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SPIELFELD
17.11.2021

Hermann: „Vertrauen ist die wichtigste Währung“

Prof. Dr. Hans-Dieter Hermann ist im Sommer nach Hoffenheim zurückgekehrt. Der 61 Jahre alte Sportpsychologe war bereits von 2006 bis 2010 für die TSG tätig. Hermann, der 1988 an der Universität Heidelberg promovierte, betreute in den vergangenen Jahrzehnten Olympia-Teilnehmer aus mehr als 20 Sportarten. 2004 holte Jürgen Klinsmann den Sportpsychologen zur deutschen Fußball-Nationalmannschaft, zu deren Experten-Stab er bis heute gehört. Außerdem berät der gebürtige Ludwigsburger zahlreiche Spitzenmanager aus der deutschen Wirtschaft. Im SPIELFELD-Gespräch erzählt Hermann, was ihm an der TSG gefällt – und worauf es bei der Arbeit mit Menschen besonders ankommt.

Sie haben die TSG im Jahr 2010 verlassen und sind in diesem Sommer, elf Jahre später, zurückgekehrt. Wie kam es dazu?

„Ich hatte über all die Jahre immer wieder Kontakt zur TSG, habe mit einigen Menschen hier echte Freundschaften geschlossen. Dann sind mehrere Dinge zusammengekommen. Etwa, dass Sebastian Hoeneß Trainer ist – er war damals, als ich das erste Mal bei der TSG tätig war, ja noch als Spieler in Hoffenheim. Der Kontakt ist nie abgebrochen. Und als Prof. Dr. Jan Mayer in diesem Jahr Geschäftsführer wurde, haben mich die Verantwortlichen gefragt, ob ich mir eine Rückkehr vorstellen könnte und ich habe gern zugesagt.“

Hans-Dieter Hermann und Jan Mayer lernen sich Anfang der 2000er Jahre an der Universität Heidelberg kennen. Hermann arbeitet dort zu jener Zeit am Institut des renommierten Sportpsychologen und Vordenkers Hans Eberspächer, Mayer  übernimmt dort später seine Assistenten-Stelle. Später wurde Mayer dann auch Hermanns Nachfolger bei der TSG. Schätzen gelernt haben sie sich dabei sowohl persönlich als auch inhaltlich: „Jan ging ein bisschen mehr in die diagnostische Richtung und ich eher in Richtung Coaching. Aber das haben wir immer sehr aneinander gemocht, dass wir diese beiden Seiten der Psychologie so zusammen abdecken konnten und ich glaube, dass wir gerade dadurch unsere gemeinsamen Projekte erfolgreich gestalten konnten“.

Im Schnitt sind Sie nun zwei Tage die Woche für die TSG im Einsatz. Wie müssen sich die SPIELFELD-Leser das vorstellen: Wie laufen da die Absprachen, Termine mit Spielern oder Trainer: Suchen Sie da aktiv den Kontakt?

„Ich bemühe mich darum, für Spieler und Trainer jederzeit ansprechbar zu sein, ohne dass daraus jedes Mal gleich ein längerer Termin werden muss: Es braucht eine gewisse Selbstverständlichkeit. Man sitzt irgendwo, kommt ins Gespräch – klassischerweise beim Essen – und sagt: Das vertiefen wir nochmal ausführlicher. Gut ist da immer ein lockerer Austausch, wie es auch zum Beispiel mit Physiotherapeut:Innen oder den Athletiktrainern der Fall ist. Ich sehe mich hier als Teil des Teams um die Mannschaft herum.“

Aus diesem Grund ist auch Ihre Anwesenheit bei Spielen und im Training wichtig …

„Genau, denn es braucht Normalität im Umgang. Als Externer ist die wichtigste Währung nicht so leicht herzustellen: das Vertrauen. Zuletzt sagte mal ein Spieler am Tag nach einer Trainingseinheit, bei der ich nicht anwesend war: „Wo warst du denn gestern? Ich habe dich gar nicht gesehen.“ Das empfand ich als Kompliment.“

Bei den Heimspielen der TSG sitzt Hermann meist in unmittelbarer Nähe der Hoffenheimer Bank. Als aufmerksamer, aber stiller Beobachter der Partie. Was nehmen Sie als Sportpsychologe aus so einem Spiel mit?

„Es ist ja nicht so, dass man die ganze Zeit dasitzt, ständig Notizen macht und analysiert. In erster Linie schaue ich das Spiel an. Dabei erkennt man Dynamiken, kriegt Enttäuschungen mit und auch Hochgefühle. Man sieht, wer das Sagen hat, wer andere pusht und wer eher ein bisschen hadert, in sich zusammensackt. Da spürst du, wem du eventuell ein bisschen mehr Mut mitgeben kannst oder wer eigentlich eine viel dominantere Rolle innehat, als er selbst glaubt. Das bekommst du aber nur mit, wenn du die Spieler wirklich in der Spielsituation erlebst. Denn im Spiel und in der Kabine, da lebt ja die Mannschaft.“

Bilden die fußballerischen Aspekte den Schwerpunkt der Gespräche, oder geht es auch um ganz andere Felder?

