Page 93 - Spielfeld_August_2021
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 SPIELFELD TSG HOFFENHEIM
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Wie Corona den Alltag im TSG-Kosmos verändert hat
Die Auswirkungen der Pandemie sind im Klub täglich zu spüren – egal, ob es um die Anzahl von Kontakten, neuen Regeln oder logistische Herausforderungen geht. Mitte Juli begleitete Kern die Profis ins Trainingslager nach Rottach-Egern. Ein Mammut-Projekt: „Wir hatten Corona-Tests für die gesamte Dauer dabei, da wir ja auch dort ständig testen mussten. Zum Glück sind wir in Deutschland geblieben, so konnte ein Fahrer die Tests vom Tegernsee ins Labor nach Karlsruhe bringen, wo sie ausgewertet wurden.“ Nach mehr als einem Jahr im Pandemie-Modus bilanziert Kern: „Das ist alles mit einem enormen Mehraufwand verbunden und ich musste feststellen: Der Aufwand für Corona ist mittlerweile größer als der für meinen eigentlichen Job.“ Erstmals hatte auch der Mannschaftsarzt die „Sommerpause“ nötig: „Am Ende der Saison war ich wirklich ausgelaugt und froh, dass ich mich ausruhen konnte. Jetzt habe ich aber wieder Kraft getankt“, sagt der Mann, dem Ex-Coach Julian Nagelsmann aufgrund der vielen Muskeln einst die Statur einer Euro-Palette attestierte.
Ist Mannschaftsarzt dennoch ein Traumjob?
Für Kern gibt es nur eine Antwort: „Es ist der Beruf, den ich unbedingt machen wollte. Deshalb habe ich nach meiner aktiven Laufbahn Medizin studiert. Und ja, es ist mein Traumjob, denn ich kann den Athleten helfen. Es macht mir unglaublich viel Spaß. Vor allem, wenn es um die Arbeit in meinen Fachrichtungen Orthopädie und Unfallchirurgie geht – bei all den Corona-Themen ist der Spaß ehrlich gesagt eher gering“, erklärt Kern und fügt an: „Ich freue mich darauf, wenn das Thema irgendwann in der Zukunft mal abgehakt ist und die normale Arbeit wieder im Fokus steht.“
Macht es einen Unterschied, ob man einen Spieler vor Tausenden von Zuschauern oder in der Praxis behandelt?
Kern ist nach seinen Sprints aufs Spielfeld nie so außer Atem, dass er einen angeschlagenen Spieler nicht mehr in Ruhe behandeln kann. Und auch die Fans und das Umfeld beeinflussen ihn nicht. Doch das war nicht immer so, der 54-Jährige erinnert sich an eine Situation, in der er den Druck des Publikums gespürt hat: „Im Frühling 2016 war ich noch ein relativer Frischling und die TSG im Abstiegskampf.
Ermin Bičakčić zog sich bei einem Luftzweikampf einen großen, blutenden Cut über der Nase zu. Er zeigte sich so den Fans und gestikulierte, die Zuschauer schrien und es herrschte ein riesiges Getöse. In diesem emotionalen Umfeld musste ich Ermin direkt vor der Masse an Fans nähen. Das war schon ein unvergessliches Erlebnis, der Druck war groß und die Narbe sollte ihn ja auch nicht verun- stalten. Da war ich danach schon froh, dass alles so gut geklappt hat.“
Die Rolle des Beobachters
Der Arzt spricht gern über seine Gefühlslage am Spielfeldrand. „Die Spiele sind die absoluten High- lights. Das ist das Salz in der Suppe, auch wenn ich nie entspannt bin. Ich muss immer die Spieler beobachten und auch mal den Trainer darauf hin- weisen, wenn einer unrund läuft.“ Dennoch genießt er die Spiele – ein Zusatz ist ihm aber noch wichtig: „Selbst als Arzt muss ich sagen: Ohne die Fans ist es nicht das Gleiche. Sie fehlen und wir alle freuen uns unglaublich auf ihre Rückkehr in die Stadien.“
 Besondere Erfahrung: Ralph Kern behandelt den blutenden Ermin Bičakčić vor der Südtribüne.























































































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