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SPIELFELD
02.09.2019

Sei stark im Kopf, wenn’s schwierig wird

Professor Jan Mayer ist seit elf Jahren bei der TSG Hoffenheim als Sportpsychologe beschäftigt. Der 48 Jahre alte Heidelberger arbeitete auch mit mehreren Nationalmannschaften, darunter mit Skispringern, Sportschützen, Boxern und mit DFB-Auswahlteams. Seine Erkenntnisse aus dem Spitzensport transferiert er in seinen Büchern in Strategien für Jedermann. SPIELFELD beginnt mit dieser Ausgabe eine Serie mit Jan Mayers Ratschlägen, wie Stresssituationen im Job oder im Alltag besser bewältigt werden können.

Interessant wird es im Spitzensport immer dann, wenn es schwierig wird. Doch welche Situationen werden im Sport als schwierig eingeschätzt? Häufig sind es Momente, in denen etwas Unerwartetes oder Unerwünschtes passiert. Dies können im Fußball einfache Passfehler sein oder ein unerwartet deutlicher Rückstand, eine Benachteiligung durch den Schiedsrichter oder ein Gegner, der stärker ist als erwartet. Schwierig wird es aber auch, wenn im Wettkampf die Leichtigkeit fehlt. Alles muss erarbeitet werden, nur wenig will gelingen. Für solche Situationen gibt es sportpsychologische Strategien, die wissenschaftlich fundiert sind und schon lange von Spitzensportlern praktiziert werden. Einiges davon lässt sich auf Alltagssituationen übertragen.

Bei der ersten Strategie ist es wichtig, mit den eigenen – meist emotionalen – Reaktionen richtig umzugehen. Logisches Denken ist gefragt, um das Emotionale unter Kontrolle zu bringen. Emotionale Reaktionen verändern den Menschen, den Umgang mit ihnen erlernen wir im Laufe der persönlichen Entwicklung. Kleinkinder leben jede Emotion noch frei und intensiv aus. Später ist von außen nicht gleich ersichtlich, was in dem Kind eigentlich vor sich geht, es hat gelernt sich "zusammenzureißen". Die Emotionen werden reguliert. Entweder werden sie in eine günstige Richtung gelenkt oder sie werden unterdrückt, toleriert oder hingenommen. Im Wettkampf sollte man sofort wachsam sein, wenn sich Emotionen entwickeln und sich der innere Zustand verändert – im Prinzip gilt das auch für Alltagssituationen.

Ungünstige Emotionen verhindern

Das Entstehen von ungünstigen Emotionen lässt sich verhindern durch Umbewertung, Relativierung, Ablenkung und Distanz zur emotionsauslösenden Ursache ("Ist doch gar nicht schlimm."). Diese Fähigkeit müssen Spieler, Trainer und auch Schiedsrichter zum Beispiel beherrschen, wenn sie vom gegnerischen Publikum beschimpft werden. Schwieriger wird dies, wenn Gegenspieler ständig provozieren. Das permanente aktive Unterdrücken der emotionalen Reaktion – ein Prozess, der auch als Inhibition bezeichnet wird – ist Aufgabe des bewussten Denkens. Das ist anstrengend und kostet Energie.

Wenn der Stress hoch ist, können die Kapazität und das Arbeitsvermögen des bewussten Denkens erschöpft werden, so dass die Fähigkeit zur Inhibition leidet. So war wohl auch das unsportliche, mit einer Roten Karte bestrafte Verhalten des Franzosen Zinedine Zidane im WM-Finale 2006 zu erklären, als er seinen italienischen Gegenspieler Marco Materazzi mit einem absichtlichen Kopfstoß niederstreckte. Nachdem er von Materazzi permanent provoziert worden war, waren dem heutigen Trainer von Real Madrid "die Sicherungen durchgebrannt", wie man eine negative Reaktion umgangssprachlich nennt.

"Ruhig Blut zu bewahren" ist anstrengend und kostet Energie. Wenn der Stress hoch ist, kann das bewusste Denken an seine Grenzen stoßen und ein Fußballspieler lässt sich vielleicht zu einem Revanchefoul, einer Tätlichkeit oder einer Beleidigung hinreißen. Die zweite hilfreiche Strategie besteht darin, die Schuld woanders, aber nicht bei sich selbst zu suchen. Wenn es nicht läuft und Fehler passieren, der Gegner überlegen wirkt, ist es sympathisch und vernünftig, die Ursache dafür bei sich selbst zu suchen. Aber die Selbstbeschuldigung ist in einer schwierigen Wettkampfsituation kontraproduktiv. Wer den ungünstigen Wettkampfverlauf nur auf seine eigene Unzulänglichkeit zurückführt, erschüttert die Überzeugung von der eigenen Kompetenz.

Für Zweifel ist in schwierigen Situationen kein Platz

Doch diese Überzeugung ist sehr wichtig, damit erlernte Automatismen ungestört ablaufen können. Wenn es schwierig wird, sollte man sich nicht selbst im Weg stehen und nicht mit sich hadern. Für Zweifel ist in schwierigen Situationen kein Platz. Denn wer agiert, um lediglich den Misserfolg zu vermeiden, verhält sich eher passiv und vorsichtig. Erfolgsorientierte Sportler sind absolut von ihren Fähigkeiten überzeugt. Sie erklären Misserfolg durch äußere und vorübergehende Gründe ("Pech gehabt!", "Die Bedingungen waren schlecht!") und führen gute Leistungen stets auf eigene Fähigkeiten zurück. Das kann man in Interviews erkennen, wenn Reporter nach einem Fehler fragen und die Spieler bestreiten, einen Fehler gemacht zu haben.

Hilfreich kann es in schwierigen Situationen auch sein, den eigenen Anspruch herunterzuschrauben. Heute wird man eben mal nicht perfekt sein und glänzen, sondern es soll mal einfach und pragmatisch laufen – aber konsequent. Gerade dann geht es darum, besonders diszipliniert und akribisch die Kleinigkeiten abzuarbeiten. Versucht man dagegen, wenn es schwierig wird, das Besondere mit besonders starkem Willen zu erzwingen, gelingt unter Umständen sogar das eigentlich Einfache nicht mehr zuverlässig.

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