„Das verläuft wirklich querbeet. Es geht vom Umgang mit Pfiffen über Misserfolge bis hin zu Konzentration im Erfolgserlebnis. Aber natürlich auch um private Dinge, Freundschaften, Beziehungen.“

Für die TSG ist die erneute Zusammenarbeit mit Hans-Dieter Hermann die logische Fortsetzung des Hoffenheimer Weges. Die sportpsychologische Unterstützung und Förderung von Spitzensportlern, genauso wie die von jungen Akademie-Talenten, sei bei der TSG neben der täglichen Trainingsarbeit auf dem Platz „ein fester Eckpfeiler, um konstant sportliche Höchstleistung abrufen zu können“, sagt Geschäftsführer Prof. Dr. Jan Mayer. „Fußball ist immer auch Kopfsache, zumal das Spiel auf dem Platz immer schneller wird. Unter maximaler physischer Belastung und in psychischen Drucksituationen gilt es, richtige Entscheidungen zu treffen. Dafür bedarf es auch mentaler Trainingseinheiten mit einem innovativen Top-Experten wie ihm.“

Wie ist der Stressfaktor im Fußball zu bewerten? Ein Spiel, das auf großer Bühne ausgetragen wird, mitsamt der Herausforderung, sich vor Zehntausenden Zuschauern oder einem Millionen-Publikum vor den Bildschirmen zu beweisen …

„Das ist eine schwierige Frage, weil es sehr individuell empfunden wird. Es beginnt schon mit der Frage: Was ist Druck? Es gibt Fußballprofis, die finden nichts geiler als Situationen, in denen das Publikum pfeift – wenn es die gegnerischen Fans sind. Die allermeisten lieben den Resonanzraum Stadion und erst er lässt sie die Spiele so erleben, wie sie sind. Dafür spielen sie Fußball. Die Performance vor Publikum, die Öffentlichkeit, das ist ja ihr Beruf. Permanent Leistung abrufen zu müssen, ist ein elementarer Teil des Reizes der Bundesliga – Segen und Fluch, Druck und Motivation gleichzeitig. Das ist aber nicht der eigentliche Kern des Drucks.“

Wie äußert sich dieser?

„Druck entsteht in frühen Jahren im Fußball oft durch Fremderwartungen. Auch mal durch Eltern, ohne dass sie es wollen. Zum Beispiel weil sie sich Sorgen machen, dass ihr Kind nicht in den nächsten Jahrgang übernommen wird und sie diese Sorgen auf das Kind übertragen. Später als Profi können Spieler meist ganz gut mit Erwartungsdruck umgehen. Aber wenn medial extrem kritisiert wird und/oder im Netz Beleidigungen und Unterstellungen kursieren, nur weil die Leistung eine Zeit lang nicht passt oder man den Verein wechselt, macht das Vielen zu schaffen.“

Haben Sie das Gefühl, dass auch Verletzungen eine besondere Herausforderung für Spieler sind?

„Ja! Über den Umgang mit Verletzungen und ihre psychischen Folgen habe ich meine Doktorarbeit geschrieben. Das ist zwar lange her, aber das Thema ist noch immer aktuell und psychologisch relevant, insbesondere bei Langzeit-Verletzten. Aber auch bei dieser Thematik muss keiner in die Sprechstunde kommen, wenn er den Kontakt nicht selbst sucht. Es gilt das Prinzip der Freiwilligkeit. Und manchmal helfen auch schon kleine Tipps, um die Rehabilitation auch vom Kopf her besser zu meistern.“

Eine besondere mentale Herausforderung ist zudem, mal sportlich außen vor zu sein. Was machen Profis durch, die nicht spielen?

„Man kann es fast so allgemein sagen: Sie sind unglücklich darüber. Jeder, der fit ist, will spielen. Und es ist schwer, Teil eines Teams, aber nicht wirklich mittendrin dabei zu sein. Es kratzt am Selbstwert, der mit Bestätigung von außen und auch mannschaftsintern zu tun hat. Spieler versuchen sich im Training zu zeigen, spüren aber vielleicht auch: Es läuft gut, ich würde die Startelf als Trainer auch nicht ändern. Keine einfache Situation, deshalb ist auf diese Spieler aus  psychologischer Sicht immer ein besonderes Augenmerk zu richten. Zudem ist es auch für ein Team wichtig, dass gerade diese Spieler das Gefühl haben, Teil des Ganzen zu sein. Der sogenannte soziale Ausschluss ist verletzend. Und du fühlst dich ausgeschlossen, wenn du nicht spielst. Das ist auch ein großes Forschungsgebiet in der Psychologie.“

Hermann, der eine eigene Praxis in Schwetzingen betreibt, ist seit mehreren Jahrzehnten auch in Forschung und Lehre aktiv, war bereits 2010 Förderpreisträger der Deutschen Gesellschaft für Psychologie. Seit 2017 ist Prof. Dr. Hans-Dieter Hermann als Honorarprofessor am Institut für Sportwissenschaft der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen tätig, zudem publiziert Hermann immer wieder wissenschaftliche Beiträge, zuletzt über „Kognitives Training im Sport“ (2020, zusammen mit Jan Mayer) oder auch über „Vertrauen als Garant einer funktionierenden Gesellschaft“ (2019).

