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SPIELFELD TSG HOFFENHEIM 79
  etwas. Gerade der Umstand jedoch, dass der nun 71 Jahre alte Arsène Wenger uns in der Tat nur von fern begegnet ist, wird schließlich zur eigentlichen Stärke der Autobiographie. Obwohl der FC Bayern ein paar Mal mit ihm verhandelte, obwohl er 2004 als möglicher Bundestrainer im Gespräch war, hat der mit hiesigen Gepflogenheiten durchaus vertraute Wenger sein ganzes Fußballerleben außerhalb der deutschen Bundesliga verbracht. Weil er aus einer globalen Perspektive referiert und reflektiert, dabei anschaulich und anekdotenreich erzählt, können alle Enthusiasten des Spiels – Profis, Trainer und Manager inklusive – aus seiner Lebensbeschreibung eine Menge lernen.
Ein begnadeter Spieler war er nicht. Parallel zu den wenigen Einsätzen im Profiteam von Racing Straßburg absolvierte er ein Grundstudium in Ökonomie und sammelte als Nachwuchstrainer erste Erfahrungen. Wer auf dem Platz schwächer ist, muss jenseits davon stärker denken: „Vielleicht hätte ich nicht so eine Trainerkarriere gehabt“, sagte er jüngst in einem Interview, „wenn ich wie Franz Beckenbauer gespielt hätte.“ Wengers Laufbahn seit Anfang der Achtziger Jahre kennt nur wenige Stationen. Die erste (beim AS Nancy, nach einer kurzen Assistenz in Cannes) war wenig erfolgreich, aber machte dennoch den AS Monaco auf ihn aufmerksam, wo er dann durchstartete – französische Meisterschaft 1988, Pokalsieg 1991, im Jahr darauf das Finale im Europapokal der Pokalsieger, das Monaco – lang ist’s her – gegen Werder Bremen verlor.
Dass Wenger 1994 ins japanische Nagoya geht, schil- dert er auch als eine Art Flucht aus dem damaligen Korruptionssumpf des französischen Fußballs, in den er persönlich zwar nicht verstrickt war, der aber „alle vergiftete“. Noch immer ist es „schwer, darüber zu sprechen“. Warum? Weil es zwar Gerichtsurteile, nie aber „Gerechtigkeit und Transparenz“ gegeben habe. Das sind und bleiben seine Werte. Mit Nagoya gewinnt er Japans Kaiserpokal, um 1996 dann den FC Arsenal zu übernehmen, der als langweiligs- ter Klub der Premier League gilt. Das sollte sich ändern. 22 Jahre lang, bis 2018, wird Wenger den Verein als Manager und Cheftrainer führen, dabei drei Meisterschaften und 15 englische Pokalsiege sammeln. Als einziger, zudem erster ausländischer Trainer wird er auf eine Stufe mit dem singulären Rivalen und autokratischen Raubein Alex Ferguson von Manchester United gelangen. Mit Arsenal ist er zwischen August 2003 und Oktober 2004 in 49 Ligaspielen ungeschlagen, im Gegensatz zu Fer- guson aber scheitert er mehrfach knapp an einem europäischen Titelgewinn – auch Unbesiegbare können unvollendet bleiben.
Als Wenger 1987 bei Monaco begann, war das Ver- hältnis zwischen dem Trainer und den meist aus der Region stammenden Spielern ganz unmittelbar und direkt: „keine Anwälte, Agenten und Berater“. Als er Mitte Februar 2005 den FC Arsenal aufs Feld schickte, befand sich kein Engländer mehr in der Startelf. Hatte er einst einen Nachwuchsspieler auf einem Autobahnparkplatz in Südfrankreich getestet und auf der Stelle verpflichtet, wird er am Ende seiner Laufbahn bei Arsenal genau 450 Transfers mit unzähligen Beratern, Agenten und Anwälten in Büros, Hotellobbys und bei Reisen in nahezu alle Weltwinkel ausgehandelt haben. Hatte er selbst das Fußballspielen ohne Trainer auf den Wiesen von Duttlenheim gelernt, wird er später einer der Ersten sein, der um den Chef-Coach herum ein ganzes Team installiert, einen Psychologen engagiert, das „unsichtbare Training“ installiert, also auf „die Ernährung, Massagen, die mentale Vorbereitung, Schlaf, Lebensqualität, das Umfeld“ achtet. Aus dem Enthusiasten der Graswurzel wird ein Verfechter wissenschaftlicher Methoden und Computeranalysen. Das Stichwort dafür lautet: „technische Empathie“, die Formel dafür: der Trainer als Ingenieur.
Genau dies ist so faszinierend an Wengers Autobiographie: Dass er an seinem Werdegang aufzeigt und veranschaulicht, wie unaufhaltsam sich Globalisierung und Kommerzialisierung des Fußballs entfaltet und entwickelt haben. Er selbst ist dabei Subjekt wie Objekt des Geschehens gewe- sen, getriebene wie treibende Kraft. Dabei ist das Ur-Motiv immer gleichgeblieben: als einfühlsamer, ja romantischer Pädagoge jeden einzelnen Spieler bestmöglich auszubilden und voranzubringen. Für Fachleute wie Laien gleichermaßen spannend ist der fünf Punkte umfassende Leitfaden zu Trai- nings-Methodik und Spielermotivation, den er ans Ende des Monaco-Kapitels stellt. Hinreißend ist die Liste internationaler Talente, die unter Wengers Anleitung zu Weltklassespielern, zumindest zu Stützen des jeweiligen Teams reiften. Sie reicht von George Weah und Lilian Thuram über Thierry Henry, Nicolas Anelka, Dennis Bergkamp, Patrick Vieira, Kieran Gibbs bis zu Per Mertesacker, Mesut Özil und Serge Gnabry. „Schönheit, Anmut und Eleganz“ waren und sind Wengers Ideale, er hat die Kunst des kurzen Passes dem kampfbetonten, auf Robustheit setzenden Spiel allemal vorgezogen. Dem FC Arsenal mag in seiner Ära bisweilen die letzte Durchschlagskraft gefehlt haben, in ihren besten Momenten aber kamen seine Mannschaften der Utopie ihres Trainers sehr nahe: zusammen mit den Zuschauern im Stadion „ein kollektives Kunstwerk“ zu inszenieren und lustvoll aufzuführen.
                                     




























































































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