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SPIELFELD
05.12.2022

Oliver Baumann: „Ich habe mir keine Grenze gesetzt“

Oliver Baumann bestreitet bereits seine neunte Saison bei der TSG Hoffenheim. Seit dem ersten Tag im Sommer 2014, als er vom SC Freiburg kam, ist der gebürtige Breisacher Stammtorhüter. Im Interview mit SPIELFELD erklärt der 32-Jährige, dass er eigentlich eine andere Sportart als die Feldspieler betreibt und der Aufwand für Torhüter extrem hoch ist. Gedanken an ein baldiges Karriereende hegt Baumann noch nicht, vielmehr strebt er weiterhin große Ziele an: einmal das Tor der Nationalmannschaft zu hüten und bald wieder mit der TSG international anzutreten.

Oli, Du hast in dieser Spielzeit drei Meilensteine gesetzt: Du hast das 400. Bundesligaspiel absolviert, das 300. Pflichtspiel für die TSG bestritten und bist zum 100. Mal in einem Bundesligaspiel ohne Gegentor geblieben. Was bedeuten Dir diese Marken?

„Erstmal zeigt es mir, dass ich wirklich schon eine Weile dabei bin. (lacht) Ich sage nicht oft, dass ich stolz auf mich bin, aber nach diesen Zahlen war ich es schon. 400 Bundesligaspiele insgesamt und 300 Partien für die TSG erreichen nicht viele. Auch 100 Zu-Null-Spiele schaffen nicht viele Torhüter. Hundert weiße Westen, das ist schon ordentlich. Die drei Marken sind cool, ich habe mich sehr darüber gefreut. Aber dann war ich auch schon wieder so gepolt: ‚Okay, 401 muss auch wieder gut werden, 402 auch.' Wenn ich das Vergangene mit ins Aktuelle nehme, können Fehler passieren. Man darf nur ganz kurz genießen und muss dann wieder von null anfangen. Jeden Tag fange ich eigentlich wieder bei null an, denn wenn du dich ausruhst, verbesserst du dich nicht.“

Wegen der WM in Katar begann die Bundesligapause früh, schon nach 15 Spieltagen. Kannst Du schon ein Fazit ziehen, wie es für die TSG im ersten Saison-Abschnitt gelaufen ist?

„Wir haben den richtigen Weg eingeschlagen und viele Sachen in dieser Saison unter André Breitenreiter verbessert, eine fußballerische Entwicklung war immer wieder erkennbar. Es geht in die richtige Richtung. Aber wir haben zuletzt zu viele Punkte liegen gelassen. Wir müssen die nächsten Schritte machen, noch klarer werden und unsere Dominanz, die wir in allen Spielen hatten, besser ummünzen. Die Pause kommt uns gelegen, wir müssen hart an uns arbeiten und ehrlich in der Analyse sein, um im neuen Jahr wieder an unsere guten ersten Saisonspiele anknüpfen zu können.“

Du hast den Trainer gerade ausdrücklich erwähnt. Wie bewertest Du als stellvertretender Kapitän des Teams seine Arbeit?

„Er hat große Erfahrung, was die Mannschaft und der Verein auch braucht, gerade nach der abgelaufenen Spielzeit. Ich denke, es war der perfekte Schachzug, ihn zu holen. Er trifft super Entscheidungen auf und neben dem Platz, er lässt attraktiven Fußball spielen, das passt zu unserer Mannschaft und zum Verein. Er fordert Dinge ein und wenn etwas mal nicht so läuft, kommuniziert er auch sehr stark. (lacht) Oder lässt dann Taten sprechen. Er ist sehr klar – das Gesamtpaket ist einfach gut.“

„Ich versuche, mich in allem zu verbessern, immer und immer wieder“

Du wirkst auch sehr klar. Diejenigen, die Dich gut kennen, sagen, dass Du mit 32 Jahren noch immer Dinge suchst, um Dich zu verbessern.

