Alle Ergebnisse TSG eSPORTS TSG IST BEWEGUNG TSG Radio
AKADEMIE
27.08.2012

Thomas Krücken: Ein Hauch von Barcelona und Manchester

An seine erste direkte Begegnung mit 1899 Hoffenheim erinnert sich Thomas Krücken nur sehr ungern. „Das war ein Tag, am dem ich besser im Bett geblieben wäre“, sagt der heutige Cheftrainer der U19. Ein Portrait.

Vor vier Jahren war der gebürtige Neusser U17-Trainer von Hertha BSC und hatte mit seinen Jungs in einem Herzschlagfinale die Meisterschaft der Bundesliga Nord/Nordost errungen. Im Halbfinale um die „Deutsche“ kam es dann zum Duell mit den Kraichgauern. 6:1 gewann Hoffenheim in Berlin und legte den Grundstein zum Titelgewinn 2008, der 3:1-Sieg der Herthaner im Dietmar-Hopp-Stadion hatte nur noch statistischen Wert. Nun nimmt Krücken auf der Trainerbank in der Silbergasse Platz. Als Hoffenheim-Coach.

Die aktive Laufbahn des heute 35-Jährigen war bereits früh zu Ende. Krücken spielte ab der C-Jugend in der jeweils höchsten Liga und wurde noch als A-Jugendlicher ins Oberliga-Team des VfR Neuss befördert. Doch das Knie machte die hohen Belastungen, die durch die parallele Ausübung von Fußball, Handball und Tennis entstanden waren, nicht mehr mit. „Mir wurde nachgesagt, hochbegabt zu sein, aber zu einem Talent gehört eben auch die Physis.“ Doch die Verletzung hatte auch etwas Gutes. Krücken konnte sich frühzeitig auf seine Trainerausbildung konzentrieren und hat mit gerade mal 35 die Erfahrung eines 50-Jährigen.

Beim Lesen seiner Vita kann einem schwindlig werden: Studium der Sportwissenschaften sowie Germanistik und Anglistik in Köln, Trainer der U13 der „Geißböcke“, Aufbau des Schulprojekts, Staatsexamen. Um seine Englischkenntnisse zu verbessern, absolvierte er ein Auslandsstudium in Manchester und heuerte bei ManCity an.

„Ich wollte immer Trainer werden“

Im Nachwuchszentrum an der Platt Lane, in unmittelbarer Nähe der legendären Maine Road, coachte „the German“ die U11 der „Citizens“ und lernte unter anderem Kevin Keegan oder die City-Ikone Paul Power kennen. „Diese Zeit hat mich sehr geprägt“, sagt Krücken, der dann nach Deutschland zurückkehrte, um in Siegen ein Referendariat zu absolvieren. Am Gymnasium Am Löhrtor profitierte er von einem guten Ausbilder, der ihn in punkto Methodik und Didaktik nach vorne brachte. Der Lehrerberuf sollte sein zweites Standbein sein. „Aber ich wollte immer Trainer werden.“

Daher übernahm Krücken auch wieder Jugendmannschaften des FC und pendelte nahezu täglich die rund 100 Kilometer einfach zwischen Köln und Siegen. „Das war sehr anstrengend, aber wer hohe Ziele hat, der muss Opfer bringen und sich frühzeitig mit Zeitmanagement auseinandersetzen. Das versuche ich auch, meinen Spielern vorzuleben.“

2007 war die Zeit für einen neuen Tapetenwechsel gekommen. Dieter Hoeneß, damals Manager bei Hertha BSC, bot Krücken einen Job in der Hauptstadt an, wo er neben der U17 auch die Position des Pädagogischen Leiters im Internat übernehmen sollte. Die erste Saison endete mit dem „Hoffenheim-Trauma“, zwei Jahre später erreichten Herthas B-Junioren erneut das Halbfinale, scheiterten aber diesmal an Eintracht Frankfurt. Im Rahmen seiner Fußballlehrer-Ausbildung absolvierte er ein Praktikum beim damaligen Hertha-Chefcoach Lucien Favre. „Besonders die Vermittlung taktischer Verhaltensweisen mit und gegen den Ball hat mich geprägt“, sagt Krücken, der während des Lehrgangs in Hennef unter anderem Markus Babbel und Christian Ziege kennenlernte.

