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SPIELFELD
21.06.2017

Liebe für den zweiten Blick

Wichtig für den Cheftrainer einer Bundesliga-Mannschaft ist das "Team hinter dem Team" mit den Mitarbeitern wie Physiotherapeuten, Ärzten und Fitnesstrainern. Aber der engste Helfer von Julian Nagelsmann bei der TSG neben den beiden Assistenten Alfred Schreuder und Matthias Kaltenbach ist Benjamin Glück. Seine Tätigkeit nennt sich Spiel-Analyst. Der 31-Jährige ist praktisch das zweite Augenpaar des Trainers.

Wie sieht die Arbeit von Benjamin Glück hauptsächlich aus?

Er bereitet wichtige Informationen für den Cheftrainer auf. Eigentlich geht es immer um die beste Vorbereitung auf das nächste Spiel. "Mein Ziel ist, einen Beitrag zum Erfolg zu leisten", sagt Glück. Er schneidet Videos mit Szenen aus den Spielen der TSG Hoffenheim zusammen, er fertigt Videos über den nächsten Gegner an, aber er filmt auch das Training des TSG-Profikaders. Aus allem zieht er die wichtigsten Situationen und macht daraus kleine Filme, die Nagelsmann praktisch als Lehrbeispiele in den Teambesprechungen vorführt. "Videositzun- gen" heißen diese Stunden, die es bei der Nationalmannschaft ebenso gibt wie bei der TSG und anderen Klubs.

Wie wird man Spiel-Analyst? Wie ist Benjamin Glück an diesen seltenen Job gekommen?

Eine echte Ausbildung für diesen Beruf in der Bundesliga gibt es (noch) nicht. Mittlerweile aber gibt es zumindest entsprechende Lehrgänge, etwa an der Sporthochschule Köln und dem Institut für Fußballmanagement in München. Man muss vor allem großes Interesse am Fußball haben und gut mit  Video-Hightech umgehen können. Benjamin Glück hat in München Sport und Mathematik studiert und wollte eigentlich Lehrer werden. Zwischendurch bewarb er sich für ein fünfwöchiges Praktikum im Nachwuchsleistungszentrum der TSG. Das war vor sechs Jahren, als die Videotechnik für den Fußball noch in den Kinderschuhen steckte. 2012 beendete Glück in München sein Studium und hatte schon eine mehrmonatige Weltreise geplant, als ihn Alexander Rosen anrief, dass er nun bei den Profis im TSG-Trainingszentrum in Zuzenhausen sogar ein Praktikum über neun Monate machen könnte. Glück sagte die Weltreise ab, machte das Praktikum, bildete sich immer weiter auf dem neuen Fachgebiet und bekam eine Festanstellung. 2013/14 wurde er Spiel-Analyst bei der U19 und zum Leiter der Spielanalyse in der achtzehn99 AKADEMIE ernannt. Nach einem weiteren Jahr bei der U23 wechselte er 2015/16 unter Trainer Markus Gisdol zu den Profis. Nach Huub Stevens ist Nagelsmann nun der dritte Cheftrainer, dem er zuarbeitet. Ihn hat er auch schon bei den Junioren unterstützt.

Muss ein Spiel-Analyst selbst Fußball gespielt haben?

Sich in den geschickten Umgang mit der Videotechnik einzuarbeiten, ist nur eine Seite des Jobs. Den Fußball, vor allem die verschiedenen Taktiken, Spielsysteme und Strategien, muss ein Spiel-Analyst auch gut kennen. Benjamin Glück hat beim SV Ohlstadt in Oberbayern in der Jugend und bei den Amateuren gespielt, ehe er wegen einer Verletzung aufhören musste. In seiner Hoffenheimer Zeit machte er dann noch den B-Trainerschein. "Ohne ein gutes Fußballverständnis kann man keine Spielanalysen machen", sagt Glück.

Was sind die wichtigsten Werkzeuge des Spiel-Analysten, welche Helfer hat er?

"Mein Hauptwerkzeug sind meine Augen. Ich muss wirklich sehr viel Fußball schauen und analysieren", sagt Benjamin Glück. Das wichtigste Gerät, mit dem er arbeitet, ist ein Laptop mit einem Programm für den Videoschnitt, mit dem er die Spiele und die Trainingseinheiten in einzelne Sequenzen zerlegen kann. Natürlich sind auch Kameras bedeutend für seine Tätigkeit. In den Stadien sind Kameras unter den Dächern angebracht, in Zuzenhausen steht am Rande des Trainingsplatzes ein Kameraturm. Noch muss Glück dort selbst filmen, für die Zukunft aber soll auch dort eine feste Kamera installiert werden, die automatisch aufzeichnet. "Scouting Feed" heißt die Firma, die in allen Bundesligastadien die Spiele so filmt, dass sie für Spiel-Analysen verwendet werden können. Die normalen Fernsehbilder, auf denen man oft einzelne Spieler sieht, sind für die Taktikschulung unbrauchbar. Helfer hat Benjamin Glück auch: Ein TSG-Scout unterstützt ihn bei der Beobachtung und der Analyse des nächsten Gegners. Zur neuen Saison kommt ein Mitarbeiter von den U19-Junioren fest zu den Profis als Assistent von Glück. Aber auch die Co-Trainer Schreuder und Kaltenbach schauen sich regelmäßig Spiele an und markieren die wichtigsten Szenen für Benjamin Glück.

Von welcher Stelle beobachtet der Spiel-Analyst die Spiele und das Training?

