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SPIELFELD
28.12.2023

Schwegler: „Du musst den Berg selbst erklimmen“

Im Januar 2023 kehrte Pirmin Schwegler als Leiter Lizenzfußball zur TSG Hoffenheim zurück. Drei Jahre hatte der Schweizer schon zwischen 2014 und 2017 für die TSG als aktiver Spieler die Fußballschuhe geschnürt, die Mannschaft dabei zeitweise sogar als Kapitän angeführt. Schon nach einem halben Jahr folgte nun die Beförderung, er übernimmt als Leiter Profifußball eine Führungsrolle in der sportlichen Leitung des Klubs. Im SPIELFELD-Interview spricht der 36-Jährige über seine neuen Aufgaben, die besondere DNA der TSG Hoffenheim, seinen Anspruch an Authentizität und die Notwendigkeit, sich bei der persönlichen Entwicklung auch mal zu irren.

Pirmin, Du bist im Januar 2023 zur TSG zurückgekehrt, nachdem Du als Profi von 2014 bis 2017 hier gespielt hast und mit Hoffenheim bis in den Europapokal kamst. Seit Sommer bist Du nun Leiter Profifußball. Wie ist es für Dich, wieder hier zu sein?

„Ich bin einfach richtig gerne hier. Ich hatte damals schon als aktiver Spieler eine super Zeit, auch wenn es nur drei Jahre waren. Ich habe in jener Phase den Verein und die Leute hier lieben gelernt. Ich bin froh, wieder hier zu sein – und eine coole Aufgabe vorzufinden, mit der ich mich total identifizieren kann. Denn ich stehe komplett hinter dem Hoffenheimer Weg, also jungen Menschen hier eine Plattform zu bieten.“

War Dir diese Hoffenheimer Besonderheit schon als Spieler bewusst?

„Definitiv. Und das, obwohl ich selbst als Spieler ja nicht der Jungspund war, der hundertprozentig zu dieser Haupt-DNA gepasst hat. Aber es gehört einfach dazu, diese erfahrenen Jungs im Kader zu haben, um die jungen Spieler bei der Entwicklung zu unterstützen. Diese Idee, junge Menschen zu begleiten, zu betreuen und meinen Teil dazu beitragen zu können, sie auf den richtigen Weg zu bringen, das hat mich definitiv dazu bewogen, wieder hierher zu kommen.“

Nicht wenige waren überrascht von Deinem Wechsel. Du warst schließlich zuvor beim FC Bayern München, hast beim Rekordmeister als Chefscout gearbeitet…

„Für mich ist, ganz bildlich gesprochen, nicht so entscheidend, wie die Flasche von außen aussieht, sondern was letztlich drinsteckt. Es zählt nicht die Verpackung, sondern der Inhalt. Und hier kann ich täglich mit Menschen zusammenarbeiten, die gemeinsam etwas bewegen wollen, ich kann mich und meine Persönlichkeit einbringen, meinen Teil beitragen. Ich möchte mich und meine Position innerhalb des Klubs wahrlich nicht zu groß machen, weil es auch nicht meiner Art entspricht – aber ich spüre definitiv, dass ich ein entscheidender Teil davon sein kann, hier etwas zu bewegen. Zudem bin ich hier in Hoffenheim wieder sehr nah an der Mannschaft dran. Ich habe diese Nähe zwar nicht bewusst gesucht oder gepusht. Aber ich merke, dass mir das große Freude bereitet und in der täglichen Arbeit enorm zusagt.“

Wie sieht im Alltag Dein Kontakt zur Mannschaft aus?

„Bei den Trainingseinheiten bin ich, wenn es geht, immer mit dabei, bleibe aber im Hintergrund. Das finde ich wichtig, denn die entscheidenden Personen auf dem Platz sind die Spieler und das Trainerteam. Ich bin in der Beobachterrolle und versuche, viele Wahrnehmungen zu sammeln, um dann vielleicht im Zweifel auch mal eher früher als später Dinge intern mit den Spielern oder dem Trainer anzusprechen. Aber es ist überhaupt nicht so, dass ich ständig reingrätsche. Da kann ich mich schon sehr gut zurücknehmen. Zudem sehe ich mich auch als Bindeglied zu Alexander Rosen als Geschäftsführer, Bastian Huber als Technischer Direktor und Max Vollmar als Leiter der Lizenzspielerabteilung. Am Ende ist es in der sportlichen Führung eines Klubs – wie auch in einem Trainerteam – immer gutes Teamwork.“

Du hast den Trainer angesprochen. Wie ist der Austausch mit Pellegrino Matarazzo?

