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16.06.2022

Helmut Kafka: Rastlos glücklich

Auf den Fußballplätzen der Region ist er ein bekanntes Gesicht: Helmut Kafka arbeitet seit mehr als 15 Jahren als Scout für die Akademie der TSG Hoffenheim und war zuvor mehr als drei Jahrzehnte für den Badischen Fußballverband tätig. Der ehemalige Bundesliga-Profi entdeckte Legenden wie Jürgen Kohler, Hansi Flick und Niklas Süle – und hat auch im stolzen Alter von 81 Jahren noch immer Lust auf Fußball.

Als Helmut Kafka 2005 einen neuen Job angeboten bekommt, ist er bereits 65 Jahre alt, fast 50 Jahre im Fußball-Business unterwegs und an dem Punkt im Leben angelangt, an dem sich viele Mitmenschen den Traum einer Karibik-Kreuzfahrt erfüllen möchten. Seiner Frau Ruth hätten schon gemeinsame Wochenenden am Neckarufer gut gefallen, doch es kam mal wieder anders im Leben der Kafkas – und wieder einmal richtete sich alles nach den Spielplänen der Region.

Denn als das Angebot der TSG Hoffenheim ins Haus flatterte, da war Ruth schnell klar, dass sich das Thema gemeinsame Freizeit für lange Zeit erledigt hatte. Mal wieder. Und zwar ab sofort, wie Helmut Kafka verschmitzt erzählt: „Matthias Born (heutiger Trainer von FC-Astoria Walldorf, Anm. d. Red.) baute damals die TSG-Akademie auf und fragte mich, ob ich nicht ein Team für das Jugend-Scouting aufbauen will. Ich sprach dann mit Ralf Rangnick sowie Bernhard Peters – und kurz darauf haben wir schon die ersten Spiele beobachtet.“ Mittlerweile fahndet der 81-Jährige schon fast 16 Jahre lang im Auftrag der TSG nach Talenten – und hat das Scouting des hochmodernen und innovativen Klubs maßgeblich revolutioniert.

Veränderungen, Mut und Visionen haben das Leben des früheren Bundesliga-Spielers schon früh geprägt und seit vielen Jahrzehnten begleitet. Kafka kam 1940 während des Zweiten Weltkriegs in Ostschlesien zur Welt und wurde gemeinsam mit seiner Mutter sowie seinen beiden Schwestern aus der Heimat vertrieben, sein Vater kam im Krieg ums Leben. Die Familie wuchs in einfachen Verhältnissen in Friesland auf, so dass Helmut Kafka bereits mit 14 Jahren nach Essen zog und dort eine Bergmannslehre absolvierte, ehe er zurück nach Niedersachsen ging, um Fußball zu spielen. Über Germania Wilhelmshaven, Werder Bremen und Arminia Hannover fand er den Weg in den Süden Deutschlands. Es war die Zeit im Leben Kafkas, in der nicht er nach Talenten suchte, sondern Späher nach ihm.

Und so wie er noch immer junge Spieler und ihre Eltern von den Vorzügen der TSG überzeugt, ließ auch er sich 1965 vom Werben eines Klubs beeindrucken. Der Karlsruher SC, damals eine Top-Adresse im deutschen Fußball, sichert sich das umworbene Talent. „Wir hatten als einer der ersten Vereine sogar ein Entmüdungsbecken mit Unterwassermassage“, sagt Kafka und lacht.

Heutzutage wirbt er mit Footbonaut und Helix, doch auch die einstigen Vorzüge hielten, was sie versprachen. Neben dem Whirlpool lockte ihn vor allem ein attraktives Angebot abseits des Fußballplatzes in den Süden: die Aussicht, sich parallel zum Sportlehrer und Trainer ausbilden lassen zu können. „Damals war das Gehalt noch in ganz anderen Sphären. Gladbachs Trainer Hennes Weisweiler wollte mich unbedingt verpflichten und bot mir zusätzlich einen Job an der Sporthochschule in Köln an, aber das Angebot in Karlsruhe hat mich mehr überzeugt.“

