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SPIELFELD
07.03.2024

„Der Fußball braucht Frauen“

Am Freitag erscheint eine besondere Ausgabe des TSG-Magazins SPIELFELD: Pünktlich zum Weltfrauentag widmet sich das Hoffenheimer Klubmagazin zu 100 Prozent den fußballspielenden Frauen. Ein Thema der 120-seitigen Ausgabe ist die im Mai 2021 gegründete Initiative „FUSSBALL KANN MEHR“ (FKM). Seit November 2023 kooperiert auch die TSG Hoffenheim mit der gemeinnützigen Netzwerkorganisation, die sich für Geschlechtergerechtigkeit und Diversität im Fußball sowie die Förderung von Frauen einsetzt. Die ehemalige Torhüterin Katja Kraus ist eine der erfolgreichsten Sportmarketing-Expertinnen Deutschlands, gehört zum FKM-Beirat und spricht im Interview über die Arbeit sowie die Ziele von FKM.

Frau Kraus, im Mai 2021 haben Sie mit prominenten MitstreiterInnen die gemeinnützige Netzwerkorganisation „FUSSBALL KANN MEHR“ gegründet und acht Forderungen für mehr Geschlechtergerechtigkeit und Diversität im Fußball veröffentlicht. Wie kam es dazu?

„Ich hatte bei einer ZDF-Dokumentation von Claudia Neumann zum Thema Frauen im Fußball nach Jahren Gaby Papenburg wiedergetroffen, etwa zeitgleich meldete sich die damalige Nationaltorhüterin Almuth Schult bei mir, mit Bibi Steinhaus sprach ich eh regelmäßig. Wir machten alle in unseren exponierten Rollen im Fußball die gleichen Erfahrungen. Wir wurden häufig als Aushängeschild benutzt, blieben aber Exotinnen, strukturell hat sich wenig entwickelt. Dann sprach ich mit weiteren Frauen: Sandra Schwedler, der einzigen Aufsichtsratsvorsitzenden im Profifußball, Helen Breit und Jana Bernhard, um auch die Perspektive von Fans und Sponsoren zu kennen. Wir waren uns einig: Es muss sich etwas ändern, damit der Fußball zukunftsfähig ist.“

Wie beurteilen Sie die Entwicklung seit der Gründung vor knapp drei Jahren?

„FKM ist von einer starken Stimme für Gleichberechtigung im Fußball zu einer Institution geworden. Wir sind eine NGO (Nichtregierungsorganisation), die in die Organisationen hineinwirkt, sie auf dem Weg der Transformation begleitet. Wir arbeiten mittlerweile mit neun Klubs, der DFL und Unternehmen, die im Fußball engagiert sind, zusammen. Immer mehr Verantwortliche verstehen, dass die Förderung von Diversität und Frauen im Fußball kein Charity-Projekt ist, sondern eine Notwendigkeit. Gesellschaftlich und kulturell, aber auch aufgrund nachgewiesener wirtschaftlicher Kennzahlen. Zudem ist es auch für Fußballklubs wichtig, sich im Kampf um die besten Menschen als moderne und innovative Arbeitgeber zu präsentieren. Dazu gehören etwa flexible Arbeitsmodelle und Vereinbarkeitsregelungen.“

Also geht alles voran?

„Das Bewusstsein für diese Themen nimmt zum Glück weiter zu, zugleich gibt es Rückwärtsbewegungen, ein Ringen um Macht und Kontrolle. Eine wirkliche Auseinandersetzung mit den strukturellen Ausgrenzungen erleben wir noch immer zu selten. Es fehlt auch die Lust an der Veränderung.“

Wie sind die Reaktionen auf die Arbeit von FKM?

„Viel Zuspruch, nicht nur von Frauen. Auch viele Männer aus der Branche erkennen die Veränderungsnotwendigkeit und wollen Teil des Wandels sein. Leider sagen sie das häufig nicht laut genug, weil die Machtbasis im Fußball noch von denjenigen geprägt wird, die eine reaktionäre Sicht haben. Es wäre ein wichtiger Schritt, dass all diejenigen sichtbar werden, für die es ein Anliegen ist, dass der Fußball positive Impulse setzt, statt gesellschaftlichen Entwicklungen weit hinterherzuhinken.“

Was machen Sie genau?

