Page 83 - TSG_Spielfeld_Februar_2022
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SPIELFELD TSG HOFFENHEIM
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„Ich will Wahres mit fast Wahrem vermischen.“
MARTIN SUTER
Das gelingt ihm im Schweinsteiger-Roman mühelos. Mehr noch: Im „Einer von euch“ verbindet er leicht- hin, dabei wohlkalkuliert und deshalb überzeugend die tatsächlichen biographischen Stationen seiner Hauptfigur mit beiläufig angedeutetem Zeitkolorit, erfrischend originellen Dialogen und einer Fülle prominenter Charaktere von Christian Neureuther über Uli Hoeneß und Franz Beckenbauer bis zur mittleren Ewigkeitskanzlerin Angela Merkel, denen man allemal auch sofort ihre Romanexistenz abnimmt.
Er wolle „Wahres und fast Wahres“ mischen, notiert Suter im knappen Vorwort. Das löst er fabelhaft auch an der serbischen Tennisspielerin Ana Ivanović ein, die Schweinsteigers große Liebe wird, die er 2016 heiratet und mit der er in Chicago, der letzten Etappe als Fußballprofi, eine Familie gründet. Ana ist die zweite Hauptfigur des Buchs, sehr zu Recht auch schon zu Zeiten, in denen sie von Bastian S. noch nichts ahnt, geschweige denn weiß.
Keine Sorge: Alle wichtigen Schweinsteiger-Partien kommen selbstverständlich auch im Roman vor – von den G-Jugend-Emphasen in Oberaudorf bis zum „Spiel seines Lebens“ (am 8. Juli 2006 gegen Por- tugal), vom verschossenen Elfmeter gegen Chelsea über den Heldenauftritt im WM-Finale von Rio bis zum tränenreichen Abschied in der Allianz-Arena im August 2018, bei dem der Weltstar seinen Fans glaubhaft versichern kann, er sei und bleibe „einer von euch“. Die wirkliche Stärke von Suters Prosa- Epos aber liegt woanders: Es erzählt Herkunft und Aufstieg eines einfachen Menschen unserer Zeit
als Synthese aus Märchen und Mirakel, aber auch als genaueste, dabei empathische Milieustudie des kleinbürgerlichen Mittelstands. Konkret gesagt: Die einzige bemerkenswerte schulische Leistung („in der Kaiserschmarrnprüfung eine glatte Eins“) passiert ebenso Revue wie die Imponiergeste des Neureichen („Privatjets starten, wann die Passagiere wollen“). Gewiss, ein paar stilistische Schwächen hat das Buch, ein, zwei Daten stimmen nicht – und gegen Ende hin verliert der Autor spürbar die Lust am Ausbuchstabieren der Schweinsteiger-Vita. Aber das macht nichts. Im Ganzen hat Martin Suter eine heutige Fußballer-Biographie als heiteren Heldenroman erzählt. Das soll ihm erst einmal einer nachmachen.
In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1989 fällt in Berlin die Mauer. In Oberaudorf wecken „Mum“ Monika und „Dad“ Fred ihre Söhne Tobias und Bas- tian, um sie am welthistorischen Moment teilhaben zu lassen. „Mauer, dachte Basti, wie im Fußball bei einem Freistoß.“ Nur darf sie dort keineswegs fallen. Aber der Fünfjährige behält den Gedanken für sich, freut sich an der Freude der anderen und schläft dann auf dem Sofa wieder ein. Warum Suters Entscheidung richtig war, keine bloße Sportlerbio- grafie, sondern einen Roman zu schreiben, zeigt sich auch an dieser schönen Pointe. Sie mag zwar nur etwas „fast Wahres“ auf den Punkt bringen. Aber sie erzeugt eine poetische Atmosphäre, die auf eine höhere Weise gar nicht falsch sein kann. Denn jedes Leben, also auch jenes des Bastian S., ist ja immer auch ein Roman.
 Bastian Schweinsteiger und seine Frau Ana Ivanovic, die ebenfalls eine Top-Sportlerin war. Die 34-jährige Serbin triumphierte 2008 bei den French Open und führte die Tennis-Weltrangliste an.

























































































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