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MÄNNER
05.06.2018

#TSG10: Phantasien im Praxistest

Die Grundidee ist statuarisch verankert. Als Selbstverpflichtung zu „innovativem Denken und Handeln“. So versteht sich die TSG 1899 Hoffenheim, die im Zweifel immer offen ist für Neuerungen und dazu praktisch bereit, andere Wege als die altbekannten einzuschlagen.

Der Bundesliga-Dritte der abgelaufenen und erstmalige Champions-League-Teilnehmer der kommenden Saison orientiert sich dabei auch an der Vita seines Gesellschafters Dietmar Hopp, der als Mitbegründer des Walldorfer Softwareweltkonzerns SAP viele gleichermaßen zukunftsweisende und gegenwartstaugliche Entscheidungen im Laufe seiner Unternehmerjahre getroffen hat. „Hopp verkörpert die Philosophie des Nichtstehenbleibens“, sagt Dr. Peter Görlich, der für die Ressorts Sport, Kommunikation, Marketing, Vertrieb und nicht zuletzt Innovation verantwortliche Geschäftsführer der Fußball-Spielbetriebs GmbH.

Wer sehen will, wie dieses Prinzip gelebt wird, muss nach Zuzenhausen kommen, wo die Hoffenheimer Profis trainieren und systematisch an der Verbesserung ihrer Fähigkeiten arbeiten. Dass das 2000 Quadratmeter große Areal inmitten der grünen Kraichgauer Idylle wie ein Bundesliga-Biotop anmutet, ist zwar keine optische Täuschung, sollte aber nicht zu dem Schluss verleiten, dass hier die Zeit stehen geblieben sei. Das Gegenteil ist richtig: An diesem erstklassigen Schauplatz wollen die Hoffenheimer ihrer Konkurrenz, wo möglich, auch mal einen oder zwei Schritte voraus sein.

Das Areal bietet Trainingsbedingungen, die höchsten Champions-League-Ansprüchen genügen. Es ist angereichert worden durch den „Footbonauten“, eine ganz besondere Halle, in der vor allem die notorisch erfolgreichen Nachwuchsspieler des Klubs unter hohem Zeitdruck ihre Grundfähigkeiten bei der Ballannahme, dem Passspiel und der Schusstechnik optimieren können. Und zwar dann, wenn sie auf einem 14 mal 14 Meter großen Kunstrasen reaktions- und handlungsschnell die Bälle verarbeiten, die aus einer Ballschussmaschine mit siebzig km/h und mehr auf sie zugerauscht kommen. Übungen, die von zwei Kameras aufgezeichnet werden, und in ihren wiederholten Abläufen an das pedantische Pensum erinnern, das auch Berufsmusiker auf sich nehmen, um ihr Instrument perfekt zu beherrschen.

Im oberen Stockwerk der Footbonauten-Halle, in der sich auch die Hoffenheimer Profis auf freiwilliger Basis einen Extraschuss an Genauigkeit beim Abschluss oder beim letzten Pass anzueignen versuchen, ist ein Hoffenheimer Unikat installiert: die „Helix“, ein Trainingstool, „das bei der SAP – viel mehr als nur der Trikotwerbepartner der TSG – im Keller stand“, wie Görlich sagt. Dank der Phantasie des Hoffenheimer Sportpsychologen Professor Dr. Jan Meyer, haben sie aus dem in der „Abstellkammer“ gefundenen Gerät, ein Übungsangebot zum peripheren Sehen und zur Sichtfelderweiterung vor allem für die Torhüter und die Innenverteidiger gemacht. Es geht bei den Konzentrationseinheiten vis à vis der „Helix“ unter anderem darum, aus zwei Mannschaften, die auf Knopfdruck mit Ball auseinanderschwärmen vier vorgemerkte Spieler wiederzuerkennen, wenn sie nach ein paar Sekunden in ihre Ausgangspositionen zurückkehren. Damit und mit weiter erschwerten Übungen für die erprobten Profis sollen Augenblicke während des Spiels simuliert werden, in denen aus den Augenwinkeln beobachtet wird, was der Nebenmann oder ein Außenspieler gerade machen. Dieses Training für die Augen, das auch eine Art Gehirnjogging ist, bietet die 180-Grad-Projektionsfläche namens „Helix“, die nach den Wünschen von Rafael Hoffner, dem TSG-„Koordinator Sport-IT-Innovationen“, auf eine Rundumperspektive von 360 Grad erweitert werden soll. „Dann können wir neben der Wahrnehmungsschulung auch Überzahl- und Unterzahlsituationen auf dem Platz simulieren“, sagt Hoffer voraus.

Cheftrainer Julian Nagelsmann ist derjenige, der die vielen innovativen Gedanken und Angebote in seinem Klub auf ihre Praktikabilität überprüft. Er relativiert die Versuchung zur bloßen Technikgläubigkeit aus Erfahrung, wenn er sagt: „An einem guten Tag kann es sein, dass eine Innovation vielleicht ein paar Prozentpunkte mehr bringt, an einem schlechten Tag bringt dir die beste Innovation nichts. Es ist dem Menschen geschuldet, dass es da Schwankungen gibt.“ Nagelsmann findet es richtig und gut, „im Bereich Innovationen und technischer Fortschritt mutig zu sein, um etwas mitzunehmen und einen Mehrwert zu generieren“. Denn: „Wenn du immer das machst, was man schon immer macht, kommt man nie weiter als andere Leute.“ Er sagt aber auch: „So etwas darf nie einem Selbstzweck dienen, sondern allein dazu, dass deine Mannschaft besser Fußball spielt.“

Die TSG 1899 Hoffenheim hat in der zurückliegenden Saison mit ersten Europapokal-Erfahrungen mal schlechter und vor allem in der Rückrunde konstant gut Fußball gespielt. Das hatte auch mit dem stets kreativen und forderndem Training von Nagelsmann und seinen Assistenten zu tun. Der Trainer selbst, mit dreißig Jahren noch immer der jüngste in der Bundesliga, sagt: „Der Mut zu innovativen Entscheidungen kann helfen. So hat es der Verein auch mit mir gehalten, als ich mit 28 Jahren zum jüngsten Bundesliga-Cheftrainer wurde.“ Das allein sei aber keine Erfolgsgarantie gewesen, hebt Nagelsmann hervor, „denn erst danach sieht man, ob es was gebracht hat.“ In seinem Fall lässt sich beim Blick auf die in den vergangenen beiden Jahren steile Aufwärtsentwicklung der Mannschaft sagen, dass die Entscheidung der Kluboberen ein Volltreffer war.

Ein Gastbeitrag von Roland Zorn, langjähriger Journalist der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

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Am 16. August 2008 hat die TSG Hoffenheim ihr erstes Kapitel in der Bundesliga geschrieben. Auf achtzehn99.de, TSG.TV und unseren Social-Media-Kanälen blicken wir aktuell auf die vergangenen zehn Jahre zurück. 

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