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ALLGEMEIN
25.11.2022

Die nackte Wahrheit

Mehr als 200 Frauen werden jährlich in Deutschland getötet – allein wegen ihres Geschlechts. Höchste Zeit, diese Gewalt zu ächten. Eine Initiative macht nun bildstark auf das Problem aufmerksam – und fordert von der Politik mehr als nur warme Worte. Die TSG Hoffenheim unterstützt dieses Ansinnen.

Es sind die blanken Zahlen, die frösteln lassen. 179 Femizide sind bis Anfang November 2022 bereits in Deutschland für das laufende Jahr dokumentiert. 179 Frauen, die ihr Leben verloren, allein, weil es Gewalt gegen Frauen gibt. Eine erschreckende, eine fürchterliche Bilanz. Und eine, die immer noch viel zu wenig Aufmerksamkeit erhält.

Jemand, der das ändern möchte, ist Prof. Dr. Kristina Wolff, die mit ihrem Femicide Observation Center Germany (F.O.C.G) gemeinsam mit der Femen-Bewegung eine Initiative gestartet hat, die auch von der TSG Hoffenheim unterstützt wird. Die promovierte Wissenschaftlerin dokumentiert seit Januar 2019 in aufwendiger, ehrenamtlicher Arbeit sehr detailliert die Femizide in Deutschland. Am 25. November wird weltweit an diese geschlechtsspezifischen Verbrechen erinnert – am „International Day for the Elimination of Violence Against Women“. Auch Kristina Wolff wird mit ihren Mitstreiterinnen an diesem Tag aktiv – sichtbar aber werden sie ohnehin sein. Dank einer dezidiert aufrüttelnden Plakatkampagne, die an knapp 100 Stellen in verschiedenen Metropolen, von Berlin über Stuttgart und München bis nach Hamburg und Leipzig, großflächig geklebt wird.

Durch diese mediale Aufmerksamkeit soll zumindest das Bewusstsein geschärft werden, doch an was es eigentlich mangelt, erklärt Wolff: „Bei Femiziden geht es weder um Milieu, Religion, Beziehung, Krankheit, Kultur, Familie, Kleidung, Verzweiflung, Bildung, Ehre oder gar Liebe“, erklärt die Wissenschaftlerin. „Bei Femiziden geht es immer nur um Macht und Kontrolle.“ Im Feld des Sports, auch im Fußball waren zuletzt wiederholt Vorfälle dieser Art publik geworden. Es ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, keine Randerscheinung oder gar eine soziale Frage. „Jeden Tag erfahren Frauen Gewalt durch Männer – einfach nur, weil sie frei und selbstbestimmt leben wollen. Jeden Tag werden Frauen verletzt, traumatisiert oder sogar getötet – weil sie sich männlichem Herrschaftswahn widersetzen. Auch in unserem Land ist das Ausmaß frauenfeindlicher Gewalt erschütternd.“ Das sind nicht die Aussagen meinungsstarker Aktivistinnen; diese Sätze aus dem Sommer 2022 stammen von Marco Buschmann, dem amtierenden Bundesjustizminister.

Gewalt gegen Mädchen und Frauen ist, daran besteht kein Zweifel, strukturell und tradiert. Genau das unterscheidet sie grundlegend von der Gewalt gegen Männer. Was dagegen hilft? Die so genannte Istanbul-Konvention, im Original mit dem Titel „Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“, ist europäisches Recht, seit Februar 2018 auch für Deutschland rechtsverbindlich. Doch die konsequente Umsetzung lasse auf sich warten, wie Prof. Dr. Kristina Wolff bemängelt: „Wir wollen Taten sehen, Worte hörten wir genug.“

Allen politischen Bekundungen zum Trotz fehle es bis heute an ausreichenden Mitteln. Es mangele an einer nationalen Strategie, so Wolff mit Blick auf Nachbarstaaten. „Deutschland muss das Rad ja gar nicht neu erfinden.“ Ein Blick nach Frankreich oder Belgien, wo es diese Pläne bereits seit Jahren gäbe, fortlaufend aktualisiert und budgetiert, würde genügen. Ihre bittere Erkenntnis: „Die Umsetzung der Istanbul-Konvention ist auf Bundesebene politisch nicht gewollt.“ Es müsse um Prävention gehen, nicht um die Bekämpfung von Post-Traumata. Ganz praktisch seien ebenso Schulungen von jungen Männern und Anti-Gewalt-Trainings notwendig wie eine neue, gesamtgesellschaftliche Haltung. Gewalt gegen Frauen müsse in Gänze geächtet werden: „Eine Bewusstseins-Kampagne, wie sie jetzt auch dankenswerterweise von der TSG Hoffenheim unterstützt wird, ist ja eigentlich eine staatliche Aufgabe“, sagt die Wissenschaftlerin Wolff, die zugleich als Aktivistin aber vor allem eins kennenlernt: „Wegsehen, Weghören, Wegducken – das ist beschämend.“

Dabei ist der Wert abseits ethischer Normen und Grundrechte sogar zusätzlich auf der monetären Ebene offenkundig. Gewalt gegen Frauen, so hat es das European Institute for Gender Equality (EIGE), eine Agentur der Europäischen Union, im Herbst 2021 in einer wissenschaftlichen Studie errechnet, kostet die Gesellschaft in Deutschland rund 53 Milliarden Euro im Jahr. Die physischen und emotionalen Folgen, die Kosten in Gesundheitssystem, bei Polizei und Justiz sowie der Arbeitsausfall der Betroffenen summieren sich auf mehr als 145 Millionen Euro täglich. Das bittere wie treffende Fazit von Prof. Dr. Kristina Wolff: „Wir alle können uns Gewalt gegen Frauen in jeder erdenklichen Hinsicht nicht leisten.“

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