Page 71 - Spielfeld_Mai_2018
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   Na klar, die Frage musste ja kommen. Jennifer Kettemann lächelt. Sollte sie von der klischeehaften Reaktion genervt sein, lässt sie es sich zumindest nicht anmerken. Ob sie
Vorbehalte gespürt habe? „Am Anfang waren alle skeptisch. ‚Was will die denn hier?‘ Da musste ich erst mal beweisen, dass ich es kann“, sagt Jennifer Kettemann. Und fügt an, ganz nüchtern, ohne den kleinsten Hauch einer feministischen Attitüde: „Als Frau muss man im Zweifel ein Quäntchen besser sein, weil man nochmal kritischer beäugt wird.“ Allein unter Männern, in einer Sportart, deren Härte berüchtigt ist und nicht zu übertriebenen diplomatischen Floskeln neigt.
Zwei Jahre später sitzt Kettemann in ihrem Büro an der Mann- heimer Mollstraße und schmunzelt über diese Episode. „Ich bin jemand, der sich im Zweifel selbst unterschätzt. Meine Kinder waren noch richtig klein, ich hatte einen verantwortungsvollen Job bei der SAP – und ich bin zwar Handball-Fan, aber kein Experte.“ Eine Nacht schlief sie drüber, erstellte mit Lamadé eine extrem detaillierte Job-Beschreibung. Nüchtern, rational, struk- turiert. Es sind ihre Qualitäten, die sie als Vorstandsassistentin bei SAP und Projektverantwortliche in den Bereichen Mitarbei- terführung und Effizienzsteigerung fast zehn Jahre verfeinern
Jennifer Kettemann darf sich
zurücklehnen. Die Skepsis ist
gewichen, der Respekt vor den
Fähigkeiten der Geschäftsfüh-
rerin der Rhein-Neckar Löwen
immens. Inzwischen schauen
die männlichen Kollegen bei den
Liga-Tagungen gern mal die einzi-
ge Frau an, wenn es hakt – getreu
dem Motto: ‚Jenni, was sagst du dazu?‘ „Ich habe gezeigt, dass ich mit der Verantwortung umgehen kann und wurde auch von meinen Kollegen in der Liga sofort positiv aufgenommen“, sagt Kettemann. „Aber nicht, weil ich eine Frau bin, sondern weil ich als Vertreterin der Löwen spreche.“
Innerhalb kürzester Zeit ist Jennifer Kettemann zu einem Gesicht der Sportart geworden – sie vertritt schließlich den derzeitigen Branchenführer. Seit ihrem Amtsantritt im Mai 2016 sind die Löwen zwei Mal nacheinander Meister geworden, stehen Anfang Mai zudem im Final Four um den DHB-Pokal (siehe Info-Kasten). Für Kettemann ist es brillant gelaufen, seit jenem Tag, als sie daheim im pfälzischen Frankenthal auf dem Sofa saß. Im Fernsehen lief ein Handball-Länderspiel, als die SMS des damaligen scheidenden Löwen-Geschäftsführers Lars Lamadé eintrudelte. Ob er sie ins Bewerbungsrennen um seine Nachfolge schicken dürfe, fragte Lamadé an. Kettemann ant- wortete weder taktisch noch geschmeichelt, sondern aufrichtig: „Nee, wie kommst du darauf ?“
konnte. „Und als ich auf das Blatt schaute, merkte ich: Das kann ich doch eigentlich. Das liegt mir.“ Kettemann bekam den Job, trägt die Gesamtverantwortung. Doch die kühle Rationalität am Arbeitsplatz hat Risse bekommen. „Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass mich der Handball so begeistert. Ich bin emotional
total gefangen“, gesteht Jennifer Kettemann, die zuvor schon als Handball-Fan regelmäßiger Gast in der SAP Arena war. Nun trägt sie Verantwortung – und sagt: „Ich kann mir gerade nicht vorstellen, noch mal was anderes zu machen.“
Dabei ist ihr Leben, auch abseits der Löwen, aufregend genug. Ihre beiden Söhne sind sieben und vier Jahre alt, die poli- tisch-rhetorische Frage nach der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist bei ihr eine praktische: „Ich habe von Anfang an klar gesagt: Die Kinder stehen immer an erster Stelle.“ Entsprechend flexibel gestaltet sie ihren Arbeitsalltag. „Zwei Mal die Woche bin ich hier mittags weg, koche meinen Kindern was, mache Hausaufgaben, wir unternehmen was. Und wenn sie um halb acht schlafen, setze ich mich wieder hin und arbeite eben bis Mitternacht.“ Ohne ihre Familie und Schwiegereltern wäre dieser Spagat unmöglich. Jennifer Kettemann mutet sich viel zu, an Ehrgeiz mangelt es der 36-Jährigen sicher nicht. Die Emotionen des Sports sind der größte Lohn. „Es kribbelt bei diesem Job halt ständig.“
„Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass mich der Handball so begeistert. Ich bin emotional total gefangen.“
JENNIFER KETTEMANN
Region
 Feierstunde in der SAP Arena: Die Rhein-Neckar Löwen nehmen gerade Kurs auf die dritte Meisterschaft nacheinander.
SPIELFELD TSG HOFFENHEIM 71













































































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