Page 12 - Spielfeld_August_2021
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Herr Hoeneß, Ihre erste Dienstreise als TSG-Coach führte Sie im Sommer 2020 ins Trainingslager nach Rottach-Egern. Genau dorthin, wo Sie die Mannschaft
nun, im Juli 2021, wieder auf die Saison vorbereitet haben. Wie sehr unterschied sich das Jahr 2021 am Tegernsee vom Start 2020?
„Das fängt bei den praktischen Dingen an. Als wir vor einem Jahr ins Trainingslager gefahren sind, kannte ich außer meinem Co-Trainer erstmal keinen. Und ein Job- und Ortswechsel bedarf immer einer Eingewöhnungszeit. Dann arbeitet man von Tag eins einfach los und lernt sich dabei kennen, das ist schon ein gewaltiger Unterschied zu dieser Saison. Es gibt zwar in jeder Saison Umstrukturierungen und Optimierungen, ein paar neue Gesichter, aber diese Sich-aneinander-ge- wöhnen-Phase, die spart man sich. Das war nun ein gutes Gefühl, weil das Eingewöhnen viel Energie gekostet hat. Vor dieser Spielzeit war es deshalb ein immenser Vorteil, dass ich meine Energie den Kernaufgaben widmen konnte. Zudem haben wir auch in anderen relevanten Dingen ein viel höheres Ausgangsniveau. Das ist gut, das spüre ich jeden Tag, weil wir dieses Jahr einfach da anknüpfen konnten, wo wir aufgehört haben und nicht alles neu erfinden mussten.“
Nun starten Sie mit einer weitgehend unveränderten Mannschaft in die zweite gemeinsame Saison. Wofür soll das Team stehen?
„Wir wollen aktiv spielen, Dominanz und Dynamik zeigen. Dominanz heißt, einen ballbesitzorientierten Ansatz mit einer dynamischen Komponente zu verbinden, also immer wieder in die Tiefe zu kommen. Die Umschaltphasen sind extrem wichtig, nach vorn verteidigen, den Ball gewinnen und dann direkt Richtung Tor. Gegen den Ball bedeutet Dominanz, früh zu attackieren und den Ball zurückzuholen – auch dafür brauchst du Dynamik. Das war vergangene Saison schon unser Ziel, aber nun haben wir viel bessere Möglichkeiten, dies auch gezielt zu trainieren. Und dann sieht es von der Tendenz ungefähr so aus, wie es die letzten sieben Spiele in der Rückrunde ausgesehen hat.“
Auch die Frage „Wie vermeide ich einen frühen Rückstand?“ dürfte auf der Agenda stehen.
„Das ist ein wichtiges Thema, dem wir uns widmen: Wie starten wir besser ins Spiel? Das macht man nicht einfach mal anders, man muss erst einmal das Bewusstsein dafür haben und dann die Sinne dafür schärfen. Wir haben in der Vorbereitung zum Beispiel in Trainingseinheiten mittels Provokationen daran gearbeitet: Wir haben oft drei Mal zehn Minuten gespielt, in den ersten drei Minuten zählen Tore doppelt. Das sind Dinge, denen wir uns intensiv widmen. Und eher nicht, acht verschiedene Systeme zu spielen.“
Um im Training bestmöglich arbeiten zu können, möchten Sie eine „leistungsbereite Gruppe“ zusammenstellen. Wie sieht diese aus?
„Eine funktionierende Gruppe ist elementar, um Leistung bringen zu können. Und wenn die Einsatzchance gleich Null ist, sinkt die Leistungsbereitschaft. In jedem Team, in dem nur Jungs sind, die das Gefühl haben: ‚Wenn ich gut trainiere, dann spiele ich‘, entsteht eine Energie. Und wenn nur einer dabei ist, der weiß, dass er nicht mehr gebraucht wird, dann belastet das die positive Energie. Das gilt es zu verhindern.“
Jeder Spieler soll demnach wichtig werden können für das Team.
„Das ist ja das Schöne am Mannschaftssport und spezi- ell am Fußball. Durch Spiel- oder Saisonverläufe, aber natürlich auch taktische Überlegungen oder leider auch Verletzungen und im aktuellen Fall Krankheiten ändert sich im Gefüge stets einiges und es kommt der Zeitpunkt, wo Spieler aus der zweiten Reihe die Hand heben und zeigen können: ‚Hey, ich möchte da auch rein und ich habe mir eine Chance verdient.‘ Das war schon immer das Spannende. Und hier ist jeder Spieler herzlich willkommen, sich in den Vordergrund zu spielen.“
Eine Chance gerade auch für junge Spieler.
„Auf jeden Fall. Dass so eine Geschichte wie die von Marco John passiert, ist nicht alltäglich und auch den besonde- ren Umständen geschuldet. In einer anderen Saison hätte er diese wichtige Rolle im Team wohl nicht so schnell übernehmen müssen und sich auch nicht so präsentieren können. Und plötzlich nimmt man einen, der eigentlich ein totaler Rookie war, als gestandenen Spieler wahr. Marco hat sich das erarbeitet. Er hat die Chance unverhofft be- kommen, und sich diesen Platz dann genommen. In David Raum bekommt er nun neue und starke Konkurrenz, das wird beiden guttun – und vor allem der TSG. Zumal Marco vom Kopf her ein sehr klarer Spieler ist und seine Situation realistisch einschätzen kann und ebenfalls jemand, der immer spielen will und alles dafür tut.“
Der angesprochene David Raum ist im Sommer U21- Europameister geworden und hat Deutschland bei den Olympischen Spielen in Tokio vertreten. Welche Rolle trauen Sie ihm zu – und ab wann?
„Wir haben ihn geholt, weil er uns helfen kann und hoffen, dass er das so schnell wie möglich tut. Es war wichtig, Jungs zu holen, die auch eine gewisse Mentalität mitbringen. Ermin Bičakčić und Benni Hübner fehlen uns ja noch länger. Spieler, die hart verteidigen und vorangehen können, helfen uns da sehr. Bei allen Neuzugängen war es uns wichtig, dass sie lern- und leistungsorientiert sind. Wir wollen gierig sein – um uns weiterzuentwickeln und etwas zu erreichen.“
Sie selbst belegen nach 34 Spielen auf der Bundesliga-Trai- nerbank statistisch bereits einen Spitzenplatz: Von den 16 Bundesligisten, welche schon 2020 in der Liga waren, werden nur vier Klubs mit dem gleichen Trainer in die neue Saison gehen. Christian Streich, Urs Fischer, Pellegrino Matarazzo – und Sie. Was sagt das über die Volatilität des Geschäfts aus – und vielleicht auch über die Qualität der TSG Hoffenheim?
„Schnelllebiger geht es ja kaum noch, das wird deutlich. Und das vergangene Jahr hat sicher auch nicht immer das beste Licht auf die Trainerbranche geworfen. Auf der an- deren Seite hat die TSG als Klub gezeigt, dass es das Ziel ist, langfristig etwas aufzubauen. In der vergangenen Saison konnte es aufgrund der Umstände nur darum gehen, die aktuelle Situation zu bewältigen. Das haben wir getan. Wir haben die Ruhe nicht verloren und daraus kann Kraft entstehen. Ich bin auch überzeugt, dass es wichtig ist, Kontinuität zu haben innerhalb des Klubs, um nachhaltig Dinge zu entwickeln.“
PROFIS
















































































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