Alle Ergebnisse TSG eSPORTS TSG IST BEWEGUNG TSG Radio
SPIELFELD
08.08.2022

Breitenreiter: „Hier steht Fußball im Mittelpunkt“

André Breitenreiter ist seit Ende Juni neuer Cheftrainer der TSG Hoffenheim. Der 48-Jährige führte den FC Zürich sensationell zur Schweizer Meisterschaft und wechselte anschließend zurück in die Bundesliga, wo er zuvor bereits Schalke 04, Hannover 96 und den SC Paderborn betreut hatte. Im Kraichgau überzeugte der ehemalige Bundesliga-Spieler in der kurzen Zeit Spieler wie Anhänger. Im Interview mit SPIELFELD spricht der Hoffenheimer Coach über seine Art der Kommunikation, über Teamspirit, über Ausreden, den Austausch mit den Fans und die Spielidee der TSG.

André, in der Vorbereitung wurde sehr intensiv trainiert, viele Spieler sprachen von den anstrengendsten Wochen in ihrer Karriere. Wie gut ist die Mannschaft auf den Saisonstart eingestellt?

„In der Vorbereitung wird die Basis geschaffen, um eine erfolgreiche Saison zu spielen. Dazu gehören intensive Trainingseinheiten, um die konditionellen und spielerischen Grundlagen zu legen. Es geht aber auch darum, dass sich die Spieler in dieser Zeit beweisen und alles geben, um sich zu zeigen.“

Inwiefern wurdest Du in dieser Hinsicht von Deinen Trainern geprägt, als Du selbst noch Spieler warst?

„Ich hatte als Spieler meine erfolgreichsten Zeiten dort, wo wir intensiv trainiert haben und ich entsprechend fit war. Daher wollen wir als Trainerteam den Jungsvermitteln, dass die Vorbereitung eine sehr wichtige Zeit ist, um in der Saison erfolgreich zu bestehen. Bei Magath haben immer die gespielt, die im Training am meisten Gas gegeben haben. Das habe ich definitiv als fair und richtig empfunden. Deswegen gilt, unabhängig von Namen und Verein: Wer meint, dass er mit Halbgas in die Startelf rückt, hat keine Chance. Am Ende zählt bei unserer Aufstellung der Leistungsgedanke. Und ich kann sagen: Hier hat bisher die ganze Mannschaft richtig gut mitgezogen.“

„Jeder sollte den maximalen Erfolg anstreben“

In der vergangenen Saison blieb zum Ende hin der Erfolg aus. Wo setzt Du an, damit sich das ändert?

„Es müssen viele Mosaiksteinchen dazu beitragen, damit eine Mannschaft erfolgreich ist. Dazu gehören die Spieler, das Trainer-Team, der Betreuerstab, die Mitarbeiter des Klubs und natürlich die Fans. Jeder sollte den maximalen Erfolg anstreben. Eine Saison ist eine große Herausforderung, und die gehe ich gemeinsam mit allen mit vollem Einsatz an. Ich will als Trainer vorleben, dass ich überzeugt von den Dingen bin, die wir vorhaben – klar und offen in der Kommunikation, aber auch fordernd auf und neben dem Platz. Ich möchte mit allen bei der TSG an einem positiven Selbstwertgefühl arbeiten. Die ersten Wochen liefen dabei vielversprechend, aber natürlich braucht es dazu auch Erfolgserlebnisse. Die kann man nicht herbeireden, man muss sie sich auf dem Spielfeld erarbeiten, mit einer Art von Fußball, die begeistert. Unser Torwart, Oliver Baumann, hat in einem Interview gesagt, dass wir gegenüber Fans und Klub etwas gutzumachen haben. Das finde ich einen sehr guten Ansatz.“

Woran gilt es zu arbeiten, damit die Spieler besser auftreten als im vergangenen Jahr?

„Wenn die Spieler die Sicherheit in den Abläufen auf dem Platz spüren, geht vieles leichter. Wir müssen es schaffen, dass die Automatismen sitzen. Wir haben zum Beispiel im Training für die Stürmer viele Abschlüsse geübt. Dadurch entsteht eine Art Selbstverständlichkeit, dass sie in Drucksituationen während eines Spiels genau die Option wählen, mit der höchsten Wahrscheinlichkeit ein Tor zu erzielen. Diese Sicherheit gibt Stärke und macht besser. Ein anderes Beispiel: Du machst heutzutage keinen Bundesliga-Spieler mehr besser, weil du Schnelligkeit trainierst. Wenn ein Spieler Mitte 20 ist, wird er nicht mehr wesentlich schneller. Die Jungs sind ausgereift. Stattdessen geht es darum, dass sie sich schneller fühlen, das hat etwas mit Frische und Explosivität zu tun.“

Wie gelingt es, dass die Jungs dieses Gefühl spüren?

