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MÄNNER
12.01.2021

„Die wahren Helden arbeiten in den Krankenhäusern“

2020 war für Sargis Adamyan das Jahr der Comebacks. Im Februar verletzte sich der Angreifer schwer am Knöchel und fiel mehrere Monate aus. Kurz nach seiner Rückkehr warf ihn das Coronavirus im November erneut zurück. Doch der 27-jährige Armenier erholte sich auch von diesem Rückschlag und nahm sich Zeit, um per Video mit der SPIELFELD-Redaktion über die Trainingsmöglichkeiten während der Quarantäne, seine Rolle bei der TSG Hoffenheim und die schwierige Situation in seinem Heimatland zu sprechen.

Sargis, auch Du blickst auf ein wechselhaftes und nicht einfaches Jahr zurück. Im November hast Du Dich während der Länderspielreise auch noch mit dem Coronavirus infiziert. Wie geht es Dir und wie hast Du die Krankheit verkraftet?

„Mir geht es wieder gut und darüber bin ich wirklich sehr froh. Vor allem zu Beginn war ich schon recht müde. Aber danach hatte ich nur noch ein wenig Husten und keine größeren Probleme mehr. Ich konnte schon während der Quarantäne einige Übungen zu Hause machen und mich auf mein zweites Comeback des Jahres vorbereiten.“

Welche Möglichkeiten hattest Du im Heimtraining?

„Ich habe mit Christian Neitzert (Präventivtrainer der TSG Hoffenheim, Anm. d. Red.) via Videokonferenzen einige Übungen absolvieren können. Zudem hat die TSG mir ein Fahrrad-Ergometer geschickt, um mich fit zu halten. Aber das ist natürlich alles nichts im Vergleich zur Rückkehr auf den Rasen. Ich bin froh, mich wieder an der frischen Luft richtig auspowern zu können.“

Du hast es angesprochen, nach Deiner schweren Knöchelverletzung im Februar 2020 hattest Du Dich gerade erst wieder zurückgekämpft und auf Anhieb drei Pflichtspiel-Tore erzielt. Wie bist Du mit dem erneuten Rückschlag umgegangen?

„Das war wirklich sehr bitter, weil ich wieder gut in Form war. Ich habe mir aber selbst Mut zugesprochen, weil ich wusste, dass ich es dieses Jahr schon einmal geschafft habe, nach einer schweren Verletzung und in diesem Fall sogar einer monatelangen Pause zurückzukommen. Deswegen war ich seit der Diagnose zuversichtlich, dass die zweiwöchige Quarantäne kein großer Rückschlag für mich werden wird. Ich habe an mich geglaubt und nur daran gedacht, schnell wieder auf den Rasen zurückzukehren und der Mannschaft zu helfen.“

Eine Verletzung kommt nie zu einem guten Zeitpunkt. War es denn damals im Februar dennoch besonders ärgerlich für Dich?

„Auf jeden Fall. Ich war richtig gut in Form und ein fester Bestandteil des Teams in meiner ersten Bundesliga-Saison. Aber ich denke, dass das zum Fußball dazu gehört. Ich habe hart an mir gearbeitet, um wieder zurückzukommen und das ist mir gut gelungen. Es war zudem eine wichtige Erfahrung für mich, die mich im Nachhinein eher stärker gemacht hat.“

Nach Deinem Comeback hast Du Dein Europa-League-Debüt gefeiert und Deine ersten zwei Treffer im internationalen Wettbewerb erzielt. Ein besonderes Gefühl?

„Als Stürmer ist man über jeden Treffer glücklich, aber das hat mich besonders gefreut. Es waren meine beiden ersten Tore nach der langen Verletzung und dann auch noch in der Europa League. Ich will nun wieder daran anknüpfen, wo ich vor meiner Verletzung und dem Virus war. Ich weiß mittlerweile, dass ich auch auf diesem Niveau überzeugen und treffen kann, das hilft mir enorm, vor allem in schwierigen Zeiten.“

Vor dreieinhalb Jahren hast Du noch in der Regionalliga gespielt und nun sprechen wir über Deine ersten Tore in einem  internationalen Klub-Wettbewerb. Konntest Du Dir diesen Karriereaufstieg damals vorstellen?

