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SPIELFELD
14.12.2015

Jeremy Toljan: Fortschritt durch Rückschritt

In der Jugend der Stuttgarter Kickers wurde Jeremy Toljan vom Angreifer zum Außenverteidiger umfunktioniert – und wurde auf dieser Position Junioren-Nationalspieler. Seit 2011 ist der 21-Jährige bereits bei der TSG aktiv. In dieser Saison rückte er auch durch sein erstes Tor in der Bundesliga mehr in den Mittelpunkt. Eine Rolle, die ihm allerdings gar nicht so behagt.

Jeremy Toljan ist vielleicht ein typischer 21-jähriger US-amerikanisch-kroatischer Schwabe. Ein typischer 21-jähriger Fußball-Profi ist der gebürtige Stuttgarter aber eher nicht. Sein Körper ist frei von Tattoos. Seinen Kopf ziert keine außergewöhnliche Frisur. Und auf die mit der Karriere verbundene Aufmerksamkeit hat er eigentlich keine Lust: "Ich muss nicht im Mittelpunkt stehen, das ist nicht so mein Ding. Man kann gern über die anderen reden und ich mache meine Arbeit im Hintergrund, das stört mich nicht."

Dem Faible für Nicht-Beachtung steht allerdings sein großes Talent entgegen. Und so hat sich das Interesse am Hoffenheimer Außenverteidiger seit seinem Profi-Debüt 2013 gegen Mainz stark erhöht. Nach starken Leistungen bei der TSG wurde Toljan in die U21-Nationalmannschaft berufen und erhielt Angebote aus dem In- und Ausland. Beim 2:4 in Wolfsburg gelang ihm im Oktober schließlich sein erstes Bundesligator. "Das vergisst man nie. Zumal ich ja Verteidiger bin und nur selten Tore erziele." Der Anschlusstreffer zum 1:2 spiegelte viele Facetten des Profis Jeremy Toljan wieder: Langer Sprint. Überlegter Abschluss. Kein extrovertierter Jubel. "Ich war sehr weit weg vom Tor und habe über alle Optionen nachgedacht: Gleich schießen? Noch ein Kontakt? Langes Eck? Kurzes Eck? Es waren viele Gedanken, zum Glück habe ich es gut gemacht."

Ohne Pose, ohne Jubeltraube

Die Freude äußerte sich in einem maximal minimalistischen Jubel. Sein erstes Profi-Tor feierte er mit einer angedeuteten Jubelgeste mit der linken Hand und einem kurzen Hüpfer. Dann drehte er ab in Richtung der eigenen Hälfte. Ohne Pose für die Kameras, ohne Jubeltraube. Toljan war verärgert, der Zorn über die schlechte Leistung legte sich erst weit nach dem Spiel. "Wir waren zu dem Zeitpunkt völlig verdient 0:2 zurück. Das war ein bisschen doof. Aber nachher war die Freude schon groß, das war schon cool und ein sehr positives Erlebnis. Meine Kumpels haben mir in den nächsten Tagen viele Fotos und Videos geschickt.“

In seiner Heimat war der Rummel aber auch nach dem Treffer überschaubar. Selfie-Hysterie oder Belagerungen in der Innenstadt, die er von U21-Teamkollegen aus den Millionenstädten kennt, drohen ihm in Sinsheim nicht. Auch deshalb genießt er das Leben in seinem Wohnort, wo er seit dem Wechsel vom VfB Stuttgart zur TSG im Jahr 2011 lebt.

Dass die großen Klubs auf den einstigen Spieler von SV Grün-Weiss Sommerrain und dem TSV Steinhaldenfeld aufmerksam wurden, verdankt er einer entscheidenden Rückversetzung. Als er 2008 im Alter von 14 Jahren als Stürmer der Stuttgarter Kickers einige Spiele auf der Bank verfolgen musste, funktionierte ihn sein Trainer zum Abwehrspieler um. Aus dem durchschnittlichen Angreifer wurde ein starker Innen- und schließlich ein herausragender Außenverteidiger – der bereits im Sommer vom VfB abgeworben wurde und 2011 schließlich nach Hoffenheim wechselte.

