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SPIELFELD
22.12.2021

„Mentalität ist im Fußball alles“

Jacob Bruun Larsen ist beeindruckend in die Saison gestartet: Vier Tore, eine Vorlage – und mit 34,88 km/h ist der Däne bis dato einer der schnellste TSG-Profis in dieser Spielzeit. Für das große SPIELFELD-Interview hat sich der 23-Jährige deshalb auf einen rasanten Termin eingelassen. Auf der Kartbahn Power-Car Motodrom in Mannheim hat der Offensivspieler einige Runden gedreht und sich Zeit für ein sehr persönliches Gespräch genommen: über die große Bedeutung der Sportpsychologie, die schwierige Krebserfahrung seiner Schwester Line und das besondere Verhältnis zu Trainer Sebastian Hoeneß.

Du bist 23 Jahre alt und eigentlich noch ein junger Spieler. Dennoch bist Du bereits vor sieben Jahren aus Dänemark nach Deutschland gekommen, hast für Borussia Dortmund gespielt, bist Pokalsieger geworden und jeweils eine Leihe zum VfB Stuttgart und zum RSC Anderlecht hinter Dir. Hast Du das Gefühl, in den vergangenen Jahren fußballerisch erwachsen geworden zu sein?

„Ich habe in meiner Karriere schon viel erlebt und fühle mich trotz meines Alters schon erfahren. Der Fußball hat sich schnell entwickelt. Früher waren Spieler mit 23 eher die Jüngsten im Team, mittlerweile gehören Teenager in den besten Ligen der Welt zu den Stammspielern – das ist faszinierend. Man sieht: Wenn man gut genug ist, ist man auch alt genug. Und wenn das bei mir erst mit 23 so ist, dann ist das eben so. Ich fühle mich super wohl und freue mich sehr darüber, der Mannschaft in dieser Saison sehr viel geben zu können – fußballerisch, aber auch mental.“

Haben Dich die Erfahrungen und auch schwierigere Phasen in der Karriere geprägt und vielleicht auch gelassener gemacht?

„Definitiv. Ich habe gelernt, die guten Phasen auch wirklich zu genießen und zu schätzen und nicht bereits wieder nach vorn zu schauen, was da noch kommen soll. Es zählt das Jetzt, das Morgen kommt sowieso. Rückblickend würde ich mir wünschen, dass ich schon vor vielen Jahren so gedacht hätte. Aber mein Weg ist, wie er ist, und ich bin dankbar. Manche Spieler benötigen mehr Erfahrungen als andere, es gibt kein Rezept oder ein Richtig oder Falsch auf dem Weg zum persönlichen Erfolg.“

Was sind das für Gedanken gewesen, von denen Du heute sagst, das war zu viel?

„Das war ganz vielfältig. Etwa wenn ich mich zu sehr über eine schlechte Trainingseinheit geärgert habe und es kaum abwarten konnte, wieder auf dem Platz zu stehen, um es besser zu machen. Es ist wichtig, ehrgeizig zu sein. Aber nicht jeder Pass entscheidet über deine Karriere, aus Ehrgeiz resultieren nicht immer die richtigen Entscheidungen, damit muss man umzugehen wissen. Und durch neue Mitspieler und Erlebnisse steigern sich die Erfahrungswerte, man lernt und entwickelt sich weiter, auch abseits des Rasens. Da merke ich deutliche Veränderungen. Ich bin viel ruhiger geworden und spreche auch viel mehr mit dem Trainerteam. Das hat mir sehr gutgetan. Ich habe gemerkt, dass wir das Gleiche erreichen wollen. Das vereinfacht es, zum Erfolg zu kommen. Ich glaube, wir haben uns seit diesem Sommer als Einheit gefunden und auch unseren gemeinsamen Weg. Das genieße ich Tag für Tag: die Arbeit auf dem Platz, die Weiterentwicklung, die Gespräche mit dem Trainerteam – das ist geil.“

Zum Staff gehört bei der TSG in Hans-Dieter Hermann ein renommierter Sportpsychologe, der Klub ist Vorreiter auf dem Feld der Sportpsychologie. Interessierst Du Dich dafür und nimmst Du das Angebot in Anspruch?

