Page 82 - Spielfeld_Mai_2021
P. 82

 82
 Echtes Markenzeichen: Dieser Jaguar E-Type wurde zum Symbol des Fußballs jener Zeit – und notiert drei Weltmeister als Eigentümer im Fahrzeugbrief. Günter Netzer hatte ihn einst gekauft, an Franz Beckenbauer (r.) weitergereicht, der ihn wiederum (mit Gewinn) an den Kölner Wolfgang Overath (Mitte) verscherbelte. Gerd Müller schaut durchaus interessiert zu.
Fragiles Glück
Das Buch „71/72. Die Saison der Träumer“ des Autoren Bernd-M. Beyer entführt den Leser in eine ferne Zeit – und ist dank der Protagonisten Stan Libuda und Rio Reiser eine Art Sittengemälde, das weit über den Fußball hinausweist.
Die Enttäuschung vorweg: Es ist kein reines Fußballbuch. Die Erweckung hinterher: Es ist kein reines Fußballbuch. „71/72. Die Saison
der Träumer“ heißt das Werk des renommierten Autoren Bernd-M. Beyer, das den Leser mitnimmt in eine faszinierende Zeit, an der Bruchkante der gesellschaftlichen Umwälzung, zu welcher der Fuß- ball seinen Teil beiträgt, eine Ära des allgemeinen Aufbruchs, zugleich fernab zumindest von Super League und Kommerzialisierung. Oder etwa nicht?
Der Prolog schließlich gebührt dem 6. Juni 1971. Der Tag, an dem der Offenbacher Südfrüchtehändler Horst Gregorio Canellas mit seinem Tonband im Beisein des Bundestrainers Helmut Schön den Bundesliga-Skandal ins Rollen brachte. Gekaufte Spiele, arrangierte Abstiege, Geldkoffer, Korruption. Der Sommer 1971 markierte die bis dahin wohl größte Krise des deutschen Fußballs.
Doch, um es mit Hölderlin zu sagen: Wo Gefahr ist, da wächst das Rettende auch. Denn die folgende Saison 1971/72 führte den deutschen Fußball zu ungeahnten Höhen, markierte eine Zeitenwende, auch in der Art des Fußballs. Es war „die Saison
der Träumer“, mit prägenden Figuren wie Günter Netzer und Franz Beckenbauer. Aber nicht nur im Fußball war es eine bewegte Zeit – und exakt an dieser Sollbruchstelle setzt das Buch von Bernd-M. Beyer an, dem bereits mit den Biografien von Helmut Schön und Walther Bensemann zwei Meisterwerke gelungen waren. Beyer folgt dabei in gewisser Weise dem Narrativ der Koinzidenz von Politik und Fußball, die ja in der These vom 4. Juli 1954, dem Wunder von Bern, als eigentlichen Gründungsmythos der Bundesrepublik, mündet. Der Autor hat daraus ein Sittengemälde jener Zeit gedrechselt, eine beindruckende Dokumentation, die im übrigen auf den 346 Seiten gänzlich ohne Bilder auskommt. Das mag man bedauern ange- sichts des eigentlich überbordenden Materials teils privatester Schnappschüsse jener Zeit, aber es ist sicher nicht falsch, einfach der Kraft der Worte, der Kraft der Fakten zu vertrauen.
Beyer blättert dabei das Leben zweier Charaktere auf, die den Sport, dieses Land geprägt haben, ein Stück weit ganz sicher auch an ihnen verzweifelt sind: Der großartige Schalker Rechtsaußen Stan Libuda und Rio Reiser, der exzentrische Sänger der
  EMPFEHLUNG DES HAUSES
REGION























































































   80   81   82   83   84