Page 15 - Spielfeld_Oktober_2015
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 Tagsüber war ich immer gegenüber auf einem Spielplatz und habe da Fußball gespielt. So hat es alles seinen Lauf genommen, mein Vater ist heute noch in der Firma, meine Mutter noch immer im Kaufland – und ich hab meine Fußball­Karriere begonnen. Das ist die ganze, verrückte Story.“
Hast Du gespürt, dass Dein Leben anders war als das Deiner Freunde?
„Als Kind damals habe ich zwar nicht realisiert, wovor ich gerade entkommen war. Aber natürlich wusste ich, dass ich andere Umstände hatte. Ich wurde zwar überall super aufge­ nommen, aber ich konnte nie Freunde zu mir einladen. Ich hatte nichts, außer dem Container. Ich war immer nur zu Gast bei den anderen. Und wenn mal Freunde vorbei kamen, waren wir auf dem Spielplatz bei mir um die Ecke.“
Gab es nie den Gedanken, zurückzugehen?
„Meine Eltern, und das fasziniert mich heute noch, haben in erster Linie an uns gedacht. Sie wussten, dass es für uns in Bosnien zu der Zeit nach einer Rückkehr keine wirkliche Per­ spektive geben würde. Wir hatten alles verloren und mussten von Null anfangen. Aber meine Eltern haben in Deutschland die Chance gesehen, neu anzufangen. Der Rest meiner Familie ist in Bosnien geblieben oder dorthin zurückgekehrt. Wir hatten nur uns hier in Deutschland, das hat uns zusammengeschweißt.“
Und Ihr habt gehofft, bleiben zu dürfen?
„Wir mussten uns jeden Monat die Duldung abholen und jeden Monat zittern, ob wir bleiben dürfen. Das war unsere einzige Chance. Irgendwann kam dann der Tag, an dem ich für die deutschen Junioren gespielt habe: Das war für mich die Ret­ tung, von da an war ich gesichert und wir konnten bleiben.“
Aber Du hast Dich sportlich dann doch um entschieden, spielst nun für Bosnien.
„Es ging damals nur um den sportlichen Aspekt. Als der bosnische Fußballverband das erste Mal überhaupt angeklopft hat, war das sportlich sehr interessant, weil es um die EM­Qualifikation ging. Dann habe ich mich entschieden, den Weg in Bosnien zu suchen. Und immerhin habe ich es so bis zur WM geschafft.“
Und was empfindest Du als Deine Heimat?
„Das ist schwer zu sagen. Immer noch. Ich habe sicher das Heißblütige, auch die Sturheit der Bosnier in mir. In der Nationalelf nannten mich die Kollegen dafür von Beginn an „Schwabo“, den Deutschen. Eben, weil ich, wenn es um 12 Uhr Mittagessen gibt, um 11.59 Uhr da bin, während die Kol­ legen eben erst um 12.05 Uhr kommen. Also, die deutschen Tugenden haben ich verinnerlicht.“
Mit Deiner ganz persönlichen Geschichte. Was ist das Wichtigste im Umgang mit den Flüchtlingen?
„Wenn ich die Massen sehe, die jetzt gerade kommen: Es ist nicht einfach, das zu steuern. Da mache ich auch keinem einen Vorwurf. Man muss einfach versuchen, alles in die Wege zu leiten. Das ist mein Appell an die Menschlichkeit: Wir sollten versuchen, diesen Leuten zumindest so gut es geht zu helfen, ihnen ein Gefühl von Sicherheit geben. Es müssen nicht immer Klamotten oder Essen sein. Wenn es das gibt, ist es natürlich überragend. Aber das Gefühl, wir helfen euch, hier habt ihr
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ERMIN BIČAKČIĆ
Profis
  ABWEHR Geburtsdatum 24.01.1990
Nationalität bosnisch/deutsch Geburtsort Zvornik
Bei Hoffenheim seit 07/2014
Spiele/Tore gesamt Karriere:
58/2 Bundesliga, 7/1 DFB-Pokal
Spiele/Tore in Hoffenheim: 26/1 Bundesliga,
4/1 DFB-Pokal
Spiele/Tore Länderspiele:
12/2 für Bosnien- Herzegowina
      SPIELFELD TSG 1899 HOFFENHEIM
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einen Anhaltspunkt, ist auch ein wichtiger Schritt. Denn die Situation ist brutal: Du musst ja überhaupt erst einmal die Gedanken ordnen und verstehen, was überhaupt gerade alles passiert. Dein Leben verändert sich radikal. Das ist schon hart.“
Und was rätst Du den Flüchtlingen in dieser Situation?
„Man kann es sicher nicht verallgemeinern, aber jeder muss sich auch eigenständig um Lösungen bemühen. Wir standen auch nicht, um es bildlich zu sagen, fünf Tage an dem gleichen Büdchen und haben geklopft. Wir haben andere Wege gesucht. Fast alle versuchen den Plan A, aber wie viele bemühen sich um einen Plan B, C oder D? Du musst vieles probieren.“
Und am Ende gehört auch Glück dazu?
„Absolut, und das hatten wir. Etwa, dass der Chef in der Firma meines Vaters ein so großes Herz hatte, dass er eine Familie aufgenommen hat. Es ist nicht selbstverständlich, einem Flüchtling einen Job zu geben, sich vielleicht noch Ärger auf den Hof zu holen. Das war eine große menschliche Geste. Wir hatten sehr, sehr viel Glück. Und aus dem Glück haben wir etwas gemacht.“



































































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