Hospitation beim FC Barcelona

Letzterer war gerade dabei, bei Arminia Bielefeld den Nachwuchsbereich neu zu strukturieren und auf der Suche nach hungrigen Mitarbeitern. Krücken nahm die Stelle des Nachwuchszentrumsleiters an. „Es hat mich gereizt, auch einmal in der Schaltzentrale aus dem Büro heraus zu arbeiten. Doch dann wurde mir schnell klar, dass ich wieder auf den Platz möchte.“ Als das Angebot aus Hoffenheim kam, war die Bedenkzeit daher nur kurz. „Hier steht eines der Top-Zentren Deutschlands und die ganzheitliche Ausbildung ist nicht nur ein Schlagwort, sondern Alltag.“ Mittlerweile hat Thomas Krücken auch eine Wohnung in der Heidelberger Altstadt gefunden, Lebensgefährtin Sabrina, die derzeit noch in Bochum lebt, wird bald folgen. Der Start in der neuen Heimat verlief nach Wunsch. „Ich bin sehr freundlich aufgenommen worden und habe schnell einen guten Draht zu den engsten Mitarbeitern gefunden. Wir haben hier vom Athletiktrainer über den Sportpsychologen bis hin zur Videoanalyse hervorragende Fachleute, um die Spieler weiterzubringen.“

In der nach Krückens Meinung stärksten Bundesliga-Staffel sollen die Talente eine Siegermentalität ausbilden und sich zu Kandidaten für den Seniorenbereich entwickeln. Zu seiner Berliner Zeit machte sich der Fußballlehrer auch als Referent beim Internationalen Trainerkongress einen Namen. 2008 in Wiesbaden hielt er einen Vortrag zum Thema „Spielaufbau aus der Viererkette“, ein Jahr später in Pforzheim über „Persönlichkeitsentwicklung“. In zahlreichen Hospitationen – unter anderem bei Manchester United, Liverpool FC, Everton FC, Leeds United oder auch bei Paris St.-Germain – sammelte Krücken Eindrücke von der Trainingsarbeit in anderen großen Fußballnationen, im Frühjahr 2012 war er zehn Tage zu Gast in „La Masia“, der Mutter aller Nachwuchsakademien des FC Barcelona. „Die Verantwortlichen haben mir einen Einblick in ihre Ausbildungskonzeption gewährt. Natürlich kann man nicht alles 1:1 nach Hoffenheim übertragen, aber dennoch vieles auf die eigene Arbeit projizieren.“

Neben diesem progressiven Konzept und seiner konsequenten Umsetzung auf dem Platz beeindruckte ihn der respektvolle Umgang und das Miteinander von der U7 bis zum Reserveteam „Barça B“. Auch Pep Guardiola schaute regelmäßig bei den Nachwuchstrainern vorbei und war sich nicht zu fein, mit ihnen über neue Rondo-Formen zu diskutieren. Bei den „Blaugrana“ wird Teambuilding ständig von oben vorgelebt und nicht mit einer gemeinsamen Kanufahrt zum Saisonstart erzwungen.

Noch heute Kevin Keegans Krawatte im Schrank

Und wie lautet Krückens eigene Definition von Talent? „Da gibt es ganz viele Kriterien“, sagt er. „Die wichtigsten sind Spielintelligenz, Technik, Schnelligkeit, Beweglichkeit, Emotion, soziale Kompetenzen, Kritikfähigkeit und Lernwille. Ganz wichtig ist auch die Gier.“ Viele dieser Faktoren seien durch die Sozialisation geprägt, und hier erkenne man, ob ein Spieler beispielsweise in einem großstädtischen Umfeld aufgewachsen ist. „Die Berliner muss man anders führen als die Kölner, und die wiederum anders als die Hoffenheimer“, so der U19-Trainer.

Als zu seiner Manchester-Zeit der damalige Cheftrainer Kevin Keegan mitbekam, dass da ein deutscher Jugendtrainer sei, sprach der HSV-Star der 70er Jahre Krücken an, ob er nicht ein Spiel der Profis in der „Director's Box“ schauen wolle. Krücken wollte, hatte aber ein Problem, als er von der Krawattenpflicht erfuhr. „Ich hatte nämlich keine. Also gab mir Keegan seine und band sie mir gleich. Sie hängt heute noch in meinem Schrank.“ Überhaupt Manchester: Zwei Mal, zumindest gefühlt, sah der „German“ dort die Sonne. „Einmal“, erinnert er sich, „stand ich bei minus zwei Grad mit Winterjacke auf dem Platz. Dann kamen die Spieler, in kurzen Trainingsklamotten. Ich kam mir vor wie ein Weichei.“ Das ist elf Jahre her. Krücken ist mittlerweile trotz seines jungen Alters um einiges an Erfahrung reicher. Und die möchte er nun in der Akademie weitergeben.

Jetzt Downloaden!
Seite Drucken nach oben