„Gestartet sind wir mit drei Säulen: Wir bieten eine Plattform an, auf der sich Frauen austauschen können. Die zweite Säule ist die karrierebegleitende Qualifizierung von fußballspielenden Frauen. Ich bin überzeugt, dass das der generische Pool für Führungskräfte im Fußball ist, insbesondere in allen sportnahen Bereichen. Bislang ist es so, dass Frauen während der aktiven Zeit so wenig Geld verdienen, dass sie im Anschluss an ihre Karriere sofort in Erwerbstätigkeit gehen müssen. Deshalb haben wir ein Programm entwickelt, in dem wir die Spielerinnen karrierebegleitend für Funktionen im Fußball qualifizieren. Wir kooperieren mit Bildungseinrichtungen und subventionieren Stipendien mit Hilfe von Sponsoren. Es sind bislang zwölf Frauen durch entsprechende Programme gegangen, darüber freuen wir uns sehr. Die dritte Säule ist die Kooperation mit den Klubs, die das Ziel haben, Diversität und Frauen zu fördern. Diesen Transformationsprozess begleiten wir mit unseren spezifischen Erfahrungen im Fußballgeschäft. Voraussetzung ist die Bereitschaft, quantitative Ziele zu setzen. Nur so werden Entscheidungen im Sinne der Veränderung getroffen und Frauen in Entscheidungspositionen berufen. Und deshalb haben wir gerade ein weiteres Feld betreten, nämlich Führungskräfte-Recruiting. Wir haben verstanden, dass Frauen eine besondere Ansprache brauchen, um Führungsrollen im Fußball zu übernehmen und haben ein Joint Venture mit einer etablierten Personalberatung gegründet.“

Wo sind Sie noch aktiv?

„Aktuell organisieren wir einen Equality-Kongress, der während der Europameisterschaft in Hamburg stattfindet und ein wichtiges Statement für Geschlechtergerechtigkeit werden wird. Und wir binden neben den hauptamtlichen Kolleginnen um unsere Geschäftsführerin Julia Möhn viele engagierte Menschen ein. Vor allem unseren Beirat, dem Menschen aus Wirtschaft, Politik und Sport angehören, von Startup-Präsidentin Verena Pausder über Thomas Hitzlsperger bis zu Verteidigungsminister Boris Pistorius. Alle bringen sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten ein. So haben zum Beispiel die renommierten Journalistinnen Gaby Papenburg und Claudia Neumann für Sky ein Kommentatorinnen-Programm aufgelegt, um ihre Erfahrungen weiterzugeben.“

Haben Sie das Gefühl, dass sich die Klubs wirklich für mehr Diversität einsetzen?

„Fußball ist ein Ergebnissport, man kann sich an den Zahlen orientieren. Und wenn es vier Frauen in der Geschäftsführung gibt, also drei Prozent, dann ist das eindeutig zu wenig. Weiterhin fehlt die Überzeugung und die Fantasie bei Personalentscheidungen auf Frauen oder auch Menschen mit abweichenden Biografien zu setzen. Es gibt keine Führungskräfte ohne deutsche Staatsangehörigkeit. Die Lust an neuen Perspektiven ist noch immer sehr gering.“

Woran scheitert es in den meisten Fällen?

„Kontrolle und Machterhalt. Es gibt nur wenige dieser attraktiven Rollen im Fußball. Die Entscheider sehen immer zuerst den Verlust des eigenen Einflussbereiches und nicht den Gewinn, der daraus entsteht, Veränderung aktiv zu gestalten, im Sinne des Ganzen, des Fußballs.“

Können Sie ein Beispiel nennen?

