Page 87 - Spielfeld_Juni_2022

SPIELFELD TSG HOFFENHEIM
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es in diesem schmalen Büchlein ja zugleich auch, der gesellschaftliche Wandel, die Modernisierung dank Digitalisierung, die all diese Erfahrungen fortan, ja tatsächlich, schier unmöglich macht. Die räumliche und zeitliche Allverfügbarkeit der Waren ebenso wie der Bilder, der Videoschnipsel – all‘ das macht im Gegenzug die Erinnerungen jener Zeit so kostbar. Wer damals groß wurde, hatte die Bilder zu jenem Zeitpunkt einzig in seinem Kopf – so, wie sich Bernard besonders erinnert an jene, politisch skandalöse WM 1978 im Videla-Regime Argentiniens. Für ihn, damals neun Jahre als, wird es immer die prägendste Weltmeisterschaft sein und bleiben, jene, in den mit dem Spielball „Tango“ die Modernität Einzug hielt, die Torpfosten eine schwarze Bordüre hatten, dazu die straffen und sehr tief in die Länge gespannten Tornetze – all diese Fetzen sind im Kopf. Und Bernard rät fast inständig dazu, diese im Zuge einer „Verifizierungsaskese“ nun auch nicht nach- träglich im Einzelnen zu prüfen. Manche Traumtore sind Traumtore, weil es sie nur in der Vorstellung weniger Menschen gibt.
Der Fußball, das ist nicht erst nach 156 Seiten dieser Lektüre offenkundig, hat eine einzigartige Kraft. Denn sein Wesen geht weit über das Spielfeld, egal ob Rasen oder „Gummi“, hinaus. „Alle Gefühle der Erhebung und der Erniedrigung, der Zugehörigkeit und der Isolation sind mir zuerst beim Fußball be- gegnet“, heißt es bei Andreas Bernard. Es ist das Spiel des Lebens, nicht nur seines Lebens. Er hat daraus ein wunderbares Buch gemacht.
Andreas Bernard:
Wir gingen raus und spielten Fußball.
Klett-Cotta, Stuttgart 2021. 160 Seiten, 20 Euro.
Ein Foto als Ikone: Der Argentinier Mario Kempes (Bildmitte) jubelt über sein 2:1 im WM-Finale von 1978 gegen die Nieder- lande. Der „Tango“ im straff gespannten Netz, die Papier- schnipsel auf dem Boden – es sind diese Bilder im Kopf, die den Fußball so groß machen.