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MÄNNER
02.12.2023

Vor 20 Jahren: Als der Dorfklub die Werkself schockte

Heute vor 20 Jahren machte die TSG 1899 Hoffenheim erstmals überregional von sich reden. Der überraschende 3:2-Sieg im DFB-Pokal-Achtelfinale gegen Bayer Leverkusen am 2. Dezember 2003 im Dietmar-Hopp-Stadion brachte den damaligen Regionalligisten auf die deutsche Fußball-Landkarte und schrieb das erste Kapitel der modernen Vereinsgeschichte. Wir erinnern an einen historischen Abend.

Prolog

Ja, Michael Ballack hatte Bayer Leverkusen in Richtung FC Bayern München verlassen. Aber aus jener Elf, die eineinhalb Jahre zuvor im Hampden Park von Glasgow das Champions-League-Finale gegen Real Madrid bestritten hatte, standen an diesem Dienstagabend noch sieben Akteure auf dem Rasen. Der Bekannteste: Lucimar da Silva Ferreira, genannt Lúcio, der im Sommer 2002 mit der brasilianischen Seleção Weltmeister geworden war. Dann die beiden deutschen Nationalspieler Bernd Schneider und Oliver Neuville, sowie Torhüter Hans Jörg Butt, Marko Babić, Diego Placente und der bulgarische Torjäger Dimitar Berbatov. Klangvolle Namen des Weltfußballs. Kapitän der Leverkusener war Jens Nowotny, der das Champions-League-Finale verletzungsbedingt verpasst hatte.

Auf ihrem Weg nach Glasgow hatte die Werkself mehrere europäische Top-Klubs aus dem Weg geräumt und in furchteinflößenden Arenen wie dem Camp Nou (FC Barcelona), in Highbury (Arsenal FC), an der Anfield Road (Liverpool FC) oder in Old Trafford (Manchester United) gespielt. Nun also fuhr das Leverkusener Starensemble die Hoffenheimer Silbergasse hoch und wärmte sich in einem kleinen Stadion mit Stahlrohrzusatztribünen auf. Am darauffolgenden Wochenende wartete auf den Bundesliga-Dritten das Derby beim 1.FC Köln. Der Ausflug in den Kraichgau sollte nur eine Pflichtaufgabe sein.

Erst zwei Jahre zuvor war die TSG mit dem Bammentaler Ex-Bayern-Profi Hansi Flick (Chef) sowie dem ehemaligen Waldhof-Profi Alfred Schön (Co) auf der Trainerbank erstmals in die Regionalliga aufgestiegen. In ihrer nun dritten Spielzeit in Deutschlands dritthöchster Spielklasse belegten die Kraichgauer gerade Rang fünf. Was den DFB-Pokal angeht, war es ihre zweite Teilnahme nach 2002/03, als in der zweiten Runde das Aus gegen den 1.FC Köln kam.

Im zweiten Anlauf lief es besser: Zum Auftakt 2003/04 bezwangen die Hoffenheimer den Zweitligisten Eintracht Trier mit 4:3 nach Verlängerung. Denis Bindnagel hatte vier Minuten vor dem Ende den Ausgleich erzielt, in der Extrazeit sorgte Sascha Ropic für den Einzug in die nächste Runde. Hier kam der Karlsruher SC, ebenfalls Zweitligist, im Dietmar-Hopp-Stadion gleich mit 0:4 unter die Räder. Bindnagel hatte die 1:0-Pausenführung erzielt, in der Schlussviertelstunde schraubten Christian Möckel, Kai Herdling und Sachar Theres das Resultat in die Höhe. Leverkusen war also gewarnt.

Wie im Theater mit Anzug und Krawatte

Die Hoffenheimer hatten wie schon vor den Duellen mit Trier und Karlsruhe ein Kurztrainingslager absolviert. Zudem waren der verletzte Kapitän Thorsten Thee (Rücken) und Angreifer Christian Möckel (Oberschenkel) rechtzeitig wieder fit geworden. Der Anpfiff von Schiedsrichter Dr. Felix Brych ertönte um 19 Uhr. 6.500 Zuschauer, doppelt so viele wie die Einwohnerzahl Hoffenheims, waren gekommen. Die ganz in Rot spielende TSG hatte den Respekt vor dem Bundesligisten in der Kabine gelassen und gab von Beginn an Vollgas. Schon nach wenigen Minuten ließ Hanno Balitsch gegen Heiko Throm das Bein stehen und Stephan Sieger verwandelte den unstrittigen Strafstoß gegen den als „Elfmeter-Killer“ anerkannten Butt unbeschwert (7.). Sieger, der am Folgetag seinen 24. Geburtstag feierte, traf kurze Zeit später den Außenpfosten.