Seit Ihrem Abschied vor elf Jahren hat sich das Feld der Sportpsychologie auch bei der TSG stark entwickelt.

„Hoffenheim ist bereits damals Vorreiter auf vielen Ebenen gewesen – die TSG war immer an Innovationen interessiert, auch in der Sportpsychologie. Hier kam schon vor zehn Jahren,  insbesondere durch das Engagement von Jan Mayer, die Leistungsdiagnostik systematisch zum Einsatz. Das hat sich bewährt und wurde weiterentwickelt. Das heißt, hier ist der Austausch zwischen Daten und Betreuung, auch in der Psychologie, schon seit langem so intensiv wie meines Wissens nirgendwo sonst. “

Die TSG verfügt demnach über innovative Tools. Inwiefern helfen diese Rahmenbedingungen?

„Das ist für unsere Arbeit sehr wichtig. In der Psychologie haben wir manchmal das Problem, dass wir auf qualitative Urteile angewiesen sind. Aber dadurch, dass wir auch Daten zur kognitiven Leistungsfähigkeit gewinnen, können wir die Ergebnisse im Sinne der Optimierung viel besser belegen. Das ist ein wichtiger Punkt: Sportpsychologie zielt einerseits auf die Prävention für Überforderung ab, andererseits suchen wir nach Entwicklungschancen für jede Spielerin und jeden Spieler, auch schon im Jugendbereich. Und da hilft es enorm, wenn man von Faktoren wie Aufmerksamkeitsleistung, Umschaltvermögen oder Konzentration Zahlen vorlegen kann. Das motiviert die Spieler und man kann den Trainern gegenüber gut argumentieren.“

Was schätzen Sie hier besonders an der Zusammenarbeit?

„In erster Linie das Gefühl, viel Vertrauen zu bekommen. Das ist das Schönste, was man in meinem Beruf bekommen kann. Was für mich persönlich dazukommt: Ich wurde hier wieder sehr herzlich empfangen. Ich weiß von manchem Kollegen, dass sie es in anderen Vereinen nicht immer leicht haben. Aber in Hoffenheim wurde auch schon in den letzten Jahren sportpsychologisch hervorragend gearbeitet, was für meinen Start hier sehr vorteilhaft war. Die TSG hat einen eigenen Charakter. Ich mag das Menschenbild hier und den Spirit, Dinge verändern und erreichen zu wollen.“

Hermann kann das gut beurteilen, denn er hat viele Vereine, Verbände und Einzelsportler kennengelernt. Als festes Mitglied des Staff gewann er 2014 mit der deutschen Fußballnationalmannschaft in Brasilien den WM-Titel. Er betreute Athleten in rund 20 olympischen Sportarten, von Boxen über Hockey bis Skifahren – und erlebte dabei durchaus auch Überraschungen: „Das Amateurboxen etwa ist auch eine enorme Teamleistung mit großem Respekt für den Gegner. Wie man Kollegen unterstützt oder auch dem Trainer des Gegners gratuliert, obwohl man von dessen Schützling vorher auf die Nase bekommen hat – das ist unglaublich.“

Wie unterscheidet sich die Arbeit bei der TSG denn von der beim DFB?

„Die Struktur ist eine ganz andere. Bei der Nationalmannschaft geht es immer um ein Projekt. Qualifikation, Turnier – darauf arbeitet man immer hin. Der Unterschied ist oft: Es spielt, mit Ausnahme eines Turniers, fast nie die gleiche Mannschaft. Das hat Einflüsse auf die Dynamik, da die Positionen nicht so klar vergeben sind. In einer Vereinsmannschaft ist mehr sportlicher Alltag und die Spieler wissen viel mehr, wo sie stehen. Bei einer Auswahlmannschaft ist für viele Vieles neu, die Abstände, bis man sich wiedersieht, können mehr als vier Monate sein. Hinzu kommt, dass  Nationalspieler noch viel stärker Personen des öffentlichen Lebens sind. Wenn jedes Nasebohren, jeder Post ein Thema im Boulevard ist, dann ist das nochmals eine zusätzliche, persönlich herausfordernde Ebene.“

Der Fußball bewegt die Menschen emotional mehr als jeder andere Sport.

„Definitiv, auch ich erlebe in dieser Sportart Kindheitsträume. Dass ich hier in Hoffenheim sein darf oder bei der Nationalmannschaft, ist immer noch etwas ganz Besonderes für mich. Man hält es doch als junger Mensch für unmöglich, in seinem Leben mal solch einen Beruf zu haben. Dafür, dass ich ihn in dieser Form ausüben kann, bin ich wirklich sehr dankbar.

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