Page 12 - Spielfeld_Oktober_2015
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„ES IST BRUTAL, DIE BILDER ZU SEHEN“
Ermin Bičakčić spricht über seine Flucht aus Bosnien, die Todesangst, das Leben im Container, den schweren Neuanfang in Deutschland und den Wunsch nach Menschlichkeit.
E r weiß, wovon er spricht. TSG­Verteidiger Ermin Bičakčić musste seine Heimatstadt Zvornik 1992 während des Bosnien­Krieges verlassen. Wenn der 25­Jährige über
die aktuelle Flüchtlingsproblematik spricht, ist es auch eine schwere Reise in die eigene Vergangenheit.
Ermin, viele Menschen sind tief bewegt vom Flüchtlings- drama, das sich derzeit vor unseren Augen abspielt. Du hast eine besondere Beziehung zu den Bildern. Wie ergeht es Dir, wenn Du das im Fernsehen sieht? „Tatsächlich ist es so, dass ich es mir kaum angucken kann. Vor allem natürlich, wenn man sieht, wie Menschen teilweise ablehnend auf Flüchtlinge reagieren. Da schaltet man den Fernseher aus, weil die Wut so groß wird.“
Weil Dich die Erinnerung übermannt?
„Die Bilder schütteln einen durch. Diese Parallelen sind brutal, wir waren damals Kriegsf lüchtlinge wie diese Menschen heute. Meine Schwester Emela sagt dann immer: ‚Guck mal, Ermin: Das war bei uns genauso, das haben wir auch erlebt.‘ Und dann realisierst du: vom Kriesgsf lüchtling zum Bundesligaprof i. Du hast echt Glück gehabt.“
Die Zeit ist dann wieder gegenwärtig?
„Die Flucht hat meine Familie und mich natürlich sehr geprägt. Meine Schwester hat neulich etwas Gutes gesagt: Manche Leute wissen gar nicht, in welcher Lage sich diese Menschen befinden. Wenn man das selbst erlebt hat, weiß man aber, was es heißt, als Familie mit kleinen Kindern aus der Heimat zu flüchten, quer durch ein fremdes Land, ohne Alles, nur mit dem Wunsch irgendwo anzukommen, wo man in Sicherheit ist.“
Erzähl uns von Deiner Flucht-Geschichte.
„Wir wohnten im bosnischen Zvornik, nahe der serbischen Grenze. Ich war, als der Krieg 1992 ausbrach, zwei Jahre alt, meine Schwester Emela schon elf. Wir hatten ein Haus da un­ ten, für bosnische Verhältnisse haben wir sehr gut gelebt. Mein Vater Salko war Lehrer und meine Mutter Jasmina hatte einen Supermarkt. Und dann wirst du plötzlich einfach rausgerissen. Wie eine Schachfigur woanders hingesetzt.“
Weil die serbischen Truppen immer näher kamen.
„Sie waren bei uns, im Haus. Bei unseren Nachbarn im zweiten Stock passierten schlimmste Dinge. Wir wohnten im neunten Stock; es war pures Glück. Meine Mutter wollte sich in der Zeit mal auf dem Balkon vor Aufregung eine Zigarette anzünden. Da hat mein Vater sie gepackt, in die Wohnung zurückgezerrt und geschrien: ‚Bist du verrückt, die Scharfschützen sind da draußen, die knallen dich ab, geh rein.‘ Aber die Unruhe war drinnen auch kaum auszuhalten.“
Es folgte die Flucht.
„Wir mussten aus den Krisengebieten ja erst einmal rauskom­ men. Wir sind, mit anderen bosnischen Familien, mit LKWs durch die Wälder gefahren. Mit Zwischenstationen, wo wir in Zelten übernachtet haben. Einmal mussten wir aus den Trans­ portern raus, um über eine Brücke zu kommen. Da standen die serbischen Truppen und wir mussten an ihnen vorbei. Sie hätten uns jederzeit packen können.“
Aber Ihr kamt durch, weiter ins Ungewisse.
„Meine Mutter hatte damals nur eine Tasche mit ein paar Kla­ motten für meine Schwester und mich. Für sich selbst hatte
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