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AKADEMIE
02.07.2019

Die Mischung aus Medizin und Fußball

Wenn er nichts arbeitet, sind alle zufrieden. Das hört sich für den einen oder anderen vielleicht nach einem Traumjob an. Ganz so erholsam ist der Beruf des Mannschaftsarztes allerdings nicht – denn es gibt genug zu tun. Für Dr. med. Yannic Bangert, der in der abgelaufenen Saison unter anderem das Youth-League-Team der TSG Hoffenheim betreute, ist die Mischung aus Fußball und Medizin in der Tat ein Traumjob. Auf achtzehn99.de erzählt er, warum.

Als er am Abend des ersten Youth-League-Auswärtsspiels in Charkiw (Ukraine) im Speisesaal des Ovis Hotels den Spielern und dem mitreisenden Staff vorgestellt wurde, hieß es über Dr. Bangert ironisch: „Dieser Mann macht hier drei Tage Urlaub.“ Der 39-Jährige nahm diese Aussage mit Humor. Er wusste, wie sie gemeint war. Die UEFA schreibt vor, dass ein Arzt in der Youth League die Mannschaft dauerhaft begleitet. Und wenn alle Spieler gesund und verletzungsfrei sind, hat er – glücklicherweise – wenig zu tun.

In Hoffenheim ist der Mediziner kein unbekanntes Gesicht. Von 2012 bis 2015 war er bereits für die TSG Akademie im Einsatz, seit 2016 ist er Mannschaftsarzt der U23 und sitzt auch regelmäßig bei den Bundesliga-Partien der Profis auf der Bank. Im April diesen Jahres war er zum Beispiel neben den Youth-League-Partien gegen Dynamo Kiew, Real Madrid und den FC Porto auch bei der U23 gegen den SSV Ulm und den FC-Astoria Walldorf sowie bei den Profis gegen Hertha BSC und den VfL Wolfsburg im Dienst.

Der gebürtige Ludwigsburger wuchs in Stuttgart auf, studierte in Heidelberg von 2001 bis 2007 Medizin und wurde zunächst an Kliniken in Hamburg und Hannover ausgebildet. 2011 kehrte er an das Universitätsklinikum Heidelberg zurück, an der auch seine Frau als Anästhesistin arbeitet. Er ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie und seit diesem Jahr auch Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin. Seit mittlerweile fünf Jahren ist er nun an der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie im Bereich Sportorthopädie tätig, den er seit dem 1. Juni 2019, also seit wenigen Tagen, als Oberarzt leitet. Zusätzlich ist er Leitender Orthopäde am Olympiastützpunkt Rhein-Neckar.

Entscheidungen müssen schnell getroffen werden

„Man muss kein Fußballexperte sein, aber einer gewissen Begeisterung für diesen Sport bedarf es schon, sonst wären die mehrtägigen Auswärtsfahrten in der Youth League für mich zusätzlich zu meiner alltäglichen Arbeit in der Klinik und den Spielen der U23 und Profis auch nicht machbar gewesen“, sagt der Vater zweier Töchter, der an der Klinik zehn bis zwölf Operationen pro Woche durchführt. Ansonsten: Sprechstunde. Und natürlich TSG – jeden Dienstag ist Dr. Bangert in Zuzenhausen am Trainingszentrum, hinzu kommen die Einsätze an den Wochenenden. Dass sein Arbeitgeber, das Universitätsklinikum Heidelberg, ihm das ermöglicht, ist keine Selbstverständlichkeit.

„Das ist einerseits eine wunderschöne Mischung, hat aber den Nachteil, dass man mehr oder weniger immer erreichbar sein muss, sowohl telefonisch als auch vor Ort.“ Wie zum Beispiel in Nyon am Abend vor dem Halbfinale gegen den FC Porto, als es um 23 Uhr an seiner Hotelzimmertür klopfte und er nachfolgend einen Bluterguss unter dem Nagel der Großzehe mit einer Nadel entlasten musste. „Aber der Spaß an dieser abwechslungsreichen Tätigkeit überwiegt, sonst würde ich das Ganze nicht machen.“

