Page 94 - TSG_Spielfeld_März_2022
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Es gibt beispielsweise nur wenige TV-Formate mit Un- tertiteln. Was fehlt Euch im täglichen Leben am meisten? Benjamin Gutwein: „Natürlich wäre ein Dolmetscher im Bild, wie es zum Beispiel bei der Tagesschau auf Phoenix gibt, die beste Unterstützung. Aber wir wissen auch, dass das nicht immer möglich ist. Daher sind normale Untertitel wie mittlerweile auf einigen Fernsehsendern oder auf manchen Streaming-Portalen ein guter Kompromiss. Zumal es nicht nur für Gehörlose ein Vorteil ist. Auch Hörende nutzen den Service gern, wenn sie nicht perfekt Deutsch sprechen und verstehen können oder eine andere Sprache lernen möchten.“
Wo gibt es noch weiteren Handlungsbedarf?
Benjamin Gutwein: „Vor allen bei den privaten Fernsehsen- dern. Hier haben nur die wenigsten Formate Untertitel. Zum Beispiel haben DAZN und Sky, die die Live-Spiele der TSG zeigen, beide keine Untertitel im Angebot. Ich hatte schon oft Kontakt zu Sky, aber leider wurde noch nie etwas geändert. Ich würde ja sogar ein zusätzliches Abo für den Untertitel buchen, aber das gibt es leider nicht.
umzusetzen ist, aber wir sind in guten Gesprächen mit dem Verein. Die Aufklärung ist sehr wichtig. Daher freuen wir uns natürlich, dass es den Erinnerungstag gibt und der DEAF-Fanclub in den Fokus rückt. Ich habe ein gutes Gefühl, dass wir vorankommen. Für mich wäre es ein Traum, wenn die TSG in der Bundesliga zu einem Vorreiter werden würde. Nach dem Gehörlosenblock wäre der Taubblindenblock der nächste Schritt auf dem Weg dorthin.“
Wie verläuft für Euch ein Besuch im Stadion? Helfen Euch die Gesten der Schiedsrichter?
Marcus Seeburger: „Während des Spiels sind wir es ge- wohnt, uns auf den Rasen zu konzentrieren. Wir kennen die Körpersprache des Schiedsrichters. Wir bekommen das mit, was wir sehen. So sind wir aufgewachsen. Natürlich helfen dann bekannte Gesten wie das Zeichen für den Videobeweis, Vorteil oder auch Abseits. Dafür braucht es keine Worte. Wenn wir jedoch nicht im Stadion sind, bekommen wir leider kaum etwas von der Berichterstattung vor und nach dem
Die Technik würde das schon längst zulassen, aber es gibt immer wieder neue Ausreden.“
Marcus Seeburger: „Deutschland ist in dieser Beziehung leider sehr weit hinten dran. Andere Länder sind da viel weiter und nehmen mehr Rücksicht auf Gehörlose. Viele nehmen immer die Kosten als einen Grund dafür, aber es ist schade, dass wir deswegen diskri- miniert werden.“
„Deutschland ist in dieser Beziehung leider sehr weit hinten dran. Andere Länder sind da viel weiter und nehmen mehr Rücksicht auf Gehörlose.“ MARCUS SEEBURGER
Spiel mit. Vor allem bei den Interviews ohne Untertitel ist das natürlich schade. Es gibt auch Spiele, bei denen Dinge abseits der Kamera passieren und der Kommentator dann den Zuschauer aufklärt. Da sind wir dann leider ratlos.“
Was hat sich für Euch seit der Corona- Pandemie verändert?
Benjamin Gutwein: „Das alltägliche Leben ist dadurch enorm erschwert. Neben den Einschränkungen, die jeder
Bei den Videos der TSG Hoffenheim gibt es seit dieser Saison die Untertitel-Funktion. Wie seht Ihr das Engagement der TSG für Gehörlose?
Marcus Seeburger: „Der Untertitel ist für uns eine große Hilfe. Ein weiterer Schritt wäre es, wenn das Stadionerlebnis noch besser angepasst wird. Das fängt bei Untertiteln im Stadion auf der Videoleinwand an. Wir verstehen leider nie, was Mike Diehl sagt. Wir wissen, dass ein extra Dolmetscher für uns nicht realisierbar ist, aber der Untertitel wäre ein super Anfang.“
Benjamin Gutwein: „Es wird häufiger über Barrierefreiheit im Stadion gesprochen. Die meisten Menschen assoziieren damit, dass Rollstuhlfahrer ins Stadion können, aber es gehört viel mehr dazu. Barrierefrei bedeutet, dass auch hörsehbehinderte oder taubblinde Fans nicht eingeschränkt werden. Vielleicht könnte es einen ‚Taubblindenblock‘ zusätzlich zu unserem Gehörlosenblock geben. Unser Fanclub sitzt im N-Block, hier wäre es super, wenn zum Beispiel beim Essens-Stand die Bestellungen auch an einer Karte an der Kasse mit der Hand angezeigt werden oder Mitarbeiter in unserem Block Grundlagen der Gebärdensprache könnten. Das würde uns vieles erleichtern. Wir wissen auch, dass es nicht so leicht
Mensch erfahren muss, ist für uns die Kommunikation fast unmöglich. Wir brauchen den kompletten Augenkontakt und das gesamte Mundbild. Durch die Maske wird alles versteckt und wir wissen nur selten, was andere Personen von uns wollen. Ich bekomme es teilweise gar nicht mit, dass mit mir geredet wird. Ich frage dann häufig, ob es okay ist, wenn die Masken abgenommen werden, damit ich die Menschen besser verstehen kann. Im besten Fall können Gehörlose 20 bis 30 Prozent der Mitteilung anhand der Mundbewe- gungen absehen, aber das reine Lippenlesen funktioniert leider nicht. Wir Gehörlose sind besonders froh, wenn die Pandemie irgendwann vorbei ist.“
Was für Probleme erfahrt Ihr zudem im Alltag?
Marcus Seeburger: „Wenn wir von Hörenden angesprochen werden und ihnen anzeigen, dass wir gehörlos sind, distan- zieren sie sich meistens von uns, weil sie überfordert sind und nicht wissen, wie sie mit der Situation umgehen müssen. Dabei müssen sie keine Angst vor uns haben. Es gibt immer Wege, um zu kommunizieren. Zur Not schreibt man sich am Handy. Aber auch wir haben Kommunikationsbedarf und freuen uns auf die Interaktion mit anderen Menschen, selbst wenn wir eine andere Kommunikationsform haben.“
INTERVIEW
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