„Das ist auf allen Ebenen interessant, nicht nur als Fußballer. Die Besonderheit im Sport ist, dass man auf der großen Bühne performen muss, da benötigst du eine gewisse Klarheit im Kopf: um ruhig zu bleiben und die bestmögliche Leistung abzurufen. Zusätzlich ist in den vergangenen Jahren das Thema Social Media hinzugekommen. Da wird noch mehr diskutiert und bewertet als früher, als man einfach am Tag nach dem Spiel die Zeitung nicht gelesen hat. Diese Entwicklung kann Spieler, vor allem wenn sie noch sehr jung sind, stark mental beeinflussen. Aber das ist nur ein kleiner Teil des Ganzen, auch Leistungsschwankungen oder Probleme mit dem Trainer können belastend sein. Mentalität ist im Fußball alles. Das muss ich so klar sagen.“

Also ist die richtige Mentalität in Deinen Augen wichtiger als das Talent?

„Du kannst am Ende so gut sein, wie du möchtest – bis auf ganz wenige Ausnahmen schaffst du es ohne die nötige Mentalität nicht ins Profi-Geschäft. Fußball wird in erster Linie mit dem Kopf gespielt. Klar benötigst du sportliche Waffen, ohne besondere Fähigkeiten wird es sehr schwer. Aber von all den Talenten, mit denen ich zusammengespielt habe, sind die am weitesten gekommen, die noch mehr Mentalität als Talent hatten. Und diese Entwicklung ist noch längst nicht abgeschlossen, die Bedeutung der mentalen Stärke wird noch zunehmen. Darum finde ich es auch herausragend, dass die TSG so fortschrittlich arbeitet, das ist ein super interessantes Thema, das einen Spieler brutal entwickeln kann. Ich kenne das von mir, bevor ich regelmäßig mit den Sportpsychologen gesprochen habe, habe ich mir viel zu viele Gedanken gemacht. Druck, Konkurrenz, Spiele vor Fans – es gibt viele Einflüsse auf die Performance und es ist immens wichtig, sich selbst zu vertrauen. Spielt der Kopf nicht mit, sind auch die Beine machtlos.“

In anderen Ländern wird mit dem Thema Psychologie offener umgegangen, in Deutschland zögern viele Menschen noch vor dem Schritt, sich Hilfe zu holen …

„Ich sehe das so: Man muss nicht krank sein, um zum Arzt zu gehen. Man kann auch nur Zweifel haben und sich einen Rat einholen. Ich bin auch nicht krank, aber ich spreche gern über die Dinge, die mich bewegen. Man lernt unglaublich viel über sich selbst, aber auch über andere Menschen und Situationen. Man darf auch nicht von sich erwarten, dass man alles weiß. Und wenn ich auf einem Gebiet etwas lernen möchte, muss ich mit einem Fachmann sprechen, der es besser weiß. Man hört ja auch auf den Trainer, weil er fußballerisch schlauer ist als man selbst. Darum lasse ich mich gern von einem Psychologen beraten. Es ist für mich, wie nach dem Training noch 30-mal aufs Tor zu schießen, um meinen Abschluss zu verbessern. Das ist Selbsttraining, es hilft mir und macht mich stärker.“

Auch im Privatleben wurdest Du mental sehr gefordert. Deine Schwester ist bereits zwei Mal an Krebs erkrankt. Lassen Dich Erfahrungen wie die Deiner Schwester anders auf die Bedeutung des Profi-Sports blicken?

„Wenn jemand aus deiner Familie so schwer erkrankt, der zudem noch sehr jung ist, ändert das natürlich viele Dinge und Ansichten in deinem Leben. Ich habe damals gesagt: ‚Ich würde sofort mit dem Fußball aufhören, wenn meine Schwester wieder gesund sein könnte.‘ Leider war das natürlich nicht so leicht, aber das gilt immer noch. Fußballspieler zu sein, ist für mich der geilste Job der Welt. Wir sind sehr privilegiert, ich schätze und genieße das. Im Alter von sechs Jahren habe ich mit diesem Sport begonnen und werde wohl erst mit 36 aufhören. Aber danach hört das Leben nicht auf und das Wichtigste wird immer sein, gesund zu bleiben. Egal, ob man Fußballer, Lehrer oder Bauarbeiter ist. Wenn man das nicht ist, ist alles andere egal. Das habe ich leider auf die harte Tour lernen müssen, aber es ist ein wichtiger Teil meines Lebens. Ich bin froh, dass es meiner Schwester mittlerweile wieder gut geht und hoffe, dass es so bleibt.“

Wie sehr haben Euch diese harten Phasen zusammengeschweißt?