„Ich wollte damals etwas Neues versuchen und noch nicht aufhören. Der Fußball hält mich fit, das war schon immer so.“

Lothar Emmerich, „Stan“ Libuda – auf der linken Seite des KSC duellierte sich Kafka fortan mit der nationalen Elite. Doch die unverhofften Wendungen aus frühen Lebensjahren holten den schnellen Außenspieler wieder ein: Nach zwei Schultereckgelenkssprengungen war das Abenteuer Bundesliga beendet und Kafka begann – mal wieder – von vorn. Das nächste Kapitel seines romanwürdigen Lebens begann auf einer Holzbank in Schöneck: Mit 30 Jahren startete er seine Laufbahn als Honorartrainer für den Badischen Fußballverband an der dort ansässigen Sportschule. Aus dem Notfallplan wurde eine langjährige Beziehung, die ihn noch heute überrascht. „Ich wollte damals etwas Neues versuchen und noch nicht aufhören. Der Fußball hält mich fit, das war schon immer so. Ich komme an die frische Luft und habe mit jungen Leuten zu tun. Ich bin kein Typ, der zu Hause auf dem Sofa sitzt, sich um den Garten kümmert und damit glücklich ist. Ich will etwas erleben. Aber ich hätte nicht gedacht, dass ich da 35 Jahre bleibe“, sagt er und lacht zufrieden. Die Erinnerungen sind noch präsent, auch wenn er angesichts des enormen Anekdoten- und Erfahrungsreichtums eigentlich einen persönlichen Archivar einstellen könnte.

Beim BFV knüpfte er Kontakte in die höchsten Ebenen des deutschen Fußballs – wo er sich ebenfalls einen herausragenden Ruf erarbeitete. Doch Lob und Anerkennung zollte Kafka schon immer gern auch seinen vielen Weggefährten, von denen einige deutsche Fußballgeschichte schrieben. Pál Csernai etwa, der in den 70er Jahren beim BFV arbeitete und später den FC Bayern zu zwei Deutschen Meisterschaften führte. „Er war in Sachen Taktik der Beste“, sagt Kafka über den Ungarn. Als seinen großen Mentor bezeichnet er noch immer Herbert Widmayer, der ebenfalls für den BFV aktiv war und bei der WM 1974 zum Trainerstab Helmut Schöns gehörte. „Wenn der eine Rede gehalten hat, wärst du sofort auf Befehl den nächsten Baum hochgelaufen“, schwärmt Kafka von dem gebürtigen Kieler, der ihn zu andauerndem Lernen ermunterte und den Satz prägte: „Achte deine Mitmenschen auf deinem Weg nach oben, denn sie könnten dir auf dem Weg nach unten wieder begegnen.“ Ein respektvoller Umgang in den zwischenmenschlichen Beziehungen gehört für Kafka daher zu den wichtigsten Eigenschaften: als Trainer, als Scout – und als Mensch.

Im Jahr 2006 dann, in einer Zeit, in der der moderne Fußball weiterzuziehen schien – weg von den einstigen Granden wie Helmut Kafka und handschriftlichen Notizen hin zu jungen Menschen mit Laptops, Tabellen und neuartigen Fußballbegriffen – da schaute die TSG in die andere Richtung der Entwicklung und machte Kafka ein Angebot, dass er nicht ablehnen konnte. Der enorme Erfahrungsreichtum, das hervorragende Netzwerk und der über viele Jahrzehnte gewonnene Sachverstand machten den vermeintlichen Pensionär zu einer hoch geschätzten Verstärkung für die damals noch aufstrebende TSG – und der Wunschtransfer vom BFV zahlte sich schnell aus.

Bereits ein Jahr danach tourte der leidenschaftliche Entdecker durch die Niederungen des badischen Juniorenfußballs – und wurde In Neckarau fündig. Und wie. „Sieben auf einen Streich“, sagt er und lacht dabei durchaus ein wenig stolz. Es war ein Moment, der die Geschichte der TSG verändern sollte, denn an diesem Tag im Jahr 2007 legte Kafka den Grundstein für den ersten Meistertitel der Ära Dietmar Hopp. Die glorreichen Sieben, unter ihnen die späteren Bundesliga-Spieler Marco Terrazzino, Manuel Gulde, Robin Szarka und Pascal Groß, die Kafka beim Mannheimer Stadtteil-Verein entdeckte und für die TSG begeisterte, gewannen ein Jahr später die Deutsche U17-Meisterschaft im Hoffenheimer Trikot.