„Ich versuche, mich in allem zu verbessern, immer und immer wieder. Egal ob Flanken, Fußarbeit, Torverteidigung, Eins-gegen-Eins-Situationen, wirklich alles kann man perfektionieren. Das war schon immer meine Herangehensweise und ich glaube, diese Richtung ist die richtige, weil ich mich auch aktuell damit sehr wohlfühle. Es muss das Ziel jedes Torhüters sein, keine Fehler zu machen. Deswegen bin ich sehr detailversessen und versuche, jede Aktion, die ich habe, absolut bewusst zu machen, nicht einfach nur den Ball irgendwie zu halten, sondern ihn festzuhalten oder so abzulenken, dass die Wahrscheinlichkeit am geringsten ist, dass ein Gegenspieler ihn bekommt.“

Heißt das, dass Du selbst bei einem Kullerball noch so fokussiert bist wie bei einem Freistoß oder einem Eins-gegen-Eins-Duell?

„Wenn du bei einfachen Bällen denkst, ja, den habe ich eh‘, dann machst du Fehler. Es ist ein blöder Spruch, dass das nächste Spiel immer das schwierigste ist, aber genauso ist für mich die nächste Aktion auch immer die schwierigste, egal wie einfach sie erscheint. Das ist meine Herangehensweise.“

Es gibt nicht wenige Experten, die die Position des Torwarts als die wichtigste im Fußball bezeichnen. Siehst Du das auch so?

„Das sage ich auch, aber ich bin da nicht ganz so neutral. (lacht). Manchmal hört man auch von den Torleuten, dass sie die härteste Position haben, denn du schmeißt dich da ständig rum, im Winter auf den harten Plätzen, hast im Spiel diese Eins-gegen-Eins-Kämpfe, in denen du gegen die Bewegung der Gegenspieler läufst und es gefährlich werden kann. Für mich ist es so, dass Torwart im Vergleich zu den Feldspielern eine andere Sportart ist.“

Du gehst so weit und sagst, Du betreibst im Prinzip einen anderen Sport als Deine Mitspieler?

„Für mein Empfinden ist es so. Meine Art von Torwartspiel verlangt das auch. Wir Torleute trainieren viel mehr als die Feldspieler, fangen vor der Mannschaft an, machen mehr Krafttraining als die meisten, dann kommt noch das Mental- und Neurotraining dazu. Auf fünf Trainingstage pro Woche macht das zwischen drei und vier Stunden Mehraufwand aus, den wir bei der TSG in der Torwartgruppe betreiben.“

Wie lange willst Du diesen Aufwand noch betreiben?

„Grundsätzlich möchte ich schon noch ein paar Jahre spielen, aber vielleicht überkommt es mich auch und ich sage: ‚Hey, ich habe jetzt einfach keinen Bock mehr, denn ich habe mein ganzes Leben für den Fußball geopfert.‘ Aber im Moment macht es mir noch zu viel Spaß und ich habe zu wenig Schmerzen, um nicht weiter zu machen. (lacht) Toi, toi, toi. (klopft auf den Tisch) Aber vielleicht kommen die Schmerzen eines Tages.“

Wie stark ist das Gefühl, dass Du viel opfern musst für die Karriere?

„Unter der Woche habe ich überhaupt kein Problem damit, aber wenn wegen Länderspielen die Wochenenden mal frei waren, fiel mir ein, an wie vielen Tagen im Jahr wir spielen. Natürlich ist es etwas Besonderes in der Bundesliga zu spielen, aber man investiert einfach auch enorm viel Zeit. Sehr viele Wochenenden fallen weg, denn nach einem Spiel am Samstag steht am Sonntagvormittag gleich wieder Training an. Ein halber Tag frei ist kein echtes Wochenende. Zeit mit Frau, Familie und Freunden geht dir verloren. Das unterschätzen viele. Es heißt oft: ‚Die Fußballer verdienen zum einen viel Geld und zum anderen haben sie viel Zeit.‘ Ich habe aber nicht viel Zeit, weil ich verdammt viel investieren muss für meinen Job, damit ich schmerzfrei bin, damit ich Leistung zeige. Natürlich zwingt mich keiner dazu. Aber an dem Punkt an dem ich sage: ‚Nein, das will ich nicht mehr‘, bin ich noch nicht angekommen.“

„Ich bin noch viel zu ehrgeizig, um darüber nachzudenken, nicht mehr zu spielen“

Hast Du schon einen Karriereplan aufgestellt und Dir überlegt, bis dahin soll es schon noch gehen? Oder entscheidest Du dann spontan, dass Du keine Lust mehr hast?

