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AKADEMIE
01.03.2017

Helmut Kafka: Der Talentefinder

Helmut Kafka kann gar nicht anders. „Der Fußball hat mir so viel gegeben, ich will etwas zurückzahlen“, sagt der 76-Jährige, der seit 2006 als Chef der Home-Scouts für die achtzehn99 AKADEMIE nach Talenten Ausschau hält und pro Woche mehrere Jugendspiele besucht. Als Kafka einst für den Karlsruher SC in der Bundesliga spielte, waren selbst die älteren TSG-Mitarbeiter nicht mal geboren. Und auch der eine oder andere Hoffenheimer Trainer wurde in jungen Jahren in der Badischen Auswahl von ihm trainiert. Achtzehn99.de erzählt die interessante Lebensgeschichte eines Rastlosen.

Als Kafka am 17. Juli 1940 in einer kleinen Ortschaft nahe der oberschlesischen Stadt Gleiwitz geboren wurde, tobte gerade der Zweite Weltkrieg. Keine optimalen Voraussetzungen, um in ein glückliches Leben zu starten. Kafkas Vater kam im Krieg ums Leben, der kleine Helmut wurde mit der Mutter und seinen beiden Schwestern aus der Heimat vertrieben und wuchs in Borgstede, einem Stadtteil von Varel in Friesland, auf.

„Wir lebten in Baracken, Armut und Hunger prägten unseren Alltag. Meine Mutter musste meine Schwestern und mich allein aufziehen. Eine höhere Schulausbildung war nicht möglich, denn die musste man damals selbst bezahlen – und das konnte meine Mutter nicht“, schildert Kafka die schwierigen Nachkriegsverhältnisse.

Schon mit 14 zog es Kafka „in die Welt“ hinaus. Er ging nach Essen-Heisingen und absolvierte eine Bergbau-Lehre, spielte nebenbei Fußball bei der DJK Heisingen (Heimatverein von Ex-Nationaltorhüter Jens Lehmann, Anm. d. Red.) und hatte eigentlich schon ein Stipendium für die Steigerschule in Bochum in der Tasche, als einer seiner besten Freunde unter Tage tödlich verunglückte. Ein einschneidendes Erlebnis im Leben Kafkas, der daraufhin nach Niedersachsen zurückkehrte und zunächst für Germania Wilhelmshaven in der Amateuroberliga, damals die zweithöchste Spielklasse, auflief. Zu den Derbys gegen Olympia Wilhelmshaven oder Kickers Emden kamen 10.000 Zuschauer ins Stadion „Schwarze Erde“.

Kafka, der seine Kindheit „nur draußen und in den ersten Jahren zwischen Mai und Oktober zudem barfuß“ verbracht hat („Ab Oktober wurden die Leinenschuhe mit den Holzsohlen angezogen!“), war ein hervorragender Athlet und betont: „Mir ist damals keiner davongelaufen.“ Kein Wunder, schließlich war er Deutscher Jugendmeister im Dreikampf, bestehend aus den Disziplinen 100 Meter (10,8 s), Hochsprung (1,84 m / Straddletechnik) und Weitsprung (6,67 m).

Mit Sepp Piontek bei Werder Bremen

Auch wenn in jener Zeit mit dem Fußball keine hohen Summen verdient wurden: Wer gut kicken konnte, hatte Vorteile und wurde bei der Arbeitsplatzsuche unterstützt. In Wilhelmshaven absolvierte Kafka eine Lehre als Dreher bei Krupp-Ardelt und spielte mit 17 Jahren in der ersten Mannschaft von Germania Wilhelmshaven.

1962 heiratete er seine Frau Ruth und wechselte zu Werder Bremen, wo er unter anderem mit Sepp Piontek, Dänemarks späterem Nationaltrainer (1979-90), zusammenspielte und einen Job bei Siemens-Schuckert bekam. Piontek, ebenfalls gebürtiger Schlesier, und Kafka kannten sich bereits aus der Niedersachsen-Auswahl. Auch bei Arminia Hannover, seiner nächsten Karrierestation, wurde mittels eines Arbeitsplatzes für ein sicheres Einkommen gesorgt. Von nun an ging es für den einstigen Heimatvertriebenen stetig bergauf.