Fachabitur geschafft, Mutter beruhigt

Der Ankunft in Kraichgau waren eine schulische Schwächeperiode und Diskussionen mit der Mutter vorausgegangen. Nachdem Jeremys Noten immer schlechter wurden, verlangte sie eine Kurskorrektur in der Prioritätenliste ihres Sohnes. "Mir hat damals die schulische Unterstützung neben dem Leistungssport gefehlt und ich bekam Probleme. Da hat meine Mutter gesagt: Du musst den Verein wechseln. Das Hoffenheimer Angebot diesbezüglich war sehr gut und ich musste ja brav sein und auf sie hören. Und letztendlich habe ich ja auch dank der Unterstützung des Vereins das Fachabitur geschafft." Trotz des ihn nicht ganz befriedigenden Schnitts von 3,1, vielen Rückschlägen und noch mehr Mathe-Nachhilfestunden blickt er zufrieden zurück: "Es war alles richtig und ich bin glücklich, dass ich es geschafft habe. Und meine Mutter ist auch beruhigt."

Aufgrund vieler ehemaliger Mitspieler, die die Schule für den Sport vernachlässigten, es aber nicht in den Profi-Fußball schafften, weiß Toljan um die Risiken einer Jugend im Zeichen des Fußballs. Die Bedeutung der schulischen Ausbildung vermittelt er auch den jüngeren Spielern mit Nachdruck: "Ich kenne genug Jungs, die jetzt mit leeren Händen dastehen. Dabei hätten sie viel bessere Optionen gehabt, wenn sie sich nicht nur
auf den Fußball konzentriert hätten. Das betone ich immer wieder. Es ist wichtig, die Schule durchzuziehen, auch wenn es schwierig ist." Toljan kennt diese Zeiten – und ist seiner Mutter für die Unterstützung dankbar: "Ich habe ihren Rückhalt gebraucht, sie hat mich in die richtige Richtung geschubst. Allein dachte ich oft daran, hinzuschmeißen."

Der Sportler und das Brain

Seine zwei Jahre ältere Schwester hat Stuttgart mittlerweile ebenfalls wegen der Karriere verlassen – bereitete der Mutter bis dahin aber weniger Sorgen. Für ihr Wirtschaftsingenieurswesen-Studium ist sie nach München gezogen und hat ihren Bruder mit ihrem Weg schwer beeindruckt. Die Rollen in der Familie sieht er klar verteilt. Toljan lacht. "Meine Schwester ist eher ein Brain. Aber das sportliche Talent habe ich. Das weiß sie auch, ich sage es ihr aber auch immer. Aber ich bewundere sie wirklich für ihren Fleiß und dafür, wie ernst sie die Schule genommen hat."

Da der gemeinsame US-amerikanische Vater schon vor Jeremys Geburt starb, haben die Geschwister eine sehr starke Bindung zu ihrer kroatischen Mutter. Zusammen verbrachten sie in der Jugend viele Ferien im ebenfalls fußballbegeisterten Land. Obwohl er beide Pässe besitzt, fühlt sich Jeremy aber als Deutscher: "Da muss ich momentan natürlich noch kleine Brötchen backen und mich erst einmal bei der TSG durchsetzen. Aber jeder Fußballer hat natürlich das Ziel, irgendwann in der Nationalmannschaft zu spielen. Ich spiele seit der U17 für Deutschland und noch nie darüber nachgedacht, für Kroatien aufzulaufen."

Als aktueller U21-Nationalspieler hat er im kommenden Jahr die Chance, an den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro teilzunehmen. Die Versammlung des Weltsports in der pulsierenden, wunderschönen Metropole wäre für Toljan eine "sicher unvergessliche Erfahrung" – für die er auch akzeptieren würde, schon wieder etwas mehr in den Mittelpunkt zu rücken.

Zum Spielerprofil von Jeremy Toljan >>

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