Vieles in diesem Beruf ist Routine. Aber eben nicht alles. Und wenn es eng wird, müssen schnelle und zum Teil auch unangenehme Entscheidungen getroffen werden. So etwa im Heimspiel gegen Dynamo Kiew, als TSG-Stürmer Enes Tubluk nach einem Pressschlag starke Schmerzen am Knie verspürte. Dr. Bangert eilte auf den Platz untersuchte das Knie, zunächst versuchte Tubluk, weiterzuspielen. „Nach der erneuten klinischen Untersuchung in der Halbzeitpause war dann aber klar, dass er unter keinen Umständen weitermachen konnte“, so der Doc. „Das ist nicht immer einfach, weil die Jungs meistens glauben, dass es doch irgendwie geht, und solche Entscheidungen natürlich auch weitreichende Konsequenzen für die Trainer nach sich ziehen.“ In diesem Fall war es die richtige Entscheidung, Tubluks Verletzung erwies sich schließlich in der MRT-Diagnostik als Innenbandriss.

„Ganz kritisch sind Kopfverletzungen“, so Dr. Bangert. „Im Zweifelsfall ist es immer besser, einen Spieler rauszunehmen. In diesen Situationen bin ich eher Arzt als Hoffenheimer.“ Auch auf die Gefahr hin, dass sich die Verletzung später als harmlos entpuppt. „Bei Schnelldiagnosen stehen wir Mannschaftsärzte meist im Fokus und sicherlich gibt es da auch manchmal Reibungspunkte, aber alles in allem habe ich mit den Trainern ein sehr offenes und gutes Verhältnis.“ Das gelte auch für die Zusammenarbeit mit den hauptamtlichen Physiotherapeuten, die im Alltag, wenn Dr. Bangert nicht vor Ort sein kann, als Bindeglied fungieren.

Die Meinung der Physiotherapeuten ist dem 39-Jährigen sehr wichtig, doch die Entscheidung, ob ein Spieler aufgestellt werden kann oder ein Spieler operiert werden muss, liegt beim Arzt. Die Empfehlung zu einer Operation ist zwar nicht bindend, weil auch andere Menschen – wie zum Beispiel Familie oder Berater – Einfluss auf die Spieler nehmen. Doch meistens hören die Jungs auf seinen Rat. Die Operationen werden dann bei Spezialisten durchgeführt.

Attest kurz vor Anpfiff

Ein weiteres Beispiel aus der Youth-League-Saison: Im Vorfeld des Viertelfinals gegen Real Madrid hatte sich U23-Spieler Alfons Amade bereits über Rückenbeschwerden beklagt. Real, die Königlichen, Klub der Superlative – da will jeder Kicker gerne dabei sein. Und Trainer Marcel Rapp hätte den Junioren-Nationalspieler auch gerne in die Startelf gestellt, also wurde alles darangesetzt, ihn fit zu kriegen. „Alfi hat sich warmgemacht, aber es ging einfach nicht. Nur kann der Junge, der bereits auf dem Spielberichtsbogen steht, nicht einfach so runtergenommen werden, sonst würden taktischen Schachzügen kurz vor Anpfiff Tür und Tor geöffnet werden.“ Dr. Bangert musste also in diesem Fall kurz vor Anpfiff noch ein entsprechendes Attest ausstellen.

„Insgesamt betrachtet hatte ich bei meinen Youth-League-Einsätzen in der Tat wenig zu tun“, schmunzelt Dr. Bangert über seine „Urlauberrolle“ im europäischen Wettbewerb. „Es war eine schöne Erfahrung, so eng an der Mannschaft zu sein, von der Anreise über das gemeinsame Essen und die morgendlichen Laufeinheiten des Staff.“

Tubluk riet er übrigens nach dem MRT von einer Operation ab. Der Angreifer bekam eine Schiene und hat kürzlich seine Reha bei Bernd Steinhoff, dem Koordinator Medizin der TSG Akademie, beendet. In der kommenden Saison, wenn Tubluk in die U23 aufrückt, sehen sich der Angreifer und Dr. Bangert wieder. Ihm muss der Mannschaftsarzt dann nicht mehr vorgestellt werden.

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