Page 69 - Spielfeld_Maerz_2016
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                  Ein SAP-Arbeitsplatz im Jahr 1974.
„Es war außerordentlich kühn"
DIETMAR HOPP
Region
 Heute arbeitet jedes handelsübliche Laptop mit mehreren Gigabyte RAM – das entspricht der mehr als 100.000-fachen Leistung.
Und das übliche Vorgehen war, aus heutiger Sicht, geradezu altbacken: Wenn Aufträge erfasst wur- den, schrieb der Angestellte die Daten auf einen Zettel, die Formulare wanderten weiter, in den sogenannten Lochsaal. Dort saßen, im Fall ICI, rund zwei Dutzend Mitarbeiterinnen, welche die Daten übertrugen – aber nicht in den Com- puter, sondern auf Lochkarten. Statt Buchstaben wurden in einzelne, farblich unterscheidbare Karten Löcher gestanzt – geformt zu bestimmten Symbolen und Mustern, an exakt den richtigen Stellen. Die EDV-Leute bei der ICI kümmerten sich dann um die Lochkarten, speisten sie in großen Stapeln in den Computer ein, der die Löcher las und in Datenkolonnen übersetzte. „Und dann gab es am nächsten Morgen die Fehlerliste“, so erinnert sich Hopp. „Und wenn da ein Fehler war, weil falsch gestanzt wurde oder die Stapel verrutscht sind, dann waren schon mal schnell zwei Tage verloren.“ Dann fing das Prozedere von vorn an. Heutzutage eine Schreckensvision für jeden Wirtschaftsbetrieb. Vergeudete Zeit war
schon damals verbranntes Kapital.
Dietmar Hopp und sein Freund wie Kollege Hasso Plattner erkennen das unglaubliche Potenzial ihrer Idee, die Datenverarbeitung zu automatisieren, zu vereinheitlichen und sofort sichtbar zu machen. Und mit dem ICI-Verant- wortlichen Hermann Meier treffen sie auf einen Leidensgefährten, denn Meier ärgert sich, insbesondere in Anbetracht des teuren wie hochmodernen IBM-Großrechners, über das langwierige Verfahren: „Hier werden mit dem Dampf hammer Erdnüsse geknackt“, sagt Meier. Der Rechner müsse doch mehr kön- nen. „Da wählt man einen vergoldeten Rolls-Roy- ce aus“, so sagt er es, „und weiß nicht, wohin man fahren will.“ Dietmar Hopp & Co aber kennen den Weg – und geben die Richtung vor. Eine Software, die für alle Unternehmen tauglich ist, ein Standardprogramm, das alle Firmen glei- chermaßen nutzen können und das die verschie- denen Arbeitsbereiche eines Unternehmens
Ablenkung vom Alltag: DIetmar Hopp beim Kicken mit dem SAP-Betriebsteam.
miteinander verzahnt – das war das Fernziel. Der 31-Jährige schließt mit Hermann Meier ein Abkommen. Am Wochenende und in den Nächten, wenn der IBM-Großrechner nicht benötigt wird, können Hopp und seine Mitstreiter an ihrem neuen Wunderprogramm arbeiten. Die Finanzbuch- haltungssoftware namens RF soll die Daten in Echtzeit verarbeiten, die Dateneingabe soll direkt auf dem Bildschirm erscheinen. Heute eine abso- lute Selbstverständlichkeit, damals eine Revolution. Hopps Bedingung: Er arbeitet auf eigene Rechnung und die Rechte an der Software verbleiben komplett bei dem kleinen Unternehmen, das Hopp mitsamt seinen Kollegen am 1. April 1972 gründet. Die Firma „Systemanalyse und Programment- wicklung GbR“, kurz SAP – ein klassisches Start-up. Dafür erhält ICI das Recht auf eine lebenslange Nutzung der Software, inklusive aller Updates. Gratis. Hermann Meier sagt zu. Und Dietmar Hopp drückt aufs Tempo. Bei der IBM kündigt er, nimmt neben seinem Assistenten Hasso Plattner auch Klaus Tschira, den Betriebswirt Claus Wellenreuther sowie den Mathema- tiker Hans-Werner Hector mit ins Boot. Fünf Mann, die einen Weltkonzern und eine gut bezahlte wie sichere Anstellung verlassen, um ihr eigenes Glück zu schmieden. „Alle haben erkannt, dass es eine Chance ist“, erinnert sich Hopp. „Ich habe es dann von uns Fünfen sicher am meisten vorange- trieben.“ In der eigenen Familie mag niemand die Begeisterung uneinge- schränkt teilen. Seine Frau Anneliese ist hochschwanger, die eigene Mutter schüttelt nur den Kopf. „Wie kann man nur die IBM verlassen für so ein Abenteuer?“, fragt sie ihren jüngsten Sohn.
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hatte einen RAM-Arbeitsspeicher von 28 Kilobyte.
  






















































































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