„Ich bin an jedem freien Tag mit Erlaubnis von Borussia Dortmund nach Hause geflogen, um bei ihr zu sein. Ich war so oft es ging im Krankenhaus und hätte auch gern dort übernachtet, wenn es erlaubt gewesen wäre. Ich habe riesigen Respekt vor meinen Eltern, dass sie das alles geschafft haben, obwohl sie ja arbeiten mussten. Für sie war es nicht so einfach wie für mich, mal zwei Tage freizubekommen. Dass sie dennoch positiv geblieben sind und stark waren, Mensch erleben müssen, das war unvorstellbar hart. Meine Eltern sind schon lange nicht mehr zusammen, aber verstehen sich noch sehr gut und durch diese Situationen ist die gesamte Familie nochmals sehr eng zusammengerückt. Meine Eltern, meine Großeltern, unsere besten Freunde – alle waren da und haben geholfen.“

Schärfen solche Erfahrungen die Sinne für den Umgang mit vermeintlichen Problemen des Alltags?

„Ich habe gelernt, was wirklich wichtig ist und dankbar zu sein. Ich kann jeden Tag meinen Job ausüben, Gas geben und als Fußballer das tun, was ich liebe. Ich sehe den Fußball noch immer so wie als Kind, das in jeder Pause gespielt hat. Wir Profis dürfen uns über nichts beklagen, und ich bin dankbar, dass ich vom Fußball leben und meine Familie unterstützen kann. Das ist für mich nicht selbstverständlich und darum versuche ich auch, das Optimum bis zum letzten Tropfen aus diesem Privileg herauszuholen. Der bestmögliche Fußballspieler zu werden, ist meine größte Motivation.“

Du bist ein positiver Mensch. Die Dänen gelten als eines der fröhlichsten Völker der Welt. Wie erklärst Du Dir das?

„Das ist schwer zu sagen, da ich schon so lange in Deutschland bin. (lacht) Ich glaube, dass das Ernsthafte und Strenge, was in Deutschland sehr ausgeprägt ist, mir sehr geholfen hat. Beide Seiten gehören zu mir. Gewiss ist in Dänemark der Umgang etwas lockerer, bei uns stehen die Türen tagsüber immer offen, da kann jeder rein und raus gehen. Das hat mich immer wieder überrascht, wenn ich in die Heimat gereist bin. Ich denke zudem, dass es etwas familiärer zugeht, weil wir weniger sind und man sich dadurch untereinander eher kennt, gemeinsame Freunde hat, etc. Die Deutschen sind strukturierter und auch etwas härter zu sich selbst. In Dänemark arbeiten die Menschen auch gern, aber sie genießen die Freizeit auch sehr. Hier wird man geschätzt, wenn man Überstunden leistet und Freizeit wird einem eher vorgeworfen. Allerdings habe ich genau diese deutsche Einstellung als junger Kerl auch gebraucht, als ich zu Beginn etwas weniger als die anderen und nicht immer das gemacht habe, was sich der Trainer gewünscht hat. Ich war lange Zeit ein großes Talent und konnte es mir deshalb leisten. Aber gelernt, wie man als Profi arbeiten und leben muss, habe ich in Deutschland. Mein Talent habe ich aus Dänemark, aber zum Fußballspieler bin ich erst hier geworden.“

Was hat Dich bei Deiner Ankunft in Deutschland als 16-Jähriger am meisten überrascht?

„Ich war erstaunt, dass viele Dinge im Vergleich zu Dänemark eher altmodisch waren. Mein erster Schultag in Dortmund war eine besondere Erfahrung.“

Warum?