Das 2:0 nach einer knappen halben Stunde war ein Treffer der Marke „Traumtor“. Thomas Ollhoff hatte Heiko Throm ins Sprintduell mit Placente geschickt, das der TSG-Angreifer gewann und anschließend noch die Kaltschnäuzigkeit aufbrachte, den Ball über den fünf Meter vor der Linie stehenden Butt zu lupfen.

Leverkusens Trainer Klaus Augenthaler war zur Halbzeit bedient. 78 Mal hatte er zwischen 1985 und 1990 gemeinsam mit Hansi Flick für den FC Bayern München auf dem Platz gestanden und vier Deutsche Meisterschaften mit ihm gefeiert. Jetzt musste er seinem ehemaligen Teamkollegen beim Jubeln zusehen. In der Nachbetrachtung der Partie keifte Augenthaler: „Ich habe das Gefühl gehabt, wir waren im Theater – mit Anzug und Krawatte.“ Sein Co-Trainer Ulf Kirsten, der gerade seine von Toren gepflasterte aktive Karriere bei Bayer beendet hatte, wusste zu diesem Zeitpunkt auch, wer die „Thoronas oder so“ sind: So hatte er im Vorfeld der Partie die Cousins Heiko und Marcel Throm bezeichnet. Heiko Throm, Stürmer, war an beiden Toren beteiligt, Marcel Throm, Linksverteidiger, hatte den Vizeweltmeister Daniel Bierofka fest im Griff.

Nicht die Grösse des Hundes ist im Kampf entscheidend, …

Keeper Thomas Hillenbrand – der seinen Vorderleuten gegenüber dem Reporter des kicker später eine „übermenschliche“ Leistung bescheinigen würde – klärte einmal glänzend gegen Schneider (40.), hatte jedoch ansonsten im ersten Durchgang nicht viel zu tun. Im zweiten aber bekam er die Wut des Favoriten zu spüren. Lúcio zimmerte die Kugel aus 13 Metern in den Winkel (54.), kurz darauf köpfte Berbatov eine Neuville-Freistoßhereingabe zum 2:2 ins Netz (67.). Nach dieser kleinen Machtprobe stand der psychologische Zusammenbruch des Regionalligisten zu befürchten. Hillenbrand entschärfte einen Bierofka-Distanzschuss, Ollhoff plagte sich mit Krämpfen, die TSG schien K.o.

Dann kam die 77. Minute.

Der gerade erst eingewechselte Sachar Theres führte nach einem Foul an ihn selbst den Freistoß in der eigenen Hälfte schnell aus, jagte den Ball über die indisponierte Bayer-Defensive und schickte den ebenfalls neu gekommenen Herdling auf die Reise. Der 19-Jährige lief alleine auf Butt zu, spürte Nowotnys Atem im Rücken, kam zu Fall, prallte mit Butt zusammen, fuchtelte mit den Armen, wollte einen Elfmeter. Und währenddessen kullerte der Ball ins Tor. 3:2, unfassbar. Stadionsprecher Horst Heinlein griff ans Mikrofon und feierte Herdling.

Doch bevor die Sensation endgültig unter Dach und Fach war, mussten Flick und die 6.500 Zuschauer noch ein paar Mal die Luft anhalten. Etwa bei Berbatovs Aufsetzer aus kurzer Distanz, den Hillenbrand parierte. Oder als Schneiders Drehschuss im Fünfmeterraum in der Nachspielzeit von Theres und Hillenbrand im Verbund auf der Linie geklärt wurde. Dann war endlich Schluss. „Ich glaube, das Klubheim in Hoffenheim steht heute nicht mehr lange“, kündigte ein euphorisierter Stephan Sieger dem ZDF-Reporter Michael Palme an, während Marcel Throm von der jubelnden Menge, die außer Rand und Band den Rasen geflutet hatte, auf Schultern vom Platz getragen wurde.

