Page 75 - Spielfeld_April_2016
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                  Ringrichter wegen eines Cuts über Hartmanns linkem Auge ab. Charly Graf, der einst zukunftslose Junge aus den Benz-Baracken, war Deutscher Meister im Schwergewicht. Und dann, einige Monate und zwei Kämpfe später, kam das Duell mit Thomas Classen.
„Ich denke nicht mehr oft an den Kampf“, sagt Graf heute. Auch, weil er Gerechtigkeit erfuhr: 27 Jahre nach dem Fehlurteil übergab Thomas Classen dem „wahren Champ“ die Meistertrophäe. Spät. Zu spät? „Sieg oder Nieder- lage – es wäre nicht anders gekommen. Ich wollte und musste mich von gewissen Dingen verabschieden. Und ich wusste genau: Mannheim war nicht der richtige Ort, um mit mir ins Reine zu kommen.“ Nach dem Kampf zog Graf ins Allgäu und arbeitete bei einem Freund als Kuh-Auktionator. Der Ex-Champ führte nun Kälber durch eine riesige Halle. „Das Allgäu war eine Flucht“, sagt Graf. Eine Flucht vor dem Boxsport, vor seinem Umfeld, vor Bekannten mit zweifelhaftem Ruf, vor seiner Vergangenheit. Nach zwölf Jahren kehrte er in seine Heimatstadt zurück. Ein Lehrer schlug ihm vor, Schüler zu trainieren. „Ich hatte eine Aufgabe. Das war wichtig für mich.“ Geld hatte er nicht. Graf arbeitete ehrenamtlich an Schulen und lebte von Hartz IV. Erst sieben Jahre später entwickelte sich daraus eine feste Anstellung bei der Stadt Mannheim. Graf ist 64. „Die Rente wird minimal ausfallen. Ich war zehn Jahre im Gefängnis und vorher im Rotlichtmilieu.“ Seine gewal- tigen Schultern zucken.
Das Training ist für heute vorbei. Manche Schüler wollen Autogramme, andere Selfies. Als sie weg sind, meint er: „Ich habe mit den Jugendlichen schon so viele Dinge erlebt, die mir geholfen und Kraft gegeben haben.“ Als seine Mutter Elisabeth im Sterben lag, besuchte er sie mit einer Schülergruppe. Graf legte die Joggingstrecke an diesem Tag so, dass sie am Krankenhaus vorbeiführte. Er nahm sie mit ins Zimmer. Und da stand er – zwischen seiner schmerzvollen Vergangenheit und der Herausforderung seines neuen
Lebens: der Zukunft dieser jungen Menschen. „Die Kinder begannen zu weinen. Und dann weinte auch meine Mutter. Sie hatte in ihrem ganzen Leben noch nie so eine Anteilnahme erfahren. Die Kinder gaben ihr in dem Moment so viel, dass sie friedlich einschlafen konnte“, sagt Graf. „Kinder, die alle als sehr schwierig galten.“
Region
 Charly Graf mit Mutter Elisabeth.
              SPIELFELD TSG 1899 HOFFENHEIM 75
 



























































































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