Page 76 - Spielfeld_Juli_2020
P. 76

76
 Er schlug ein wie eine Bombe: Nackttänzerin Micheline Bernardini präsentierte am 5. Juli 1946 in Paris den ersten sogenannten Bikini. Zwei knappe Stücke Stoff, ein Skandal. Der französische Ingenieur Louis Réard hatte ihn entworfen
und benannt – wenige Tage vorher hatten die USA im pazifischen Bikini-Atoll die Atombombe getestet. Sein Marketingschachzug löste einen modischen Urknall aus, der bis heute nachtönt: Exakt 74 Jahre später eröffnete nun in Bad Rappenau mit dem BikiniARTmuseum das weltweit erste seiner Art.
„Wir verfügen über die wertvollste Bademodensammlung der Welt mit Stücken von 1870 bis heute“, sagt Direktor Reinhold Weinmann. Genau genommen gehe es aber um viel mehr als Mode: „Wir inszenieren hier die Befreiung der Frau.“ Das älteste Modell zeigt, wie Damen vor 150 Jahren baden gingen. Fast der gesamte Körper war mit Stoff bedeckt. „Wer so ins Wasser ging, war ganz schnell in Lebensgefahr, drohte zu ertrinken.“ Ein weiterer hölzerner Auswuchs der damaligen Prüderie: Badekar- ren, die Strandgäste mit Hilfe von Pferden ins Wasser transportierten, so dass sie ungesehen und sittlich abtauchen konnten.
Es waren Sportlerinnen, die sich und nachfolgende Generationen von den stofflichen Zwängen freischwammen. „Um schneller zu sein, ließen einige Schwimmerinnen ab etwa 1900 die vorgeschriebene Stoff-Fülle weg“, weiß Weinmann. Viele kamen damals vom Siegertreppchen direkt ins Gefängnis. „Wir erzählen die Geschichten dieser mutigen Protagonistinnen.“ Die australische Wettkampfschwimmerin Annette Kel- lerman etwa wagte sich 1908 mit einem enganliegenden Einteiler mit Bein an den Strand und wurde verhaftet. Das englische Frauen-Schwimmteam sorgte mit seinen Anzügen aus Seide bei den Olympischen Spielen 1912 für einen Skandal, ein Verbot folgte. „Weltrekordlerin Ethelda Bleibtrey wurde 1919 wegen Entblößung ihrer Füße und Knöchel beim Schwimmen verhaftet. Weil sie ihre Strümpfe ausgezogen hatte! Das muss man sich heute einmal vorstellen. Wie absurd“, sagt Weinmann. Die Hart- näckigkeit der Sportlerinnen wirkte, die Bademode wurde mit den Jahren praktischer und freizügiger.
   REGION





























































































   74   75   76   77   78