Wenige Minuten später intonierte Sieger in der Kabine die deutsche Version von „Butterfly“ des französischen Schlagersängers Danyel Gérard. Es wurde laut, Korken knallten. Bei den Feierlichkeiten fehlte zunächst der dehydrierte Ollhoff: „Ich wurde zur Dopingprobe gelost und konnte nach diesen 90 Minuten zweieinhalb Stunden kein Wasser lassen. Ich habe die Jungs singen hören, durfte aber den Raum nicht verlassen.“

… sondern die Größe des Kampfes im Hund­­

Auf den Bewegtbildern des damaligen Sportschau-Beitrags ist das Flipchart zu sehen, auf das Flick die taktische Ausrichtung gekritzelt hatte. Über den mit unzähligen Pfeilen versehenen Spitznamen – „Sigges“ für Sieger, „Tafty“ (Thee), „Hille“ (Hillenbrand) oder „Mogli“ (Möckel) – prangte in großen Lettern ein „tschechisches Sprichwort“, das in Wahrheit dem Schriftsteller Mark Twain zugeschrieben wird und wie folgt lautet: „Nicht die Größe des Hundes ist im Kampf entscheidend, sondern die Größe des Kampfes im Hund.“

40 Jahre vor diesem denkwürdigen Abend hatte es die TSG übrigens erstmals in den kicker geschafft. In der Ausgabe vom 12. August 1963 stand in der Kurzmeldungen-Rubrik „Dribblings“ auf Seite 24: „Für Kartengrüße danken wir TSG Ulm 46, dem Karlsruher FV aus USA, […] der Jugend der TSG Hoffenheim […]“ In den folgenden Jahrzehnten fand Hoffenheim im Fachmagazin höchstens in Ergebniszeilen und Tabellen Erwähnung. Im Dezember 2003 hingegen gab es die ersten längeren Artikel über den Dorfklub, der es dank dieser Pokal-Sensation auf die deutsche Fußball-Landkarte schaffte – und heute dort seinen festen Platz hat.

TSG 1899 Hoffenheim – Bayer 04 Leverkusen 3:2 (2:0)
Hoffenheim:
Hillenbrand – Thee, Daub, Bindnagel, M. Throm – Böttjer, Sieger, Müller (74. Theres) – Ollhoff – Möckel, H. Throm (51. Herdling). – Trainer: Flick.
Leverkusen: Butt – Lúcio, Nowotny, Juan – Bierofka, Babic (46. Neuville), Schneider, Balitsch, Placente – Berbatov, França. - Trainer: Augenthaler.
Tore: 1:0 Sieger (7., Strafstoß), 2:0 H. Throm (30.), 2:1 Lúcio (54.), 2:2 Berbatov (67.), 3:2 Herdling (77.). Zuschauer: 6.500. Schiedsrichter: Dr. Felix Brych (München). Karten: Gelb für Thee / França.
Sinsheim, Dietmar-Hopp-Stadion, 2. Dezember 2003

Das sind die Pokal-Helden von 2003/04 (in alphabetischer Reihenfolge):

Denis Bindnagel (bei der TSG von 2001 bis 2008), Matthias Born (2000-05), Timo Böttjer (2002-06), Christian Daub (2001-07), Jochen Endreß (2003-06), Andreas Gaber (1995-2004), Sebastian Haag (2003-04), Kai Herdling (2002-08, 2009-12, 2012-16), Thomas Hillenbrand (2003-07), Sebastian Hofmann (2002-06), Marcus Klandt (2002-04), Kevin Knödler (1999-2005), Martin Lanig (2003-06), Sascha Maier (2003-04), Christian Möckel (2003-04), Thorsten Müller (2001-05), Thomas Ollhoff (2002-06), Sascha Ropic (2003-04), Stephan Sieger (2001-04), Thorsten Thee (1999-2004), Sachar Theres (2003-04), Heiko Throm (2001-05), Marcel Throm (2000-08).

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