebetbuch eintragen, damit wir sie nie wieder machen. Man soll sich nicht kasteien, aber man muss demütig bleiben. Wir haben nichts erreicht, nur die Klasse gehalten.

Welchen Weg wollen sie zukünftig einschlagen?

Görlich: Zu unserem Weg gehört natürlich Innovation. Das heißt aber nicht, jeder Sau, die durchs digitale Dorf getrieben wird, hinterher zu jagen. Wie müssen uns immer fragen: Was davon hat einen Mehrwert für das Spiel Fußball? Wir haben hervorragende Rahmenbedingungen, mit SAP, mit unseren Wissenschaftspartnern tolle Möglichkeiten, aber am Ende des Tages machen Innovationen nur Sinn, wenn unsere Trainer und das Funktionsteam davon auf dem Platz profitieren können. Es geht ja nicht darum, neue Spielsysteme zu entwickeln. Aber darum, welche Innovationen ich nutzen kann, um den immer höheren Anforderungen gerecht zu werden, gerade auch im Nachwuchsbereich.

Die achtzehn99 AKADEMIE ist die Schatzkiste der TSG.

Görlich: Sie ist elementarer Teil unserer DNA. Die U19 hat zum dritten Mal nacheinander um den Meistertitel gespielt. Das macht uns wahnsinnig stolz, aber wir dürfen uns nicht ausruhen. Wir möchten unsere hervorragende Stellung im Jugendbereich weiter ausbauen. Wir profitieren ja auch bei den Profis ungemein davon. Wir haben mitten im Abstiegskampf mit vier Jungs aus der eigenen Akademie in der Stammformation gespielt. Das ist eine Wahnsinnsleistung. Wir wissen auch, dass es nicht jedes Jahr klappen kann. Aber wir müssen den Jungs in der Region zeigen, dass es Sinn macht, zu uns zu kommen. Weil es hier eine echte Perspektive gibt. Vor drei, vier Jahren wurde noch gehöhnt: Was ist denn mit eurer ach so tollen Jugendarbeit? Da lache ich mich tot. Schau doch mal, welche Jungs alle in der Bundesliga spielen, die früher bei uns gekickt haben. Vielleicht hatten wir zu gewissen Zeiten nicht den Mut, sie einzubauen. Aber so war es nun mal. Jetzt kicken die Jungs, die in der Region aufgewachsen sind, auch hier.

Die TSG als Anziehungspunkt im Südwesten.

Görlich: Wir sind nicht der Verein von Hoffenheim und Zuzenhausen, sondern der Verein der Metropolregion Rhein-Neckar. Die verträgt es gut, einen Bundesligisten und mit Sandhausen einen Zweitligisten zu haben. Das ist doch toll, diese Konkurrenz. Und genau deshalb brauchen wir eine Unterscheidungskultur, dieses klare Gefühl: Das hier ist die TSG. Diese klare Wahrnehmung von außen, wo der Fan, der begeisterte Fußballanhänger uns mit bestimmten Werten verbindet, da haben wir sicher noch eine Strecke vor uns.

Gibt es da in der Bundesliga Vorbilder für Sie?

Görlich: Natürlich schaut man da auch mal zu dem ein oder anderen Etablierten in der Bundesliga. Wirtschaftlich stabile Vereine, die sich vieles selbst erarbeitet haben, für einen bestimmten Fußballstil stehen. An so etwas kann man sich schon orientieren, aber sicher nicht kopieren. Die Rahmenbedingungen sind überall anders, da muss jeder seinen eigenen Weg gehen.

Schon allein, weil sich ein traditionelles Fan-Umfeld bei der TSG erst bilden musste.

Görlich: Die Kinder in der Region wachsen jetzt mit der TSG auf, die kennen uns nur als Bundesligisten, identifizieren sich von klein auf mit dem Klub. So eine Phase hatten wir ja noch nie. Das lässt uns tiefere und stärkere Wurzeln schlagen. Bei den Erwachsenen ist es anders: Ich diskutiere darüber ja auch mit Freunden und Bekannten, die sozialisiert sind als Fan von Dortmund, Bayern oder Köln. Ich sage: Gebt uns die Zeit, aber begleitet uns doch auch auf dem Weg. Welche Region kann das schon behaupten, einen Bundesliga-Klub vor der Haustür zu haben?

Spüren Sie, dass die Verankerung langsam zunimmt?

Görlich: Das erste halbe Jahr in der Bundesliga, dieser kometenhafte Aufstieg, hat uns sicher nicht nur gutgetan. Wir wissen wie schwer es ist, ein One-Hit-Wonder zu sein. Diese Erwartungshaltung war nicht zu erfüllen – und die folgende Phase hat sicher auch manche Zurückhaltung produziert. Aber es liegt an uns, sich stärker zu öffnen, unsere Arbeit mehr nach außen zu tragen. Die Leute sollen sehen: Wir sind ein bodenständiger Verein mit Leuten aus der Region; auf dem Feld, in der Führung. Julian Nagelsmann ist da doch das beste Beispiel. Die Leute in der Region können sich identifizieren mit den Protagonisten. Aber mir ist auch klar: Den Weg in die Herzen zu finden, dass die Leute sagen: 'Die TSG ist ein Teil von mir', das ist die schwierigste Aufgabe.

Fehlt es dem Club da manchmal an der Emotion?

Görlich: Zu unserer DNA gehört Mut. Das hat auch etwas damit zu tun, forsch zu sein, sich nicht immer gleich Gedanken zu machen, ob man anecken könnte. Wir dürfen Ecken und Kanten haben, nicht immer nur zurückstecken, sich wegducken,
klein beigeben, um keinen Fehler zu machen. Wir verteidigen unser Revier. Da darf man auch mal Reizpunkte setzen, wo es anschließend vielleicht auch was auf die Nuss gibt. Da müssen wir auch mal eine Entscheidung treffen, wo andere auf den ersten Blick sagen: 'Habt ihr noch alle Kerzen auf dem Christbaum?' Diesen Mumm brauchen wir.

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