„Nein. Es ging Schlag auf Schlag und plötzlich habe ich Tore gegen den FC Bayern geschossen und international gespielt. Ich konnte diese Entwicklung aber während meiner Reha mal ein wenig verarbeiten und es mir bewusst machen. Ich weiß nicht, ob das nochmal so funktionieren würde. Das war schon unglaublich. Ich bin darauf sehr stolz, weil ich nicht glaube, dass so eine Karriere jedem Spieler gelingt.“

Du bist von der Regionalliga in die 2. Bundesliga und zwei Jahre später in die Bundesliga gewechselt. Welcher Sprung war größer?

„Ich glaube, dass der Unterschied zwischen der Regionalliga zur zweiten Liga ein bisschen größer war. Zuvor hat noch vieles an Amateurfußball erinnert und auf einmal war alles ganz professionell. Daran musste ich mich erst gewöhnen. Man hat mir aber in Regensburg die nötige Zeit gegeben und dann hat alles funktioniert. Genauso war es bei der TSG, als ich den Schritt von der zweiten Liga in die Bundesliga gemacht habe. Im Nachhinein kann ich sagen, dass beide Schritte herausfordernd waren, aber auf jeden Fall richtig.“

Bei Deinem Startelf-Debüt in der Bundesliga hast Du im Oktober 2019 beim FC Bayern München zwei Treffer erzielt und wurdest zum Matchwinner. Was war das für ein Gefühl?

„Es ist noch immer das bedeutendste Spiel meiner Karriere. Die Startelf-Premiere war wie gemalt mit zwei Treffern gegen den späteren Triple-Sieger. Und die einfachste Chance habe ich sogar noch vergeben. (lacht) Aber das sind sehr schöne Erinnerungen, die ich nie vergessen werde. Das Spiel wird immer ein ganz besonderer Moment meiner Laufbahn bleiben.“

Gegen die Bayern hast Du als Stammspieler zwei Tore erzielt. Aber auch als Einwechselspieler kannst Du eine gute Torquote aufweisen. Du hast bei der TSG bislang sechs Joker-Tore erzielt. Kommen Deine Stärken in dieser Rolle besonders zur Geltung?

„Ich versuche, im Spiel direkt von der ersten Sekunde an da zu sein – egal, ob von Beginn an oder von der Bank kommend. Damit habe ich bislang in beiden Rollen viel Erfolg. Ich kann gut in die Räume laufen und meine Schnelligkeit ausnutzen. In der Vergangenheit hat das dann vor allem als Einwechselspieler zu einigen Toren geführt. Solange ich regelmäßig treffe und der Mannschaft helfe, kann es von mir aus gern so weitergehen.“

Bei Deinem Transfer vor eineinhalb Jahren sprach Alexander Rosen von einer Herausforderer-Rolle für Dich. Hättest Du damit gerechnet, dass es so gut läuft und würdest Du sagen, dass sich Deine Rolle mittlerweile verändert hat?

„Ich wusste, dass ich meine Chancen bei der TSG bekommen werde und wollte sie nutzen. Das hat dann ja auch ganz gut geklappt. Ich habe mich im Kader festgespielt und bekomme viel Lob von allen Seiten. Das freut mich und gibt mir das Gefühl, dass ich die anfängliche Herausforderer-Rolle gut angenommen habe und ihr nun ein wenig entwachsen bin.“

Als Lohn für Deine Leistungen sprang eine Vertragsverlängerung bis 2023 heraus. Was hast Du mit der TSG in den nächsten Jahren vor?

„Zuallererst bin ich der TSG sehr dankbar, dass sie mich damals überhaupt verpflichtet hat. Es ist nicht selbstverständlich, dass ein Spitzenklub aus der Bundesliga einen Zweitliga-Stürmer kauft. Dass mein Vertrag nun bis 2023 läuft, macht mich glücklich. Sportlich will ich mit der Mannschaft auch in den nächsten Jahren so erfolgreich wie möglich sein. In der Bundesliga ist uns das zuletzt nicht wie gewünscht gelungen, aber ich bin zuversichtlich, dass das wieder klappt. Wir sind auf einem guten Weg und haben bis zum Saisonende noch viele wichtige und attraktive Spiele vor uns.“

Was ist für die TSG in der Europa League nach dem vorzeitigen Überstehen der Gruppenphase möglich?

„Wir schauen von Spiel zu Spiel und dann auch hoffentlich von Runde zu Runde. Es kommen tolle Mannschaften aus der Champions League hinzu. Wir sind hungrig auf mehr und auf die ersten internationalen Spiele in der K.o.-Phase der TSG-Geschichte.“

International bist Du nicht bloß für die TSG treffsicher. Im letzten Länderspiel des Jahres hast Du für Armenien das 1:0-Siegtor gegen Georgien geschossen. Durch den Bergkarabach-Konflikt wurde der Erfolg in den Medien und sozialen Netzwerken danach natürlich enorm emotional aufgewertet.