„Es werden so viele Chancen liegengelassen. Jüngstes Beispiel: Es gibt zu wenige Trainerinnen, auch in der Frauen-Bundesliga wird nur ein Klub von einer Frau gecoacht. Das liegt an den strukturellen Hürden. Die Zulassungskriterien für den höchsten Trainerschein sind für Frauen zudem kaum erfüllbar. Am aktuellen Pro-Lizenz-Lehrgang des DFB nehmen 17 Männer teil, keine Frau. Der 17. Mann bekam wegen besonderen Talents eine Wildcard, er hatte die Kriterien nicht erfüllt. Eine zweite Wildcard wurde nicht vergeben, was signalisiert, dass es keine besonders talentierte Trainerin gibt. Es gab allerdings Aspirantinnen, die eindeutig eher die Kriterien erfüllen als der berücksichtigte 17. Mann. Wenn der DFB solche Chancen auslässt, bleiben all die Bekenntnisse zur Förderung von Frauen nur schale Lippenbekenntnisse.“

Wo liegt das größte Entwicklungspotenzial für FKM?

„Die Besetzung der Entscheidungspositionen mit Frauen ist ein entscheidender Hebel. Auch um all die anderen Diversitätsdimensionen zu forcieren und das Thema Nachhaltigkeit zu stärken.“  

Wie realistisch schätzen Sie es ein, die Kernforderungen zeitnah umsetzen zu können?

„Es gibt Entwicklungen, die sich nicht aufhalten lassen. Der Nachweis des wirtschaftlichen Erfolges von Diversität in Führungspositionen ist klar – über alle Industrien hinweg. Im Fußball werden notwendige Entscheidungen aber häufig mit dem Argument verschleppt: „Wir müssen sehen, wo wir herkommen.“ Ich bin überzeugt, dass man sich vielmehr an den Möglichkeiten orientieren muss. Wenn der Trainer keine Spiele gewinnt, oder der Stürmer keine Tore schießt, dann reagieren die Verantwortlichen direkt. Nur in diesem Fall sind alle so zufrieden mit dem gemächlichen Tempo der Veränderung.“

Was hat sich seit Ihrer aktiven Zeit verändert?

„Es hat sich zum Glück vieles verbessert. Machtmissbrauch oder Sexismus habe ich selbstverständlich erlebt. Begonnen mit dem Rufen nach dem Trikottausch nach dem Spiel bis hin zum Ausziehen-Ruf bei meiner ersten HSV-Mitgliederversammlung. Ich habe diese Dinge damals nicht thematisiert, weil ich dachte, sie gehören dazu, wenn ich in diesem System sein möchte. Nach wie vor wird Frauen häufig erzählt: ‚Seid froh, dass ihr hier sein und mitmachen dürft.‘ Wir müssen unbedingt aufhören, dankbar für Selbstverständliches zu sein.“

Wie sollte sich der Frauenfußball entwickeln?

„Die größte Gefahr, dass die Frauen-Bundesliga ein Abbild der Wirtschaftskraft der Männer-Bundesliga ist. Er muss als Geschäftsmodell für sich selbst funktionieren. Dazu braucht es vor allem Menschen, die ein dezidiertes Interesse daran haben, dass diese Liga erfolgreich ist: wirtschaftlich, aber auch in der Reputation. Und nur wenn diese Unabhängigkeit gegeben ist, werden die Spielerinnen auch ein anderes Selbstverständnis entwickeln. Denn sie sind konditioniert dankbar zu sein. Dafür, dass sie auf dem Rasenplatz trainieren dürfen, dass sie eine Physiotherapeutin zusätzlich bekommen. Mit einem anderen Selbstverständnis für den eigenen Sport verändert sich auch das Auftreten. Auch auf dem Platz.“

Wie viel Nische ist gut und wie viele Anpassungen an den Männerfußball sind zur Professionalisierung notwendig?

„Frauen sind nicht grundsätzlich die besseren Menschen. Sie sind nur den Korruptionsfaktoren bislang nicht in gleichem Maße ausgesetzt. Und deshalb ist es wichtig, eine eigene Identität zu entwickeln. Wie soll der Fußball der Frauen sein? Was wird aus dem Männerfußball übernommen und was dezidiert nicht? Welche Rolle spielen Berater? Wie garantiert man Nahbarkeit? Wie schafft man Wettbewerbsgerechtigkeit? Ich finde, damit müssen sich vor allem die Spielerinnen beschäftigen. Sie sollten entscheiden, wie der Fußball der Frauen sein soll, keine Leute, die stellvertretend darüber diskutieren.“

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