Page 85 - Spielfeld_März_2020
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 SPIELFELD TSG HOFFENHEIM 85
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Einen Elfmeter zu verwandeln ist eigentlich gar nicht so schwierig. Dies kann man im Training immer wieder beobachten. Das heißt, jeder Profi-Fußballer ist eigentlich davon überzeugt,
einen Strafstoß verwandeln zu können. Warum gelingt diese vermeintlich einfache Übung im Spiel dennoch nicht immer, warum fragt sicher der Beobachter, ob der Schütze vom Elfmeterpunkt die Nerven behält? Das ist Gegenstand der sogenannten Kompetenzerwartung. Dabei handelt es sich um die subjektive Überzeugung einer Person, eine Aufgabe jetzt, in der aktuellen Situation
(z.B. beim Elfmeterschießen) mittels eigener Kompetenzen bewältigen zu können.
Zunächst wirken sich positive oder negative Erfahrun- gen in der entsprechenden Situation auf die erlebte Kompetenzerwartung aus. Im Leistungssport, aber
auch in vielen herausfordernden Situationen des Alltags, führen erlebte Erfolge aus der Vergangenheit zu einer Stärkung der Kompetenzerwartung („Ich schaffe
das, ich kann das, das ist mir schon gelungen.“).
Erlebte Misserfolge schwächen hingegen die Kompetenzerwartung. Insofern sollte man sich vor einer herausfordernden Situation ähnliche Situationen aus der Vergangenheit vor Augen führen, in denen man erfolgreich war.
Statt dieser persönlichen Erfahrung kann auch eine Er- fahrung durch einen Stellvertreter hilfreich sein. Denn man kann durch „Anschauungsunterricht“ an Sicherheit gewinnen. Diese potenzielle Beeinflussung der Kompe- tenzerwartung ist allerdings nur dann erfolgreich, wenn sich die beobachteten Spieler und der Beobachter selbst in wichtigen Merkmalen ähneln bzw. eine Art Sympathie zum Stellvertreter besteht. Insofern kann es einfacher sein, im Elfmeterschießen anzutreten, wenn die Schützen der eigenen Mannschaft zuvor getroffen haben. Auch ein erfolgreicher Start etwa bei den Olympischen Spielen in den ersten Sportarten (z.B. die Schwimmer) kann sich positiv auf die gesamte Olympia-Mannschaft auswirken.
Da es nicht immer möglich ist, vor einer herausfordernden Situation einen passenden Stellvertreter beim Bewältigen der Aufgabe zu beobachten, kann auch die Vorstellung von der eigenen erfolgreichen Bewältigung der Aufgabe helfen. Diese Technik nennt man Mentales Training und sie wurde bereits zuvor an dieser Stelle thematisiert.
LOB MACHT STARK
Positiv auf die eigene Kompetenzerwartung und damit auf Leistungsfähigkeit wirken sich auch die anerkennenden Beurteilungen anderer Personen aus, insbesondere eben
auch der Trainer. Der Hinweis auf gute Leistungen wird sich höchstwahrscheinlich positiv auf die Kompetenzerwartung auswirken. Legendär auch die Worte, die Jogi Löw im
WM-Finale 2014 bei der Einwechslung Mario Götze ins Ohr flüsterte: „Jetzt zeig’ der Welt, dass du besser bist als Messi.“ Was dann geschah, ist bekannt. Ob die verbale Überzeugung angenommen wird, hängt entscheidend davon ab, ob die Person, die das Urteil von sich gibt, Akzeptanz, Autorität und Glaubwürdigkeit beim Angesprochenen besitzt. Dieser Zuspruch von außen, die Verstärkung, hat für viele Menschen eine große Bedeutung. So werden die meisten Eltern ihren Kindern vor komplizierten Klas- senarbeiten oder anderen Prüfungen Mut zusprechen und ihnen nicht mitteilen, dass sie es ohnehin nicht schaffen werden. Entscheidend ist die Verstärkung auch beim Erler- nen sportlicher Fähigkeiten. Lob macht stark, mit den sich einstellenden Fortschritten wächst beim Lernenden auch
die Erwartung an die eigene Kompetenz.
PROGNOSETRAINING FÜR DEN ERNSTFALL
Wie oben bereits angesprochen, übt die persönliche Erfahrung von Erfolg bzw. Misserfolg hinsichtlich der zu bewältigenden Aufgabe jedoch den größten Einfluss auf die Kompetenz- erwartung aus. Im Leistungssport bietet sich deswegen ein Verfahren an, das dem Trainierenden im Idealfall ein solches eigenes Erleben ermöglicht. Dafür wurde das sogenannte Prognosetraining entwickelt. Es zielt darauf ab, planmäßig konstruierte, wettkampfbezogene Aufgaben im Training er- folgreich zu bewältigen (z.B. Elfmeter). Durch das zusätzliche Festlegen von Konsequenzen kann der Sportler bereits im Training systematisch hohem Stress ausgesetzt werden. Sie lernen mit erlebten Belastungen besser umzugehen, um dann im Wettkampf in Drucksituationen eine höhere Leistung zu erbringen. Auch in anderen Berufen, wie bei der Polizei oder beim Militär, sind solche „Simulationen“ üblich. Der Stress wird gesteigert, sodass vor dem „Ernstfall“ eine positive Kompetenzerwartung entsteht.
   Bildquelle: www.gettyimages.de, Jekaterina Nikitina
















































































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