Tobias Nubbemeyer: Malochertum und spielerische Leichtigkeit
Der Übergang verlief nahtlos. Ende Juni spielte Nubbemeyer mit Philadelphia noch ein wichtiges Turnier in den Vereinigten Staaten, Stunden später saß er im Flieger nach Europa und bald darauf stellte er sich seiner neuen Mannschaft vor. Und auch wenn er als TSG-Trainer noch „der Neue“ ist: Nubbemeyer hat trotz seines jungen Alters bereits jede Menge Erfahrungen gesammelt – und das unter anderem bei einigen Wegbereitern der frühen Akademie-Erfolge.
Doch zunächst zu den Anfängen. Nubbemeyer wurde am 30. März 1993 in Münster als Sohn eines Richters und einer JVA-Leiterin geboren und bezeichnet sich selbst fußballerisch gesehen als Spätentwickler, für den es immerhin als solider Linksverteidiger zu einigen Oberliga-Einsätzen gereicht hat. „Mir hat es an der Schnelligkeit gefehlt, daher habe ich mich frühzeitig entschieden, parallel zu meiner aktiven Laufbahn auch Trainer zu sein und meine Scheine zu machen.“ So coachte er schon mit 16 Jahren von der U12 bis zur U15 Jugendteams seines Heimatvereins 1.FC Gievenbeck.
Beim VfL Osnabrück startete er einen Versuch, Profi zu werden, und auch wenn es dann nur zu Einsätzen in der Zweiten gereicht hat, so hatte der Wechsel nach Osnabrück auch etwas Gutes: In der Hasestadt machte Nubbemeyer seinen Bachelor in Sport und Deutsch, dem er später noch den Master-Abschluss in Essen hinzufügte. Für seine Abschlussarbeit „Videoanalyse im Leistungsfußball“ sprach er mit mehreren Trainern, unter anderem mit den U17-Coaches von Bayer Leverkusen und Borussia Dortmund.
Leipzig, Philadelphia ... Hoffenheim
„Ich habe mich ab da voll auf die Trainerlaufbahn konzentriert und im fußballverrückten Ruhrgebiet ideale Voraussetzungen vorgefunden“, sagt Nubbemeyer. 2015 übernahm er gemeinsam mit Benjamin Seifert (heute VfL Bochum U15) als Trainerduo die U17 des Dortmunder Stadtteilklubs Hombrucher SV, und stieg auf Anhieb von der Verbandsliga in die Bundesliga-West auf, nachdem sich das Team in den Aufstiegsspielen ausgerechnet gegen Preußen Münster durchgesetzt hatte. Mit dem kleinen Klub hielt er dann als Alleinverantwortlicher sogar die Klasse, feierte unter anderem Siege gegen Leverkusen, Duisburg und Düsseldorf und machte sich so mit gerade mal 23 Jahren einen Namen.
Anschließend begegnete Nubbemeyer erstmals einem ehemaligen Hoffenheimer, als er während einer Hospitationswoche in Salzburg den dortigen Nachwuchsleiter Ernst Tanner, Akademie-Chef von 2009 bis 2011, kennenlernte. Schließlich landete der Trainer-Emporkömmling in Leipzig, wo er bei RB in der U19 und später in der U17 assistierte und mit weiteren ehemaligen TSGlern wie Ralf Rangnick, dessen Mentor Helmut Groß und Wolfgang Geiger zusammenarbeitete. „Ich habe sehr von ihnen profitiert und deren Idee vom Fußball, der auch in Hoffenheim attraktiv und erfolgreich war, verinnerlicht“, so Nubbemeyer, der dann aufgrund seiner Prägung erneut mit Tanner in Kontakt kam. Der war mittlerweile Sportchef bei Philadelphia Union und installierte seinen Wunschkandidaten 2019 im Academy-Flaggschiff U17, um dort jenen Rangnick-Stil zu implementieren. Mit Erfolg.