Kafka widerstand einem Angebot Hennes Weisweilers, der ihn bei Borussia Mönchengladbach zu einem „Fohlen“ machen wollte, sowie einer Offerte des kommenden Deutschen Meisters Eintracht Braunschweig (1967) und ging 1965 zum Karlsruher SC. Ausschlaggebend war, dass er sich über den 1959 ausgerufenen „Goldenen Plan“ in Baden-Württemberg auf dem zweiten Bildungsweg zum Lehrer für Sport und Technik ausbilden lassen konnte. „Der KSC war damals einer der angesehensten Klubs in Deutschland, mit einem tollen Stadion und begeisterten Zuschauern. Damals wurde in der Bundesliga noch ohne Auswechselspieler gespielt. Es gab eine Reserverunde, die ihre Partien vor denen der ersten Mannschaft austrug. Wir hatten als einer der ersten Vereine sogar ein Entmüdungsbecken mit Unterwassermassage“, erzählt er.

Die Erinnerungen an diese Zeit sind sehr frisch. Eine Zeit, in der es im besten Fall einen Masseur, aber keine medizinische Abteilung gab, und in der die Zuschauer im Wildparkstadion bei großen Spielen direkt am Spielfeldrand standen. Kafka ließ sich mit seiner Familie – zunächst Frau und Tochter, später kam noch ein Sohn hinzu – in Linkenheim bei Karlsruhe nieder, wo er ein Haus baute und an der Werkrealschule unterrichtete.

Kopfballduell mit Jürgen Grabowski auf der Titelseite des kicker

kicker Kafka Grabowski

"Prachtvoller Luftkampf": Kafka (r.) gegen Grabowski.

In der Bundesliga bearbeitete Kafka die linke Seite und hatte es mit Gegenspielern vom Kaliber Lothar Emmerich, Uwe Seeler und „Stan“ Libuda zu tun. Doch als schwersten „Brocken“ bezeichnet Kafka Carl-Heinz Rühl, der für den MSV Duisburg und den 1.FC Köln stürmte und später eine Trainer- und Managerkarriere einschlug, die ihn unter anderem auch zum KSC führte. „Wir waren damals schon taktisch sehr flexibel und neben Mönchengladbach die ersten, die das Spiel über die Außenbahn kultivierten“, sagt Kafka, der seine damaligen Qualitäten in der Schnelligkeit und Kopfballstärke sieht. Einmal schaffte er es sogar auf die Titelseite des Fachmagazins kicker, zu sehen ist er standesgemäß in einem Luftduell mit dem späteren Weltmeister 1974 Jürgen Grabowski.

Mit 30 Jahren beendete Kafka seine aktive Laufbahn aufgrund zweier Schultereckgelenkssprengungen, begann seinen Schuldienst und wurde beim Badischen Fußballverband (BFV) Honorartrainer an der Sportschule Schöneck. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich da 35 Jahre bleibe“, sagt er rückblickend. Aber er tat es, und kann entsprechend viele Geschichten von Verbandssporttrainern erzählen, die ihn prägten. Zum Beispiel Pál Csernai, der in den 70er Jahren beim BFV arbeitete und später den FC Bayern München zu zwei Deutschen Meisterschaften führte. „Er war in Sachen Taktik der Beste“, sagt Kafka über den Ungarn. Von Jörg Daniel und Roland Reichel hat Kafka viele fachliche Aspekte der Trainer-Aus- und Fortbildung übernommen.

Als seinen großen Mentor bezeichnet er Herbert Widmayer, der ebenfalls für den BFV aktiv war und bei der WM 1974 zum Trainerstab Helmut Schöns gehörte. „Wenn der eine Rede gehalten hat, wärst du sofort auf Befehl den nächsten Baum hochgelaufen“, schwärmt Kafka von dem gebürtigen Kieler, der ihn zu andauerndem Lernen ermunterte und den Satz prägte: „Achte deine Mitmenschen auf deinem Weg nach oben, denn sie könnten dir auf dem Weg nach unten wieder begegnen.“ Ein respektvoller Umgang in den zwischenmenschlichen Beziehungen gehört für Kafka daher zu den wichtigsten Eigenschaften – als Trainer und als Mensch.

