Page 8 - TSG_Spielfeld_Juni_2021
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   Horst Gregorio Canellas (Bild oben) deckte den größten Skandal des deutschen Fußballs vor 50 Jahren auf. Der Schalker Sieg, herbeigeführt durch das Tor gegen Bielefeld (unten), war gekauft.
Kinder, wie die Zeit vergeht
Es begann mit einem Tonbandgerät der Marke Magnetophon 204 TS von Telefunken, Baujahr 1968, Originalpreis 718 Mark. Es war der 6. Juni 1971, vor nunmehr exakt 50 Jahren, als der größte Skandal des deutschen Fußballs seinen öffentlichen Anfang
nahm. Im hessischen Obersthausen hatte Horst Gregorio Canellas, Präsident der soeben abgestiegenen Kickers aus Offenbach, anlässlich seines 50. Geburtstages zur Garten- party geladen. Journalisten waren der freundlichen Einladung des Südfrüchtehändlers ebenso nichtsahnend gefolgt wie Bundestrainer Helmut Schön. Bevor Canellas dann auf seiner Terrasse den Startknopf drückte, sagte er gemäß Augenzeugen: „Wir sind durch Betrug abgestiegen. Ich werde das beweisen.“ Zu hören waren die Stimmen des Kölner Torwarts Manfred Manglitz sowie der Hertha-Spieler Bernd Patzke und Tasso Wild, die in den mitgeschnittenen Telefonaten von Canellas Geld für einen Sieg beziehungsweise eine Niederlage gegen Offenbach forderten.
Helmut Schön verließ umgehend die Party, aber für den deutschen Fußball gab es kein Entkommen mehr vor dem Bestechungsskandal.
Denn in der Endphase der Saison 1970/71, das wurde offensichtlich, waren die für den Abstieg relevanten Spiele reihenweise manipuliert worden. Manfred Manglitz fasste es verblüffend grotesk zusammen: „Man brauchte eigentlich nur ganz normal spielen – von irgendwem kam das Geld. Entweder Siegprämie oder man hat verloren.“ So wie am 17. April 1971, als der FC Schalke 04 auf die abstiegsgefährdeten Bielefelder traf. Arminia siegte sensationell 1:0 – und nach dem Spiel ereignete sich in der Kabine der „Knappen“ ein merkwürdiger Vorgang. Trotz der überraschenden Niederlage erhielt dort jeder Spieler einen Umschlag, gefüllt mit 2.300 D-Mark. „Die Summe war enorm hoch, auch gemessen an unserem damaligen Verdienst“, erinnert sich Torwart Dieter Burdenski. Dieser erhielt damals von den Schalker Abwehrspielern reichlich Gelegen- heiten, sich bei seinem erst zweiten Bundesligaeinsatz auszuzeichnen. 40.000 D-Mark hatte der Bielefelder Vorstand dem FC Schalke 04 gezahlt. Insgesamt wurden mindestens 18 Spiele durch Geldzahlungen beeinflusst, involviert waren rund 60 Spieler, Trainer und Funktionäre. Über eine Million Mark Bestechungsgeld flossen zwischen den Teams, die Absprachen wurden in der Regel telefonisch getroffen, das Geld in Hinterzimmern und Autobahn-Raststätten übergeben. Es wurden Sperren ausgesprochen, der FC Schalke 04 wurde zum „FC Meineid“ und auch Horst Gregorio Canellas wurde gesperrt – das alles ist auch 50 Jahre später noch ein wichtiges Stück deutscher Fußball-Geschichte. Und das Magnetophon 204 TS ist heute im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund ausgestellt.
  Härringers Ecke
 © 2021 Christoph Härringer, www.facebook.com/Spottschau
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