Page 76 - Spielfeld_Dezember_2015
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                 „EIN ANDERES LEBENSGEFÜHL“
  Schauspieler Ulrich Tukur macht mit seinen „Rhythmus Boys“ Musik aus den 20er bis 40er Jahren des 20. Jahrhunderts – und das seit zwei Jahrzehnten. Am 15. Dezember tritt er
mit seinem Programm „Let’s misbehave“ („Lasst uns daneben benehmen“) in Ludwigshafen auf.
Er wechselt zwischen Film, Theater und Musik, pendelt zwischen Italien und Deutschland. Seine Schauspielkarriere führte Ulrich Tukur – nach einem skurrilen Vorsprech-
video – sogar schon nach Hollywood. Auf dem Video war nur Tukurs Hund Benny zu sehen, wie er auf das Vorsprechen sei- nes Herrchens reagierte. Regisseur Steven Soderbergh gefiel’s. Tukur bekam eine Rolle neben George Clooney in „Solaris“. In seiner Studienzeit war Tukur regelmäßig als Straßenmusi- ker unterwegs. Mit den Rhythmus Boys lebt er nun seit zwei Jahrzehnten seine Leidenschaft für die Musik der 20er, 30er und 40er Jahre aus. Zum Jubiläum ist das Quartett mit seiner nostalgischen Tanzpalastmusik und einem neuen Album im Gepäck wieder unterwegs – am 15. Dezember in Ludwigshafen.
Herr Tukur, können Sie sich noch an eines Ihrer ganz frühen Werke – „Warum nur hast du den Hamster an die Wand genagelt“– erinnern?
„Natürlich. ‚Warum nur hast du den Hamster an die Wand genagelt? Es war doch so ein wunderschönes Tier. Warum nur war die Petersilie so verhagelt? Das arme Tier, das kann doch nichts dafür. Der Hamster an der Wand ist eine wahre Schand’.“
Was war passiert?
„Ich bekam 1988 von Sony Music einen Vertrag für eine Schall- platte. Das Budget war mit über 150.000 Mark ungewöhnlich hoch. Mein damaliges Management wollte unbedingt einen Popstar aus mir machen. Dass ich das Zeug dazu überhaupt nicht hatte, konnte man damals freilich nicht wissen. Das Ergebnis hieß „Tanzpalast“ und lag irgendwo zwischen Neue Deutsche Welle und verschwurbeltem Blödsinn. Die Platte hat sich sage und schreibe 7000 Mal verkauft. Ein pubertäres Meisterwerk. Das war meine Popkarriere.“
Die Unterhaltungsmusik der 20er und 30er Jahre hatte generell mehr Witz und Ironie als heutige Popmusik. Warum?
„Es war ein ganz anderes Lebensgefühl. Die 20er Jahre flogen kulturell enorm hoch, wahrscheinlich auch, weil alles so am Abgrund stand. Intuitiv spürten viele Künstler, dass ihnen wenig Zeit blieb. Und auch in anderer Hinsicht war es eine bedrängende Dekade. Ohne Arbeit stand man in der Armenküche. Aber das Judentum existierte noch. Leute mit Witz und Talent, die sich kulturell in Deutschland tief verankert hatten. Spießig und belanglos wurde es dann nach dem Zweiten Weltkrieg, als der letzte Rest Authentizität flöten ging. Es gibt Jahrzehnte, die fliegen hoch, andere kleben am Boden.“
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