Für Kafka war der Titelgewinn ein gelungener Einstieg – die daraus resultierenden hohen Erwartungen erfüllte er problemlos: Wie schon zuvor beim BFV, wo er spätere Legenden wie die Förster-Brüder Karlheinz und Bernd, Weltmeister Jürgen Kohler sowie den aktuellen Bundestrainer Hansi Flick begleitete, reihten sich auch bei der TSG Talent an Talent in Kafkas persönliche Erfolgsbilanz. Sie alle schafften es durch Kafkas ganz persönliches Auswahlsystem, dass antiquiert erscheint, aber auch nach mehr als 5.000 Live-Spiel-Beobachtungen für die TSG verlässlich Erfolge liefert: Er schreibt sich die Aufstellung von jedem Spiel handschriftlich auf, macht sich Notizen zu den Merkmalen sowie Laufwegen der Spieler und markiert diese nach Stärken: „Drei Kreuze bedeuten, dass das Talent am besten noch heute von uns verpflichtet werden soll, auch Spieler mit zwei Kreuzen sind sehr interessant für uns, Talente mit einem Kreuz sollen weiterbeobachtet werden.“

„Meistens reichen 15 Minuten, um zu sehen, ob ein Spieler für uns geeignet ist oder nicht.“

Doch wie so oft im Leben bestätigen auch in Kafkas System Ausnahmen die Regel. Für Niklas Süle etwa brach er sie sogar: „Meistens reichen 15 Minuten, um zu sehen, ob ein Spieler für uns geeignet ist oder nicht. Wir haben auch feste Kriterien, auf die wir achten. Ist er beweglich? Fordert er den Ball? Niklas Süle war eigentlich zu kräftig, aber ich konnte damals schon sehen, dass er eine unglaubliche Dynamik hat. Deshalb muss man auch immer ein gewisses Fingerspitzengefühl beweisen und überlegen, wie der Spieler im Profi-Fußball auftreten könnte.“

Kafkas Fingerspitzengefühl übersteigt mittlerweile locker das Ballgefühl der von ihm beobachteten Talente. Für mehr Freizeit sorgt diese Gabe allerdings nicht, vielleicht hat Kafka daran aber auch einfach kein Interesse, wie ein Blick auf den Wochenplan des 81-Jährigen vermuten lässt: Montags besucht er die DFB-Stützpunkte, Dienstag bis Donnerstag ist er bei Trainings- oder Pokalspielen zu Gast und am Wochenende schaut er sich eine Vielzahl an Partien in der Region an. Im Schnitt kommt der Talente-Finder auf sechs Spiele pro Woche.

Ein Luxus bleibt ihm aufgrund der Vielzahl an Verpflichtungen meist vorenthalten: Die Ergebnisse seiner ausgezeichneten Arbeit bekommt Kafka nur selten live zu sehen. Denn Bundesliga-Partien der TSG sieht er sich nur in Ausnahmefällen an. „Natürlich ist es schön, alte Weggefährten in der großen Arena zu sehen. Aber dann ist niemand bei einem Jugendspiel und wir verpassen vielleicht das nächste Talent. Wenn ich nicht da bin, schnappt sich ein anderer Verein den Spieler. Also gehe ich dann lieber auf den Jugendplatz“, sagt Kafka. Und so wird der ehemalige Bundesliga-Spieler auch weiterhin auf den Sportplätzen der Region zu sehen sein, um das nächste Talent für die TSG zu finden. „Fußball hat mir alles gegeben. Ohne den Sport wäre ich nicht der Mensch, der ich heute bin. Seit meiner Kindheit gab es immer nur Fußball. Da will ich etwas zurückgeben.“

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