Page 86 - Spielfeld_Juni_2020
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Das Stadion, leer und voll
Anmerkungen zu einem brandaktuellen Buch des Philologen und Fußball-Enthusiasten Hans Ulrich Gumbrecht
Von Jochen Hieber
  Drei lange Monate waren wir jetzt nicht mehr im Das neue Sportbuch ist Fortsetzung und Erweiterung zu-
Stadion. Auf unbestimmte Zeit und zu Recht wird
es derzeit noch den allermeisten von uns auch weiterhin verschlossen bleiben müssen. Weshalb uns ein schmales Buch gerade recht kommt, um dem Verlangen nach gemeinsamen Fußball-Erlebnissen immerhin lesend zu frönen. Hans Ulrich Gumbrecht, der Verfasser des aktu- ellen Bändchens, ist genau dreißig Jahre vor Dirk Nowitzki in Würzburg geboren und lehrt, inzwischen amerikanischer Staatsbürger, nun ebenfalls schon drei Jahrzehnte lang romanische Literatur im kalifornischen Stanford. Selber Sport treibt er eher selten, dafür hat er 2005 in der Studie „Lob des Sports“ fast alles über die körperlichen wie seelischen Zustände des leidenschaftlichen Zuschauers herausgefunden und erzählt.
gleich. Es heißt „Crowds“, wobei der englische Titel nicht snobistisch wirkt. Er vermeidet vielmehr den negativen Beiklang, der im deutschen Wort „Menschenmassen“ zwangsläufig mitschwingt. „Einige der besten Momente meines Lebens“, bekennt Gumbrecht, „habe ich als Teil von Massen verbracht“. Der Untertitel des Essays („Das Stadion als Ritual von Intensität“) kommt zwar etwas akademisch daher, zielt aber schlicht auf die Freude, mit vielen, vielen anderen in einer vollbesetzten Arena zu sein. Dazu liefert der Autor ein paar berückende Anekdoten. So war er im Juli 2000 in Sydney beim Tri-Nations-Match zwischen Australien und Neuseeland, das seither als bestes Rugbyspiel der Geschichte in den Annalen steht. Der knappen Niederlage der Gastgeber zum Trotz wurden am Ende sämtliche
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