„Wir tauschen uns täglich aus, sprechen über viele Themen. Das bewegt sich total auf Augenhöhe und macht extrem viel Spaß. Das geht dann auch inhaltlich mal tiefer und kann in einer richtigen Diskussion enden. So eine konstruktive und vertrauensvolle Zusammenarbeit ist aber auch wichtig, um bestimmte Themen von Anfang an gemeinsam in die gleiche, richtige Richtung anzugehen.“

Im Kader stehen zudem Spieler, mit denen Du selbst noch auf dem Platz gestanden hast. Ist das in Deiner neuen Funktion eine spezielle Herausforderung?

„Für mich persönlich überhaupt nicht. Es geht immer darum, ehrlich miteinander zu sein, unabhängig davon, um wen es sich handelt. Das ist definitiv eine Prämisse von mir, weil ich es auch schon als Spieler total honoriert habe, ehrliches Feedback zu bekommen. Denn das zeigt, dass jemand ehrliches Interesse an dir als Mensch hat. Das ist auch ein Teil meiner Persönlichkeit. Ich gebe mich so, wie ich bin.“

Du sprichst den Faktor Authentizität an. Inwieweit muss man in der herausgehobeneren Position, wie Du sie nun bekleidest, öffentlich anders auftreten als man es charakterlich vielleicht wollen würde?

„Ich stelle mir schon bewusst die Frage, ob ich eine Rolle spielen muss. Meine Antwort darauf ist: Ich glaube nicht. Ich versuche immer, authentisch zu sein, weil das der Gegenüber auch spürt. Ich will ich selbst sein dürfen – und das auch bleiben. Natürlich werde ich, wenn es die Situation erfordert, auch einmal ungehaltener. Aber das ist dann eine ehrliche Reaktion. Das kommt aus mir heraus, wenn ich fühle, dass etwas in die falsche Richtung läuft. Aber man muss dabei nicht brüllen, man muss in der Kommunikation nur klar sein. Ich glaube, das kann alles auch auf einer sachlichen Art und Weise geschehen. Aber fragt mich das alles gern in zehn Jahren nochmal.“ (lacht)

Du warst insgesamt bei fünf Bundesligisten tätig. Was macht, ohne andere abzuwerten, die TSG denn aus?

„Ich war überall gern – aber hier kommst du am Ende wegen des Fußballs her. Ohne große Nebengeräusche, der Fokus gilt einzig und allein dem Sport. Hier dreht sich alles um die Frage: Wie kannst du die besten Bedingungen schaffen, dass auf dem Platz etwas Großes entstehen kann? Dazu gehört, dass man nicht nur davon redet, innovativ sein zu wollen, sondern auf diesem Gebiet auch viel passiert und man dementsprechend handelt. Zudem spielt der Grundgedanke von Dietmar Hopp, die Jugendförderung auch als Spitzenförderung anzubieten, eine große Rolle. Das ist für mich schon eine Besonderheit. Am Ende geht es aber vor allem um den Menschen. Das gilt ja auch für meine Arbeit bei der Kaderplanung: Ohne den entsprechenden Charakter und ohne die Beachtung des Menschlichen eines Spielers geht es definitiv nicht. Trotzdem führen etwa die wissenschaftlichen Daten dazu, ein rundes Bild zu bekommen. Ich würde es insgesamt so ausdrücken: Wenn das Menschliche nicht stimmt, helfen auch die besten wissenschaftlichen Daten nichts. Andererseits reicht ein guter Charakter allein aber eben auch nicht aus, um in der Bundesliga spielen zu können. Das ist ein sehr komplexes Feld.“

Du hast das Ziel Jugendförderung angesprochen. Wie sehr hast Du es Dir auf die Fahnen geschrieben, eigene TSG-Talente in die Bundesliga zu bringen?

„Natürlich spornt mich das an. Die Jungs sollen nicht bloß kurzfristig mal einen Kaderplatz erreichen. Ich habe schon Lust darauf, die Jungs so mitzuentwickeln, dass sie regelmäßig für die erste Elf in Frage kommen und da auch ihre Spielzeit erhalten. Jetzt stellt vielleicht der eine oder andere die Frage: Warum habt ihr dann im Sommer zwei, drei ältere Spieler geholt? Diese reiferen Charaktere haben einen wichtigen Part. Denn Spieler wie etwa Wout Weghorst, mit ihrer manchmal etwas unbequemen Art, legen den Finger auch mal in die Wunde und helfen den Jungs damit, sich weiterzuentwickeln.“

Nach Maximilian Beier, der sich innerhalb kürzester Zeit etabliert hat, und Tom Bischof hat zuletzt auch Bambasé Conté vom Trainer das Vertrauen geschenkt bekommen und sein Debüt gefeiert.