„Aktuell habe ich mir keine Grenze gesetzt. Vielleicht spiele ich auch noch mit 38, 39. Vielleicht sage ich aber auch, ich setze mich irgendwann mal noch zwei Jahre auf die Bank und bringe den Jungen noch einiges bei und führe sie heran. Aber Stand jetzt bin ich noch viel zu ehrgeizig, um darüber nachzudenken, nicht mehr zu spielen. Ich habe meine Ziele, noch ein Länderspiel zu machen, wieder mit der TSG international zu spielen. Das will ich alles noch erleben. Da steht also noch kein konkreter Gedanke an ein Karriereende dahinter. Man kann es gut so ausdrücken: Ich bin noch nicht fertig.“

Du hast beschrieben, dass Du fokussiert bist auf Deinen Job. Kannst Du Dir vorstellen, was es bedeutet, wenn Du wirklich eines Tages aufhörst?

„Ich mache mein ganzes Leben nichts anderes. Ich bin mit 18 Jahren Profi geworden, vorher in der Jugend lag der Fokus auch schon auf dem Fußball. Quasi seit 20 Jahren ist jeder Tag durchstrukturiert. Training, Essen, Schlafen. Ich glaube, da kommen völlig neue Probleme auf mich zu, wenn ich aufhöre, Fußball zu spielen. Wie strukturiere ich dann den Tag? Die Woche? Das weiß ich jetzt noch nicht. Aktuell und seit 20 Jahren bekomme ich jede Woche einen neuen Plan, wie jeder einzelne Tag aussieht.“

Wie wäre Dein Weg ohne Profi-Fußball verlaufen? Kannst Du Dir das vorstellen?

„Das weiß ich auch nicht, denn dafür lief es im Fußball zu gut. Beim SC Freiburg bin ich aus der Jugend gleich zu den Amateuren gekommen. Mit dem ersten Amateur-Vertrag bekam ich ein Gehalt, von dem ein Erwachsener leben kann, zumal ich anfangs noch bei meinen Eltern gewohnt habe. Dann habe ich meinen Zivildienst gemacht, Hausmeister bei der Freiburger Turnerschaft, nebenher zum Fußball. Das war auch gut für mein Fußballer-Leben, weil ich dabei sehen konnte, was normale Arbeit ist. Wenn es mit dem Profifußball nicht geklappt hätte, wäre ich dem Sport irgendwie treu geblieben, aber ich weiß nicht, in welcher Richtung.“

Auch wenn Du noch nicht weißt, wann Du aufhörst, gibt es schon Pläne für die Zeit nach der Profi-Karriere?

„Die haben mit Sport oder Fußball zu tun. Ich denke derzeit eher nicht daran, Trainer zu werden, weil ich die Wochenenden frei haben möchte. Mir würde es Spaß machen, jungen Spielern etwas mitzugeben, weil ich sehe, wie die Jungs hier zu uns kommen und noch einiges nicht mitbekommen haben. Meine Erfahrung weiterzugeben, in welcher Form auch immer, ob nur an Torhüter oder auch an Feldspieler, das würde mir große Freude bereiten. Torhütern könnte ich wahrscheinlich sehr viel vermitteln. Aber wie das aussehen kann, das weiß ich noch nicht. Aber als klassischer Trainer, wie es Michael Rechner mit mir macht, puh, das wäre extrem viel Aufwand. Er ist noch weniger daheim als ich. Ich möchte etwas gestalten nach der Karriere. Ob das auf Vereinsseite ist, oder vielleicht auch beim DFB, indem ich Jugendlichen beratend und begleitend zur Seite stehe, das muss man sehen. Aber ich möchte nicht mehr Zeit investieren als jetzt. Das ist auch praktisch gar nicht möglich.“

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