In den vier Jahren in den USA holte Nubbemeyer mit Philadelphia zwei bedeutende Titel. 2022 wurde er US-Meister, im April 2023, also vor wenigen Monaten, gewann er mit seinem Team den Adidas Generation Cup in Florida, an dem auch viele internationale Top-Klubs teilnahmen, unter anderem Flamengo, Palmeiras und Manchester United. Zudem wurde die Union-Academy 2023 zur besten der Vereinigten Staaten gekürt. Viele spätere MLS-Profis oder der auch der heutige Bundesliga-Spieler Paxten Aaronson (Eintracht Frankfurt) sowie Marcos Zambrano, aktuell in der U23 Benfica Lissabons, zählten zu seinen Schützlingen. Noch vor dem Ablauf seiner vier Jahre in den USA entschied sich Nubbemeyer, das Kapitel Philadelphia zu beenden und den nächsten Schritt in seiner Heimat zu machen.
Aufgrund seiner Vita weckte Nubbemeyer das Interesse der TSG-Verantwortlichen. Mit seiner Verpflichtung streben sie eine Rückkehr zu den Wurzeln an, oder, wie es Nubbemeyer beschreibt: „Bock auf das Spiel gegen den Ball haben, aggressives Zweikampfverhalten an den Tag legen und viel laufen, gepaart mit Malochertum und spielerischer Leichtigkeit.“
Gekommen, um zu bleiben
Der 30-Jährige will nun im Kraichgau seinen eigenen Stil weiterentwickeln, aber natürlich hat auch er in Anführungszeichen „Vorbilder“, deren Arbeit er sehr schätzt. „In erster Linie ist das Jürgen Klopp, den ich dafür bewundere, dass er immer in langen Zyklen arbeitet und seine Vorstellungen etabliert“, so Nubbemeyer, den auch die Arbeit Erik Ten Haags bei Ajax Amsterdam beeindruckt hat. Der Hoffenheim geprägte Julian Nagelsmann sowie dessen Bayern-Nachfolger Thomas Tuchel tauchen ebenfalls in der Liste jener Trainer, die ihn inspiriert haben, auf. Bezugnehmend auf Klopps lange Amtszeiten sagt er: „Ich bin gekommen, um zu bleiben, möchte hier etwas aufbauen und nicht gleich beim erstbesten Angebot wieder verschwinden.“
Das nächste Kapitel im spannenden Lebenslauf wird gerade aufgeschlagen. Für frühere Hobbys hat Nubbemeyer momentan keine Zeit. Der Fokus gilt der Familie und dem Fußball, an dem er unter anderem so schätzt, dass er viel offenlegt. „Niemand kann sich hier hinter dem Schreibtisch verstecken. Wenn es eng wird, kommt die Wahrheit ans Licht.“
Die ersten Eindrücke von seiner neuen Wirkungsstätte beschreibt der neue U19-Cheftrainer als sehr professionell, und obwohl er um die anstehende Eingewöhnungsphase weiß, ruft er klare Ziele aus: „Entwicklung und Erfolg gehen Hand in Hand, daher streben wir neben der individuellen Ausbildung der Talente natürlich auch gute Ergebnisse und attraktive Spiele an. Platz eins bis drei in der Bundesliga Süd/Südwest halte ich für realistisch, auch wenn viel von den letzten Prozentpunkten in den engen Spielen gegen Top-Teams abhängen wird.“
Das erste gemeinsame Trainingslager im niedersächsischen Wesendorf inklusive erfolgreicher Tests gegen Arminia Bielefeld (4:0), den VfL Wolfsburg (5:1) und den Hamburger SV (4:0) liegt bereits hinter ihm. Auch beim Bundesliga-Cup schnitt die U19 mit Platz drei ordentlich ab, auch wenn Nubbemeyer – in dieser frühen Saisonphase verständlich – hier noch viel Verbesserungspotenzial sah, sowohl bei den Jungs als auch bei sich selbst.
Ernst wird es schließlich am 12. August, wenn die U19 der TSG Hoffenheim beim 1.FC Heidenheim das erste Pflichtspiel in der Ära ihres 14. Trainers bestreitet.