„Das freut uns natürlich. Diese Jungs haben sich das definitiv hart erarbeitet und verdient. Das soll und muss auch so sein. Der Trainer wird immer nach dem Leistungsprinzip aufstellen. Unser Anspruch muss es also sein, die Jungs so weit zu bringen, dass sie in den Gedankenspielen des Trainers für die erste Elf immer eine Rolle spielen. Dafür schaffen wir hier bei der TSG das entsprechende Umfeld und eine Plattform, auf der sie bestmöglich arbeiten können. Das ist eine wichtige und entscheidende Säule unseres Vereins, unseres Kaders – und das soll in Zukunft auch so bleiben.“

Inwieweit hat sich der Klub in den Jahren Deiner Abwesenheit verändert?

„Die DNA und die Grundidee sind geblieben – gleichzeitig entwickelt sich der Fußball überall weiter. Deshalb ist es schon elementar, dass man nicht stehen bleibt, als Verein weitere Schritte geht – und das ist definitiv passiert. Aber das ist auch nicht mit einem Tag X abgeschlossen, sondern ein laufender Prozess. Es reizt mich, daran mitzuwirken.“

Und wie weit hat sich der Fußball, mit Bezug auf Deine eigenen Anfänge als Profi, entwickelt?

„Der Fußball bewegt sich ja immer in Wellen. Was vor 20 Jahren ‚in‘ war, verschwindet erst und kommt dann oft unter neuem Namen wieder zurück. Klar ist: Der Fußball ist definitiv athletischer geworden. Also ich war damals schon nicht der Schnellste und wäre es heutzutage schon gar nicht. (lacht) Andererseits sagen wir heute auch immer: Wir brauchen Jungs, die schnell im Kopf sind, die ein Spiel lesen können. Und das wiederum gehörte sicher zu meinen größten Stärken. Deshalb ist es auf eine andere Art vielleicht doch gar nicht so anders als früher. Was sich allerdings fundamental gewandelt hat, ist das öffentliche Umfeld, die Medienlandschaft etwa hat sich natürlich komplett auf links gedreht. Ich bin froh, dass ich auch noch eine Zeit erleben durfte, in der man als Spieler auch mal etwas unternehmen konnte, was nicht direkt gefilmt, auf einem Netzwerk veröffentlicht und eine Sekunde später schon überall geteilt wurde. Davon möchte ich auch heute nicht zwingend ein Teil sein. Aber das ist ja nicht nur ein Phänomen des Fußballs.“

Sind die Anforderungen für einen jungen Spieler in diesem Feld womöglich wesentlich höher?

„Ja, zu 100 Prozent. Wir reden natürlich von Bundesliga-Spielern, von Profis, aber in erster Linie handelt es sich dabei immer wieder und vor allem um Menschen. Und alle jungen Spieler sollen auch Menschen bleiben, ihre Freiheiten genießen und auch ihre Erfahrungen machen dürfen. Das nehmen wir ihnen aber oft weg, weil wir es gar nicht mehr zulassen. Ich bin froh, dass ich auch Sachen ausprobieren und Fehler machen konnte. Das ist wichtig, denn nur so kann man auch wachsen. Das sage ich auch den Jungs hier in Hoffenheim. Das ist das Leben. Es ist nicht immer alles nur eine gerade Linie, die nach oben geht, du fällst auch mal hin, machst eine schwere Zeit durch. Diese Erfahrung muss jeder machen, das ist definitiv wichtig und das dürfen wir ihnen auch nicht aus falsch verstandener Rücksicht nehmen.“

Wo siehst Du als Klub-Verantwortlicher da Möglichkeiten zur Einflussnahme?

„Wie schon angesprochen: Entwicklung ist keine gerade Linie. Da führt keine Seilbahn gemütlich den Berg hinauf. Du musst den Berg schon selbst erklimmen, sonst weißt du nicht, wie du dort hingekommen bist. Ich stand als Spieler auch immer mal vor einem Berg und dachte, ich komme da nicht hoch – ich habe Stolpersteine erlebt, aber es hat mich am Ende nur stärker gemacht. Deswegen finde ich es wichtig, dass man den Jungs nicht alles abnimmt, sondern jeder auch seinen Weg gehen muss. Wir unterstützen die Jungs sehr, auch außerhalb des Platzes. Aber auf dem Rasen muss jeder dann allein funktionieren und Entscheidungen treffen. Wie soll ein Spieler da hinkommen, wenn er es außerhalb der 90 Minuten nie machen muss? Sie müssen alle ihre Erfahrungen machen, die kann ihnen auch kein Trainer, kein Sportdirektor abnehmen. Das ist eben das normale Leben. Du musst dich als Spieler selbst so oft in die Situation bringen, dass du am Samstag um 15:45 Uhr, wenn du allein vorm Tor stehst, ruhig bleibst und weißt, was zu tun ist.“

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