Benjamin Glück befindet bei den Spielen auf der Tribüne vor einem Laptop. Dort kann er sehr spezielle Bilder sehen, die das Spielfeld und die 22 Profis von oben zeigen. "Ich kann zum Beispiel von dort viel besser die Räume erkennen und ob alles so funktioniert, wie es geplant war und im Training geübt wurde", erklärt Glück. "Bei Auswärtsspielen sitze ich oben auf der Pressetribüne, bei Heimspielen in einem kleinen Kabuff unter dem Dach unserer Arena." Und beim Training klettert der Spiel-Analyst auf den hohen, extra für ihn errichteten Kameraturm neben dem Platz in Zuzenhausen und filmt aus der Vogelperspektive. Um das Spiel noch besser von oben und nicht vom seitlichen Turm zu filmen, setzten Glück und Nagelsmann vor einigen Monaten sogar eine Drohne mit einer Kamera ein, um das Training aufzuzeichnen. Die Bilder waren gut, aber mehrere Spieler irritierten die Geräusche des Flugobjekts. "Es macht ja auch ganz schön Lärm", sagt Glück.

Wie sieht ein typischer Wochenplan aus?

Beim ersten Training der Woche steht die Mannschaftsbesprechung an, bei der mit ausgewählten Videoszenen den Spielern gezeigt und erklärt wird, was sie gut oder schlecht gemacht haben. Mitte der Woche folgt zwischen Nagelsmann und Glück das "Gegnergespräch", in dem der Kontrahent vom nächsten Wochenende ins Visier genommen wird. Dann geht es in der zweiten Wochenhälfte vor allem darum, den kommenden Gegner möglichst detailliert zu sezieren. "Mein Ziel ist es, sicher vorherzusagen, wie der Gegner gegen uns spielen könnte", sagt Glück. Dazu schaut der 31-Jährige in der Regel drei bis vier Spiele des Gegners an, um Muster zu erkennen und bestimmtes taktisches Verhalten in bestimmten Situationen zu analysieren. "Die ganze Arbeit zielt darauf ab, die Gegner zu zerlegen, ihre Stärken und Schwächen zu erkennen und aufzuzeigen", sagt Glück. Julian Nagelsmann nimmt die Erkenntnisse dankend an – und verfeinert so seinen Matchplan.

Wie finden die Videositzungen für die Mannschaft statt?

Die Besprechungen mit Videoanalyse finden in einem dunklen Raum statt, damit auf dem großen Bildschirm alles möglichst scharf zu sehen ist. Spieler, die vom harten Training etwas müde sind, könnten durchaus mal einnicken. "Deswegen darf man die Spieler auch nicht mit Videos überfrachten. Die wichtigen Sachen müssen kurz und knackig sein. Man muss die Szenen auf das Wichtigste reduzieren", weiß Benjamin Glück. Eine überaus wichtige Videoanalyse findet in den Halbzeiten der Bundesligaspiele statt. Während der ersten Halbzeit wählt Glück zwei oder drei Szenen aus, wo etwas Taktisches noch verbessert werden kann oder wo sogar etwas völlig vom Matchplan abgewichen ist. Mit dem Halbzeitpfiff läuft er hinunter in die Kabine und zeigt Nagelsmann, sobald dieser eintrifft, seine ausgewählten Szenen. Der Trainer entscheidet dann, was der Mannschaft präsentiert wird. "Dann geht es meist darum, den Spielern zu zeigen, wo sich Räume geöffnet haben, die sie noch bespielen können. Oder sie bekommen präsentiert, wie sie den Gegner anlaufen müssen. Es geht immer darum, ihnen Lösungen für die zweite Halbzeit an die Hand zu geben", beschreibt der Spiel-Analyst die kurze, aber meist wichtige Halbzeit-Lektion.

Warum kann man den Spiel-Analysten als das zweite Augen- paar des Trainers bezeichnen?

Man muss das gleiche Verständnis vom Fußball haben wie der Trainer. "Ich sollte den gleichen Blick auf das Spiel haben wie Julian Nagelsmann", betont Benjamin Glück. Der "gleiche Blick" bedeutet: Er muss immer darauf achten, welche speziellen Erkenntnisse Nagelsmann von den Spielen und den Trainingseinheiten gewinnen will. Manchmal schauen sich die beiden auch von der Tribüne gemeinsam Spiele an wie das DFB-Pokal-Halbfinale im April zwischen Bayern und Dortmund (2:3). "Dann besprechen wir einige Spielsituationen sofort. Das hilft mir zu verstehen, worauf ich für Julian auch bei anderen Spielen achten muss", sagt Glück. Er ist also auch zu einem echten Experten für Fußballtaktik geworden. "Das entwickelt sich mit den Jahren. Ich habe viel von Julian gelernt. Und ich schaue mir ja auch sehr viele Spielvideos allein an. Da muss ich die Szenen rausschneiden, mit denen der Trainer die Mannschaft weiterentwickelt."

Sind Benjamin Glück und Julian Nagelsmann ziemlich beste Freunde?

Spiel-Analyst und Cheftrainer haben einen ständigen engen Kontakt durch ihren Beruf. Sie sitzen im Trainingszentrum im gleichen Büro, um sich ständig austauschen zu können. "Wir sind beides Kinder der Berge", sagt Glück, "wir haben viel gemeinsam wie unsere Hobbys Skifahren, Snowboarden und Mountainbiken." Er kommt aus Ohlstadt in der Nähe von Garmisch-Partenkirchen, Nagelsmann aus dem von dort 70 Kilometer entfernten Landsberg am Lech. "Es hat sich eine gute, enge Freundschaft zwischen uns entwickelt. Wir haben sehr viel Spaß zusammen und gehen immer wieder mal in der Region um Hoffenheim auf eine Radeltour." Die abgelaufene Saison hat gezeigt, wie wichtig diese Freundschaft für die TSG ist.

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