Page 86 - Spielfeld_Juli_2020
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Bleibt die große Linie, die Michael Cox nie aus dem Auge verliert. Dass er sein „Umschaltspiel“ 1992 beginnen lässt, begründet er mit der damals geänderten Rückpassregel zum Torwart, die das Spiel entscheidend modernisierte. Dass seine These von der zeitweiligen Vorherrschaft nationaler Spielstile keineswegs eine Marotte ist, sondern auf festen Taktikfüßen und den entsprechenden
Zidane, in erster Linie als Nationalspieler sowie im Traineramt als genialer „Kabinenmoderator“ bei Real Madrid. Für Portugal figurieren Cristiano Ronaldo als Spieler und ausschließlich der junge, offensiv denkende José Mourinho als Trainer.
Über allen anderen aber schweben zwei Megagestal- ten, die Europas jüngste Fußballära singulär geprägt
Schon verrückt: Während sich Großbritannien politisch aus Europa verabschiedet, damit re-nationalisiert, ist sein Profifußball kosmopolitisch wie nie zuvor.
Resultaten, also Titeltriumphen, steht, belegt er evident. Durchaus mit der Traumdeutung des Pro- pheten Daniel hat es zu tun, dass Cox in Englands Premier League endet: In ihr sieht er zwar nicht gleich das ewige Reich des Fußballgottes, aber angesichts der globalen Zusammensetzung der Kader und der Internationalität der Klubmanager die finale Überwindung nationaler Stereotypen zugunsten eines wirklichen Weltspiels. Schon verrückt: Während sich Großbritannien politisch aus Europa verabschiedet, damit re-nationalisiert, ist sein Profifußball kosmopolitisch wie nie zuvor.
Natürlich hat das Buch auch Helden. Im Kapitel über Deutschland sind es Ralf Rangnick, dem Cox die Viererkette zuschreibt, Jürgen Klopp, dem er des Gegenpressings wegen gleichfalls „revolutionären Rang“ bescheinigt, sowie als Spieler „der außer- ordentlich begabte Mesut Özil“. Für Italien ist es Arrigo Sacchi, den er als eigentlichen Überwinder des Catenaccios rühmt, für Frankreich Zinédine
haben. Um mit dem jüngeren, dem Musterschüler zu beginnen: Pep Guardiola, der bei Barcelona, Bayern München und Manchester City den aggressiv mitspielenden Torwart, die hoch stehende Abwehr, das emphatische Mittelfeld, ein integriertes Pressing sowie den Verzicht auf den herkömmlichen Mittel- stürmer propagierte und nach wie vor praktiziert, zudem das Glück besaß, bei Barça mit Xavi, Iniesta und Lionel Messi wahrhaft galaktische Könner für das Umsetzen der eigenen Ideen ausbilden zu können.
Nicht nur Guardiolas Lehrer, sondern auch der Lehr- meister für ganz Europa war Johan Cruyff, dessen Konzept von „Voetbal totaal“ – ein im Holländischen sehr adäquater, für deutsche Ohren aber notwendig problematischer Begriff – in umfassender Weise sämtliche Ligen und Nationalteams beeinflusste. Kein anderer taucht im „Umschaltspiel“ des Michael Cox öfter auf, kein anderer erhält den Ehrentitel des „großen Inspirators“. Womit wir eben auch (fast) biblisch enden müssen.
 Fortan nannte die Fußballwelt ihn den „Professor“: Trainer Ralf Rangnick erklärte 1998 im Aktuellen Sportstudio an der Taktiktafel die Viererkette und das Pressing. Auch bei den folgenden Besuchen im ZDF-Sportstudio (hier 2004 mit Moderator Michael Steinbrecher) war es bereits ein Stück TV-Geschichte – und die Magnettafel ein unverzichtbares Accessoire.
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