„Der Spieler will im Grunde drei Fragen beantwortet haben: Hat der Trainer eine gute Kommunikation zu mir? Kann er mich besser machen? Und gewinnen wir zusammen Spiele? Wir versuchen alle hier einen Weg zu finden, diese Fragen positiv beantworten zu können.“

Bei der TSG wurde in den vergangenen Jahren vieles spielerisch gelöst und von hinten rauskombiniert, anstatt den Ball nach vorn zu schlagen. Wie sehr passt das zu Deiner Spielphilosophie?

„Ich mag diesen Ansatz. Wir haben auch die entsprechenden Spieler dafür. Ich will nicht, dass wir den Ball nach vorn knallen und dann die Daumen drücken. Dafür sind unsere Spieler zu gut. Dennoch geht es darum, eine Mischung zu finden. Man darf sich auch mal nicht zu schade sein, das Pressing des Gegners zu überspielen. Das heißt aber nicht, dass der Ball blind nach vorn geschlagen werden soll.“

Ist die Dreierkette, mit der Ihr in der Vorbereitung gespielt habt, die bevorzugte Formation?

„Ich muss die Spieler in ihre beste Position bringen, daraus ergibt sich dann die Formation. Es geht vor allem um die Variabilität. Bei der TSG hat das 3-5-2-System in der Vergangenheit Erfolg gebracht und die Jungs sind es auch gewöhnt. Innerhalb eines Spiels kann sich das aber ändern. Wir haben gegen den Ball auch schon im 3-4-3 attackiert oder mit einer Viererkette agiert. Von daher sind wir flexibel.“

„Wir wollen gemeinsam etwas bewegen“

Was stimmt Dich optimistisch, dass die Saison ein Erfolg wird?

„Bei der TSG steht der Fußball im Mittelpunkt. Ich habe in Zürich gemerkt, was dann möglich ist. Bei meinen vorherigen Stationen gab es immer auch mal Störgeräusche von außen und andere Dinge, die die Schlagzeilen dominiert haben. Hier dagegen besteht die Möglichkeit, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Das ist ganz wichtig, um erfolgreich zu sein. Deshalb habe ich mich auch so schnell für Hoffenheim entschieden. Ich verspüre eine große Lust auf die gemeinsame Zeit. Alle ziehen mit, Spieler, Staff, Mitarbeiter, Fans. Und ich hoffe, dass sich diese positive Stimmung verfängt. Es ist klar, dass nicht gleich alles sofort funktionieren kann. Aber die Jungs sind bereit und wir arbeiten alle weiter fokussiert. Wir wollen gemeinsam etwas bewegen.“

Du bist sehr locker mit den Ansprüchen umgegangen und hast gesagt ‚Ich will auch auf dem Balkon stehen‘…

„Natürlich wirkt das erstmal zu hochgegriffen. Es ist wichtig, realistisch zu bleiben und unsere Situation einzuordnen. Aber es geht grundsätzlich darum, ein Bild zu schaffen, das alle vor ihrem Auge sehen können. Jeder weiß dann, wie dieses Ziel aussieht. Es geht um Visionen für alle hier und im Umfeld, die man erreichen kann, wenn man alles dafür gibt. Und hier sehe ich die Begeisterung und eben auch extrem viel Potenzial. Das heißt aber nicht, dass wir dann automatisch gleich mit oben stehen. Wir müssen hart dafür arbeiten. Aber was spricht denn eigentlich dagegen, wenn man solche Dinge auch ausspricht, die eigentlich nur logisch sind? Ich meine, deshalb spielen wir doch alle Fußball. Ich geh´ doch nicht als Kind auf‘n Bolzplatz, weil ich Tore verhindern möchte. Ich möchte Tore schießen und gewinnen.“

Du hast bei Deiner Vorstellung Ende Juni gesagt: ‚Kommunikation ist das Wichtigste für mich.‘ Wie sieht Deine Ansprache an die Mannschaft aus?

„Kommunikation heißt für mich erstmal, dass ich offen bin für den Austausch mit allen. Wenn ich immer distanziert bin und nur in der beobachtenden Rolle, dann entwickele ich auch kein Zusammenspiel mit der Mannschaft, den Betreuern und Mitarbeitern. Das ist meine Überzeugung. Deswegen bin ich immer sehr dicht dran. Ich möchte Menschen kennenlernen, um jeden Einzelnen zu verstehen. Für mich ist wichtig, auch Hintergründe über die Spieler oder Kollegen zu erfahren und mich für ihre persönliche Geschichte zu interessieren. Jeder Mensch benötigt etwas anderes im Umgang, der eine mehr Führung, der andere etwa mehr Ruhe. Dafür will ich ein Gespür entwickeln.“

Gab es in Deiner Trainer-Karriere auch mal Momente, die Du heute anders lösen würdest?