Wegbereiter zur Nationalmannschaft

Kafka betreute auf Schöneck viele Talente in der Badischen Auswahl, die später bei der TSG als Trainer ihre Zelte aufschlugen, wie etwa Matthias Born, Guido Streichsbier, Rainer Scharinger, Andreas Lässig oder Meik Spieler. Mit Xaver Zembrod, Wolfgang Heller und Frank Fröhling hatte er in der Talentförderung über die DFB-Stützpunkte zu tun. Auch der aktuelle U17-Chefcoach Marcel Rapp spielte unter Kafka und schwärmt noch immer in höchsten Tönen von ihm.

Kafkas Sohn Arne war selbst ein großes Talent und spielte im Jahrgang Maurizio Gaudinos, doch zwei Kreuzbandrisse beendeten seine Laufbahn im Alter von nur 18 Jahren. „Fußball liegt bei uns in der Familie“, so Kafka. „Meine Onkel waren gute Fußballer und der Sohn meiner Schwester, Stefan Klos, war bei Borussia Dortmund und bei den Glasgow Rangers ein sehr erfolgreicher Torhüter.“

Die Liste der späteren Nationalspieler, die Kafka unter seinen Fittichen hatte, ist lang und beinhaltet Namen wie die Förster-Brüder, Uli Stielike, Mehmet Scholl, Christian Wörns oder Hansi Flick – um nur einige zu nennen. „Karl-Heinz und Bernd Förster waren schon auslaufen, lange bevor sich das etabliert hat. Und ihr Vater hat ihnen im heimischen Garten in Schwarzach damals schon ein Kopfballpendel gebaut.“ Scholl beschreibt er als technisch brillanten, aber schmächtigen Jungen, den er gegen physisch starke Gegner mal lieber auf der Bank sitzen ließ. „Da flossen auch Tränen.“

Kafka bat seine Eleven einmal pro Woche zum Training in die Sportschule und lieferte somit die Vorlage für das wöchentliche Training der DFB-Stützpunkte. „Helmut, du hast immer so eingespielte Teams. Die treten wie Vereinsmannschaften auf, wie machst du das?“, wollte einst Bundestrainer Berti Vogts wissen und bat Kafka hin und wieder auch positionsbezogen konkret um seine Einschätzung. So kam es, dass Kafka die eine oder Karriere positiv beeinflusste, indem er einige seiner Jungs per Empfehlung zu Nationalspielern machte.

Freie Hand beim Aufbau des Home-Scoutings

Im Herbst 2006 nahm der mittlerweile 66-Jährige ein letztes Mal mit der BFV-Auswahl am Länderpokal in Duisburg teil, dann war Schluss. „Ich wollte Platz machen für junge Leute.“ Doch wenn seine Frau nun dachte, mehr Wochenenden gemeinsam mit ihrem Mann zu verbringen, sah sie sich getäuscht. Bei der TSG Hoffenheim befand sich die Nachwuchsabteilung gerade im Aufbau, und Matthias Born, der erste Sportliche Leiter der achtzehn99 AKADEMIE, holte Helmut Kafka beratend mit ins Boot.

„Ich saß mit Matze Born, Ralf Rangnick, Bernhard Peters, Jan Schindelmeiser, René Ottinger und Dominik Drobisch am Tisch, und wir haben gemeinsam ein Jugendsichtungskonzept auf die Beine gestellt.“ Von Kafka stammt zum Beispiel der Grundsatz, erst ab der D-Jugend Mannschaften zu führen und in den Jahrgängen darunter mit der bewährten Kinderperspektivteam-Idee zu arbeiten, um die Talente nicht zu früh aus ihrem sozialen Umfeld herauszureißen.