„Es war ein besonderes Spiel für uns. Es ging um mehr als nur Fußball. Wir wollten die Menschen in Armenien in so einer schwierigen Situation durch unser Spiel ein wenig glücklich machen. Sie empfinden aktuell nicht viel Freude, deswegen wollen wir derzeit auch besonders für die Nation und unsere Landsleute spielen. Ich habe danach sehr viele Reaktionen erhalten und es bedeutet mir sehr viel, dass wir den Menschen in einer ganz schwierigen Phase für das Land etwas Freude bereiten konnten.“

Wenn man in so einem Moment das Siegtor erzielt, wird man dann in der Heimat zum Helden erkoren?

„Nein, soweit will ich nicht gehen. Letztendlich spielen wir nur Fußball. Diesen Status haben für mich Menschen, die in den Krankenhäusern arbeiten. Menschen, die für das Land kämpfen und sich für die richtigen Leute einsetzen. Das sind die wahren Helden.“

Zwischen Armenien und Aserbaidschan herrschte rund um die Region Bergkarabach Krieg, ein Waffenstillstand wurde in den Tagen um das Spiel gegen Georgien geschlossen, es gab viele Flüchtlinge, die in die Hauptstadt Jerewan kamen. Wie empfindest Du die Situation in Deinem Heimatland?

„Es ist sehr traurig. Zu sehen, wie die Menschen um ihr Leben kämpfen, das ist schon Wahnsinn. Ich hoffe natürlich, dass alles schnell vorbeigeht und es sich halbwegs normalisiert. Es kann nicht sein, dass 18-Jährige in den Krieg ziehen müssen, um ihr Land zu verteidigen. Da merkt man, dass man keine wirklichen Probleme hat, wenn man ein paar Monate oder Wochen auf das Fußballspielen verzichten muss.“

Hast Du selbst Verwandte, die von der Situation betroffen sind?

„Einige aus meiner Familie leben noch in Armenien, aber sie mussten zum Glück nicht flüchten. Sie wohnen in Jerewan. Aber natürlich sind auch sie von der Situation betroffen. Ich hoffe, dass sie bald wieder mehr Grund zur Freude haben werden.“

Du bist als Fünfjähriger mit Deiner Familie aus Armenien ausgewandert. Wie kam es zu dem Entschluss?

„Das war 1998, mein Vater hatte seine Arbeit verloren. Meine Tante war schon zwei Jahre zuvor nach Deutschland ausgewandert und hat uns geholfen. Wir sind zunächst in Ueckermünde in einem Asylheim gelandet und dann sind wir nach Neubrandenburg gezogen, um uns ein neues Leben aufzubauen.“

Wie waren die ersten Jahre in Deutschland für Deine Familie und Dich? Ein fremdes Land, eine andere Sprache …

„Ich kann mich an die erste Zeit gar nicht mehr richtig erinnern. Damals war ich fünf Jahre alt. Es war natürlich nicht einfach. Vor allem mit der Sprache. Wir haben aber versucht, so schnell wie möglich Deutsch zu lernen. Für mich als kleines Kind war es nicht so schwierig. Ich habe mich von Beginn an immer mit anderen Kindern auf dem Fußballplatz getroffen. Das war ein verbindendes Element für uns. Auf dem Feld sind Herkunft und Sprache egal. Da zählt nur der Ball. Ich hatte eine sehr schöne Kindheit und habe das alles sehr genossen.“

Und wie geht es Deiner Familie heute? Sprecht Ihr untereinander noch häufig Armenisch?

„Ja, alles ist super. Meine Eltern leben und arbeiten inzwischen in Hamburg und wohnen bei einer meiner drei älteren Schwestern. Sie haben es auch sehr gut angetroffen in Deutschland. Untereinander sprechen wir in unserer Familie aber noch immer nur Armenisch.“

Das hört sich so an, als würde es Dir trotz der jüngsten Corona-Zwangspause sehr gut gehen. Du wirkst zufrieden.

„Das kann man sagen. Meine Freundin und ich fühlen uns in Heidelberg und der Region total wohl und heimisch. Meiner Familie geht es auch gut und ich bin zurück auf dem Fußballplatz. Natürlich ist die Situation in der Heimat in meinem Kopf, aber wenn ich auf mich persönlich schaue, bleiben derzeit kaum Wünsche offen.“

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