„Natürlich. Es gibt nicht den perfekten Trainer und es wäre auch fatal zu meinen, dass man alles richtig macht. Viel wichtiger ist es, aus den Fehlern zu lernen und dafür zu sorgen, dass sie sich nicht wiederholen. Ich versuche jeden Tag, an mir zu arbeiten. Ich bin ein emphatischer Typ, der viel aus der Intuition und dem Bauchgefühl heraus entscheidet. Ich will ein Trainer sein, wie ich ihn als Spieler selbst gerne gehabt hätte. Ich weiß durch meine eigene Karriere, was die Jungs gebrauchen können und worauf man genau achten sollte.“

Du hast selbst 144-mal in der Bundesliga gespielt. Hilft es Dir, dass Du Dich in die Spieler hineinversetzen kannst?

„Es wäre schlimm, wenn es anders wäre. Ich kenne die Tricks der Spieler. Ich kenne jede Ausrede, denn ich habe sie selbst benutzt. (lacht). Da fällt es mir viel leichter, auf einen Spieler zuzugehen und einzuwirken. Ich fand Trainer gut, die mir ein klares Feedback gegeben haben. Auch, wenn es kritisch war und ich vielleicht in dem Augenblick mal schlucken musste. Wenn ich eine Lösungsmöglichkeit mitbekommen habe, wusste ich, woran ich arbeiten konnte, damit ich auch eine Chance hatte zu spielen. Ich hatte aber auch Trainer, die mir gesagt hatten, dass ich der beste Spieler sei. Zum Einsatz kam ich trotzdem nicht. Das würde ich niemals so machen. Wenn ein Spieler wissen will, warum er nicht spielt, bekommt er von mir klare Ansagen. Aber eben auch Unterstützung und Hilfe, damit er daran arbeiten kann. Ich belohne es dann auch, wenn ich sehe, dass er an sich arbeitet. Es ist wichtig, einen korrekten Umgang mit den Spielern zu haben. Auch wenn ich es nicht immer jedem recht machen kann.“

„Denn ein Team ist erfolgreicher, wenn es gemeinsam mit Spaß an die Aufgabe herangeht“

In den vergangenen Wochen haben wir vor allem den gut gelaunten und optimistischen André Breitenreiter gesehen. Gibt es auch eine andere Version, musste der auch schon mal laut werden?

„Es besteht für mich kein Grund, mit einer ernsten Miene durch die Gegend zu laufen. Es hilft im Fußball, wenn ich befreit aufspielen kann und keine Angst habe. Die Spieler dürfen Fehler machen, dafür wird ihnen nicht der Kopf abgerissen. Sie sollen mutig sein, das versuchen wir ihnen zu vermitteln. Momentan sehe ich keine Probleme, ich sehe Begeisterung und Vorfreude. Alle ziehen mit, nicht nur auf dem Platz, sondern auch drumherum. Es entsteht ein sehr guter Spirit. Das ist wichtig. Denn ein Team ist erfolgreicher, wenn es gemeinsam mit Spaß an die Aufgabe herangeht. Wir haben alle unser Hobby zum Beruf gemacht. Wir machen alle das, was wir lieben. Da nervt es mich, wenn die Spieler nicht alles dafür tun, ihr bestes Level zu erreichen. Da knalle ich sofort dazwischen, das lasse ich nicht durchgehen.“

Du kommst mit Deiner Art sehr gut bei den Fans an, sie bringen Dir schon nach wenigen Wochen eine enorme Wertschätzung entgegen. Was bedeutet Dir das?

„Die Spieler sollen im Vordergrund stehen. Ich bin jemand, der lieber in der zweiten Reihe agiert. Es geht nicht um mich, sondern darum, dass wir gemeinsam den Klub nach vorn bringen. Dafür sind dann am Ende vor allem die Spieler verantwortlich, ich kann ihnen nur Ideen mitgeben. Wir wollen als Team dafür sorgen, dass wir die Anhänger glücklich machen. Zum einen mit sportlichem Erfolg, zum anderen aber auch weil man sich Zeit nimmt für ihre Wünsche, Autogramme schreibt, Selfies macht. Das kriegen wir alles zurück, gerade auch in schwierigeren Phasen. Wenn sich jeder mitgenommen fühlt, entwickelt sich eine andere Motivation, entsteht eine Fokussierung auf ein gemeinsames Ziel. Gerade auch im Umgang mit einer Mannschaft macht das für mich 60, 70 Prozent des Erfolges aus. Denn jeder Mensch fühlt sich gern wertgeschätzt.“

Jetzt Downloaden!
Seite Drucken nach oben