Page 29 - Spielfeld_Maerz_2021
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SPIELFELD TSG HOFFENHEIM
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Ermin Bičakčić gefällt sein Image. Sein mit Stolz getragener Spitzname Eisen-Ermin zeugt vom redlich verdienten Bild des Mensch gewordenen
Hartmetalls. Doch im September 2020 zerbrach die für unkaputtbar gehaltene Stütze des TSG-Defen- sivverbundes beim Sieg gegen den FC Bayern. Es halfen kein Turban, kein mysteriöses Ausschalten des Schmerzempfindens, kein purer Wille – Ermin Bičakčić musste anerkennen, dass seine Kampfkraft endlich ist. Im Volksmund heißt es „Niemand kann Eisen zerstören, außer sein eigener Rost“. Es passte ins Bild, dass auch Ermin Bičakčić niemand anderes zerstören konnte, in seinem Fall war der Rost sein Kreuzband. Der Kämpfer war am Boden. Erst nur auf dem Rasen der PreZero Arena, Wochen später auch mental, wie er offen zugibt.
Denn auf die Härte, die er auf dem Platz ausstrahlt, legt er im Privatleben keinen Wert. Bičakčić ist ein facettenreicher Mensch. Eine dieser Facetten ist Ehrlichkeit; zu sich selbst und gegenüber seinen Mit- menschen. Und zur Wahrheit gehört: Der 31-Jährige war traurig, litt – und vergoss auch mal Tränen.
Doch das Tal der Tränen ist
längst durchschritten. Als er
im Februar die Geschäftsstelle
der TSG Hoffenheim in Zuzen-
hausen betritt, fällt der Slogan auf seinem Shirt mehr auf als die Tatsache, dass er wieder ohne Probleme gehen kann. „No Bad Days“ prangt in großen Lettern auf seinem Oberteil. Keine schlechten Tage. Bičakčić hat das Kleidungsstück bewusst gewählt. Es ist kei- nesfalls die Beschreibung des paradiesischen Lebens des Profi-Fußballers, als die es verstanden werden könnte. Vielmehr ist es ein auf den Erfahrungen der vergangenen Monate basierendes Memo an sich selbst: Eine Aufforderung, den Kopf oben zu behalten und den Fokus auf die Ziele zu richten. Das Shirt ist ein Stern in Ermin Bičakčićs mentalem Kosmos, der durch die Verletzung ordentlich durcheinander gerüttelt wurde. Mit dem Riss des Kreuzbandes begann eine neue Zeitrechnung, Wohlbefinden und mentale Stärke waren nicht mehr selbstverständlich. „Solche Sachen helfen mir. Ich bin aufgestanden und habe gedacht: Das brauche ich heute, es hat mir ein
Lachen ins Gesicht gezaubert und mir positive Energie gegeben. Selbst die tägliche Songwahl, wenn ich mit dem Auto zur Reha fahre, ist für mich entscheidend. Das sind Details, die mir guttun.“
Ermin Bičakčić hat in den vergangenen Monaten viel gelernt. Über sich, seinen Körper, seine Psyche. Eine wichtige Erkenntnis war, Dinge zu akzeptieren. Auch Schwächen. Und Machtlosigkeit. Dass Kraft und Wille natürliche Grenzen haben, machte sich der gebürti- ge Bosnier nach und nach bewusst – und nahm die Situation schließlich an. „Wer mich kennt, kann sich vorstellen, dass ich zu Beginn mit so einem Elan an die Reha rangegangen bin, dass ich gesagt habe, ich will schneller als die eigentlich bestenfalls sechs
Monate Pause zurückkommen. Aber dann musste ich einsehen, dass eine Kreuzbandverletzung wirklich länger braucht und ich mir die Zeit geben muss. Das zu lernen und damit umzugehen, war Neuland für mich.“
Maximale Ehrlichkeit – vor allem zu sich selbst – half dem Verteidiger dabei, die Situation nach und nach zu realisieren: „Ich bin an die Sache heran- gegangen und habe zu mir gesagt: Hey, sei offen zu dir und mit deinen Gefühlen und lass es einfach raus. Wenn du
heute schlecht drauf bist, wenn du emotional bist und auch mal wirklich weinen musst, mach das. Sätze wie ‚Ich will in sechs Monaten wieder spielen und komme dann stärker zurück' sind immer einfach gesagt. Das hört sich super an, aber das wirklich umzusetzen ist eine ganz andere Geschichte. So ein Weg ist mit Höhen und Tiefen verbunden und am Anfang ist nicht abzusehen, wohin er führt. Und als ich diese Akzeptanz hinbekommen hatte, folgte der nächste Schritt.“
Zwei Wochen dauerte es, bis diese Erkenntnis reifte. Der 31-Jährige stellte sich der neuen Realität, rich- tete sich in ihr ein und formulierte neue Ziele. Weg von fixen Zeitpunkten, hin zum großen Ganzen. Mental gestärkt nahm sich Bičakčić Zeit, über Chan- cen nachzudenken, die aus der plötzlichen Fußball- losigkeit hervorgingen.
 „Ich habe zu mir gesagt: Hey, sei offen zu dir und mit deinen Gefühlen
und lass es einfach raus. Wenn du heute schlecht drauf bist, wenn du emotional bist und auch mal wirklich weinen musst, mach das.“
  
















































































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