„Mein Vater hatte mir extra noch ein neues Laptop gekauft, damit ich bestens vorbereitet auf den Unterricht in einem neuen Land war. Ich war 16 und habe kaum Deutsch gesprochen. Dann kam ich in die Schule, war sehr motiviert und habe vor der ersten Stunde mein Laptop aufgeklappt. Dann habe ich mich umgeschaut – man ist ja als Neuling etwas schüchterner – und habe niemand anderen mit einem Computer gesehen. Da dachte ich schon: ‚Was ist hier los?‘ Neben mir hatten alle nur Stifte und Papier auf ihren Tischen. Und dann kam der Lehrer und hat mir gesagt, ich solle mein Laptop jetzt bitte wegpacken, Stifte und Hefte rausholen, da der Unterricht nun beginne. Da habe ich nur gesagt: ‚Sorry, aber ich habe keinen Stift, ich habe keine Blätter, nur mein Laptop.‘ Das war etwas unangenehm, aber ich kannte es so aus Dänemark. Da war schon damals alles in der Schule digital. Mein Bruder war sechs Jahre alt und ist mit dem Tablet in die Schule gegangen – das wurde von der Schule zur Verfügung gestellt und darauf waren alle Lerninhalte abgespeichert.“

Wie war die Umstellung für Dich?

„Ich glaube es schadet nicht, Dinge auch auf altmodischem Weg zu lernen. Und es ist in so einem großen Land auch schwieriger, die Schulen so gut auszustatten. Bei uns sind die Steuern sehr hoch und es wird vom Staat viel in Bildung und Ausbildung investiert. Aber ich hatte schon irgendwann den Eindruck, dass ich in die Vergangenheit gereist war. Dass man in der Schule nur mit Stift und Papier arbeitet und Texte schreiben sollte, hatte ich gefühlt vor zehn Jahren das letzte Mal gemacht. Es hatte aber auch einen positiven Effekt: Da ich alles auf Englisch machen musste, habe ich mich viel intensiver mit der Rechtschreibung befasst. Am Computer wird ja alles automatisch korrigiert oder dir als Fehler angezeigt.“

Du musstest Dich in der Schule und beim BVB durchsetzen und in der Heimat wurde Deine Entwicklung auf beiden Ebenen genauestens verfolgt. Hattest Du Sorge davor, zurückzukommen und sagen zu müssen: ‚Sorry, ich habe es nicht geschafft‘?

„Da habe ich wirklich nicht einmal dran gedacht. Die ersten Monate waren so unglaublich, es ging alles so schnell und ich hatte so überragende Erlebnisse – da blieb keine Zeit für zu viele Gedanken. Ich habe eine neue Sprache gelernt, musste mich plötzlich gegen viel bessere Fußballer behaupten und zudem noch in der Schule beweisen. Das war sehr hart, aber ich habe das geliebt. Aus meinem Zimmer konnte ich den Profis beim Training zuschauen. Anfangs war es für mich unvorstellbar, irgendwann selbst dabei zu sein. Und nach nicht einmal drei Monaten bekam ich dann bereits meine erste Chance unter Jürgen Klopp. Eben hatte ich noch in Hornbaeck gelebt und gekickt, nun trainierte ich mit Robert Lewandowski. Da habe ich Blut geleckt. Es war bis dahin das Geilste, was ich in meinem Leben erlebt hatte. Ich habe alle meine Freunde angerufen und ihnen davon erzählt und musste dann auch genauestens beschreiben, wie die einzelnen Stars so waren. Ich habe diese Erinnerung noch klar vor mir und war so unglaublich glücklich an diesem Tag – das wollte ich nun regelmäßig erleben.“

Du bist Profi geworden – und nun für viele Menschen ein Star. Wie denkst Du selbst darüber?

„Damit kann ich nichts anfangen. Ich bin genauso wichtig wie alle anderen Menschen und mache meinen Job genauso wie die Menschen, die die Tickets kontrollieren oder die Wurst verkaufen. Jeder bringt seine Arbeit ein. Generell freue ich mich, wenn die Leute gern ins Stadion kommen, um uns zu sehen. Das ist ein Bonus, aber ich sehe mich kein bisschen als Star oder Berühmtheit oder was auch immer. Ich bin immer noch der Jacob aus Hornbaeck in Dänemark. Nur wenn ich im Stadion spiele, bin ich halt Jacob Bruun Larsen, der beim BVB groß geworden ist und nun in Hoffenheim spielt. Wenn Fans mich dann erkennen, nehme ich mir gern Zeit. Ich war früher ja selbst so und habe mich gefreut. Wer in unserem Job keine fünf Minuten Zeit nach dem Training für die Fans hat, der ist in meinen Augen auch ein wenig unmenschlich. Es reicht nicht, nur auf dem Rasen ein Profi zu sein.“

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