Page 22 - Spielfeld_April_2016
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                   DIE RÜCKKEHR ZU PLAN A
In Hoffenheim wurde er zum Nationalspieler, doch in dieser Saison fand sich Sebastian Rudy plötzlich auf der Ersatzbank wieder. In der Rückrunde aber wurde der 26-Jährige wieder zu einer zentralen Figur des TSG-Spiels. Nun will Rudy neben dem Klassenerhalt für den Verein auch seine persönliche EM-Teilnahme sichern.
E ndlich. Als Sebastian Rudy am 19. März den Rasen des Hamburger Volksparkstadions betrat, war es wie eine erneute Rückkehr.
Der 26-Jährige führte die TSG-Profis mit der Binde am Arm auf den Rasen – und Rudy wusste: Jetzt beginnt auch für ihn der Endspurt, der Kampf um den Klassenerhalt, die Jagd nach dem Ticket für die EM in Frankreich. Und das in führender Rolle, mit Verantwortung, als Kapitän. Rudy will das nicht überbewerten; die Lautsprecherei war noch nie das Steckenpferd des Schwarzwälders. „Im Endeffekt ist es natürlich egal, wer die Binde trägt“, sagt Rudy. Aber er gibt gern zu: „Für mich persönlich ist es noch einmal ein Ansporn. Es ist schon ein besonderes Gefühl, die Mannschaft aufs Feld zu führen.“
Vor allem, wenn er zurückdenkt, an die Tage des Zweifels, der Unzufriedenheit, ein Stück auch die der Ratlosigkeit. Denn Sebastian Rudy, der Nationalspieler, jener Elitekicker, der seit der WM 2014 zu jedem Länderspiel eingeladen wurde, der also von Bundestrainer Joachim Löw hoch geschätzt wird – dieser Sebastian Rudy hatte
plötzlich in seiner sportlichen Heimat im Kraichgau lauter Probleme. „Ich weiß auch nicht, woran es lag“, sagt er im Rückblick. „Wenn ich gewusst hätte, hätte ich es sicher behoben.“ Das Lachen fällt kurz aus, vielleicht sogar ein wenig bitter. Denn wirklich schlüssig erklären kann er es sich bis heute nicht, warum in dieser Spielzeit für den Club, aber vor allem auch für ihn persönlich lange Zeit so wenig zusammenpasste. Sein Stammplatz war früher oder später die Ersatzbank; in ganzen drei Partien der Hinrunde stand er für 90 Minuten auf dem Rasen. Zwischenzeitlich war er nicht mal mehr als Einwechselspieler gefragt. Da war Rudy längst gefangen in dieser unterbewussten Spirale: Wenig Selbstvertrauen, Angst vor dem ersten Fehler, Frustration. Im Winter wurde ohne sein Zutun medial über einen Weggang debattiert, ein möglicher Wechsel stand öffentlich im Raum. Rudy sagt dazu nur: „In meiner Situation, auch mit der EM im Sommer, wusste ich natürlich, dass ich Spielpraxis brauche. Da muss man über einen Plan B nachdenken. Aber Plan A war immer hier.“
„Für mich ist es
ein besonderer Ansporn,
die Mannschaft auf das Feld zu führen.“ SEBASTIAN RUDY ÜBER DIE ROLLE ALS TSG-KAPITÄN
Der Plan ging auf. Rudy biss sich durch, wurde zum Gewinner der Rück- rundenvorbereitung – und wurde plötzlich vom Bankdrücker zur prä- genden Figur, stand in allen sechs Ligapartien in der Startelf. Im defensi- ven Mittelfeld, seiner erklärten Lieblingsposition, zeigte Rudy sein Potenzial, gab den Takt vor, bewies sein gutes Auge, spielte die feinen Pässe, die ihn zum Nationalspieler machten. Bis, ja bis es zu dieser Situ- ation beim Gastspiel in Dortmund kam. Rudy hatte die TSG-Elf angetrieben, hatte die Führung erzielt, elf Hoffenheimer hatten die Borussen genervt mit ihrem disziplinierten wie mutigen Auftritt, sie durften beim Stand von 1:0 auf die Überraschung hoffen – bis zu jener verhängnisvollen 58. Minute, als Rudy einen gefährlichen Konter der Dortmunder über den schnellen Aubameyang in Höhe der Mittellinie mit einer Grätsche stopp- te. Schiedsrichter Peter Sippel zückte Rot, die TSG verlor das Spiel – und für Sebastian Rudy kam es noch bitterer: Der DFB sperrte ihn nach seiner Attacke („Ich wollte auf den Ball gehen“) für drei Spiele: „Das war schon hart.“ Drei Partien nur auf der Tribüne, drei Spiele im Überlebenskampf, die auch drei Chancen zur Empfehlung gewesen wären. Für eine tragende Rolle bei der TSG, für einen Kaderplatz in der Nationalelf. Rudy hat gelit- ten, aber er hat sich nicht hängen gelassen. „Überragend“ nannte Trainer Julian Nagelsmann den Trainingseifer des gesperrten Leistungsträgers.
 Zurück auf dem Platz: Sebastian Rudy (l.) im Duell mit dem Hamburger Lewis Holtby.
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