„Wir haben ein Einzugsgebiet definiert, und ich war für den Aufbau des Home-Scoutings verantwortlich. Dabei hatte ich freie Hand“, ist Kafka dankbar für das Vertrauen, das ihm auch dank seiner Erfahrung entgegengebracht wurde. Er durfte sich ein engagiertes Team zusammenstellen, das Wochenende für Wochenende die Fußballplätze im Land abklappert – und dem schon so manches Talent ins Netz gegangen ist. Ein Niklas Süle fiel zum Beispiel nicht zuletzt wegen seiner körperlichen Robustheit bei einem D-Jugend-Turnier in Eggenstein auf und stand fortan auf dem Zettel, ehe er im Winter 2010 in die Hoffenheimer U15 kam.

„Wir sprechen nur die Empfehlungen aus. Die Hauptarbeit, aus den Jungs etwas zu machen, liegt dann bei den Trainern und den Spielern selbst“, bleibt Kafka bescheiden und gibt das Lob an die TSG-Trainer weiter, zu denen er nach eigener Aussage ein hervorragendes Verhältnis pflegt. „Den Spielern wird hier sehr viel geboten. Dafür müssen sie vieles opfern und alles geben. Unser Anspruch ist es, immer zu den Besten zu gehören.“

Viele Talente in der Region

Eine typische Woche für Helmut Kafka sieht wie folgt aus: Am Montag werden die DFB-Stützpunkte besucht, unter der Woche die Lehrgänge der Landesverbände und am Wochenende mehrere ausgesuchte Pflichtspiele. Die Beobachtungen werden protokolliert und im Computer erfasst – eine Aufgabe, mit der der 76-Jährige nicht gerade aufgewachsen ist, der er sich aber problemlos stellt.

Und worauf wird bei den Spielen besonders geachtet? „Wir müssen alles im Blick haben: Position, Spielfreude, Basistechniken, Geschwindigkeit, Handlungsschnelligkeit, körperliche Voraussetzungen“, verrät Kafka. „Wichtig wäre auch, in die Köpfe der Spieler gucken zu können, denn da passiert dauernd etwas, hier unterscheiden sich die Rabauken von den Anständigen.“ An dieser Stelle erzählt Kafka die Anekdote von dem heutigen Akademie-Spieler, ohne seinen Namen zu nennen, der beim Probetraining derart nervös war, dass er wieder in der Kabine verschwand und einen Rückzieher machen wollte. Er wurde zum Weitermachen ermuntert und gehört heute zu den hoffnungsvollsten Talenten der TSG.

„In unserer Region gab und gibt es sehr viele gute Fußballtalente“, sagt Kafka und denkt da in erster Linie an Talentschmieden wie Waldhof Mannheim, die Stuttgarter Kickers oder auch den FSV Frankfurt und den Ludwigshafener SC. „Entscheidend ist, was die Jungs dann selbst draus machen. Wenn ein Junge für uns interessant ist, informieren wir immer als erstes seinen aktuellen Trainer, bevor wir mit den Eltern oder dem Spieler sprechen. Wir müssen gegenüber den anderen Vereinen immer einen Schritt voraus sein!“ Auch an André Schürrle oder Hakan Çalhanoğlu waren Kafka und sein Team dran, doch entschieden sich diese Jungs für andere Klubs.

„Ich habe dem Fußball einiges zurückgegeben“

„Ich bin sehr gespannt, wie sich der Fußball in den kommenden Jahren entwickelt“, sagt der rastlose Talentefinder, der mit seinen Erfahrungen und Anekdoten Bücher füllen könnte. Mit Geschichten über Jungs, die den Durchbruch geschafft und Karriere gemacht haben.

Aber auch mit solchen über die Rohdiamanten, die hochtalentiert waren und alles mitbrachten, um später im Profibereich anzukommen – aber das Ziel nicht erreichten. „Ich möchte hier keine Namen nennen, aber du musst halt auch einmal den inneren Schweinehund überwinden können. Das macht den Spieler stärker und selbstbewusster und hilft ihm, sich von Leuten, die sich mit ihm profilieren und von ihm profitieren wollen, fernzuhalten.

Kafka, der frühere Profi und Trainer und heutige Scout, schwelgt in der Vergangenheit. „Ich hatte mit tollen Menschen zu tun, auch und gerade bei der TSG in allen Abteilungen im Jugendbereich, und konnte dem Fußball einiges zurückgeben. Ich bin froh, diese Möglichkeit gehabt zu haben.“

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