Page 31 - Spielfeld_Juni_2020
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SPIELFELD TSG HOFFENHEIM 31
 präsentiert von
Die Bundesligaspiele ohne Zuschauer in den Stadien zu bestreiten, bedeutet für die Spieler eine ungewohnte Aufgabenstellung. In den Medien und in Reaktionen von Fans ist übereinstimmend beklagt worden, dass den Bundesliga-Partien unter Ausschluss des Publikums jene Atmosphäre fehlt, die allgemein als „Stimmung“ bezeichnet wird. Sportpsychologe Prof. Dr. Jan Mayer beschreibt im folgenden Beitrag, wo die speziellen Herausforderungen der Spiele ohne Publikum für die Profis der TSG Hoffenheim liegen.
Niemand scheint glücklich mit der Lösung, dass sich nach den Vorschriften der Deutschen Fuß- ball Liga nur noch 300 Personen in und um das
jeweilige Stadion befinden dürfen, wenn die Bundesligas- piele angepfiffen werden. Das Befremdliche an der neuen Situation, die durch die Corona-Pandemie erzwungen wurde, steckt ja auch im Begriff „Geisterspiel“. Das Wort vermittelt im Kern schon etwas Negati-
ves und wird in diesem Text nur einmal, an dieser Stelle, verwendet. Denn es handelt sich um offizielle Punkt- spiele der Bundesliga, die auch weiterhin von einer großen Zahl
von Zuschauern am Fernsehen verfolgt werden.
Die Spiele ohne Stadionzu-
schauer haben den Bundesliga-
Profis – unabhängig von den
Ergebnissen – die Chance gebo-
ten, sich auf den Kern des Spiels
zu konzentrieren. Das Fehlen der
Zuschauer kann unterschiedliche
Auswirkungen haben. Bei der TSG Hof-
fenheim haben wir schon vor einigen Jahren wissenschaftliche Untersuchungen vorgenommen
und festgestellt, wie die Spieler auf Lärm reagieren. Diese Ergebnisse lassen sich auch auf die An- bzw. Abwesenheit von Zuschauern im Stadion transferieren. Im Footbonaut, unserem Hightech-Trainingsgerät in Zuzenhausen, haben wir eine umfangreiche Testsession mit maximal erträglicher Dezibelbelastung organisiert.
Das Ergebnis lautete: Der Lärm hat eine erhöhte Aktivie- rung bei ausnahmslos allen Spielern ausgelöst. Aber nur ein Drittel von ihnen reagierte mit einer Leistungsver- besserung, bei einem Drittel gab es keine Veränderung, ein Drittel verschlechterte sich mit seinen Leistungen. Die Spieler dieser Gruppe performten besser, wenn es in der Footbonaut-Halle leiser war bzw. normale Lautstärke herrschte. Es ist ja bekannt, dass Lärm Stress auslösen kann. Allerdings wirkt sich dieser in anderen Situationen auch nicht auf alle Menschen leistungsmindernd aus.
Ein zweiter Punkt, dass sich die Abwesenheit der Zuschauer bei den Spielern sogar positiv auswirken könnte: Fans können extrem reagieren und auch belastend sein. Vor allem, wenn sich die Fans gegen einen Spieler der eigenen Mannschaft richten, wird der Zuschauer prinzipiell als Stressor erlebt. Manche Spieler lassen sich in ihren Leistungen auch beeinträchtigen, wenn die Pfiffe, verächtliche Ausrufe oder sogar Gelächter
nach Fehlern von den gegnerischen Fans kommen, was auch sehr verständlich ist. Diese eventuell auftretende negative Beeinflussung bleibt bei Spielen ohne Zuschauer aus. Das mag besonders jungen, unerfahrenen
Spielern helfen, gut zu performen.
Alle Spieler wissen zudem, dass das Spiel ihrer Mannschaft im Fernsehen übertragen wird und dort mehr Zuschauer findet als in der PreZero Arena „live“ dabei sein
können, selbst wenn die Begegnung lediglich im Abonnement-TV zu sehen ist. Das Wissen hierzu sollte ausrei- chen, um eine Aktivierung zu erhöhen. Es ist eben nicht so, dass ohne Zuschauer
gespielt wird.
Wichtig war natürlich die Einstimmung der Spieler auf die besondere Situation. Kein TSG-Profi ist bei den ersten zu- schauerlosen Heimspielen gegen Hertha BSC und den 1. FC Köln überrascht gewesen und musste sich plötzlich damit beschäftigen, dass das Sinsheimer Stadion leer war. Indem mit Absicht zuvor mehrfach für eine Gewöhnung in der leeren Arena trainiert wurde, war die Situation bereits vorwegge- nommen worden und jeder konnte sich maximal darauf konzentrieren, die von ihm geforderte Aufgabe zu lösen. Die Trainingsspiele Elf gegen Elf im leeren Stadion dienten dem Effekt des Primings. Das Ziel war es, das mentale System der Spieler auf eine maximale Leistung ohne Zuschauer zu primen (vorzubereiten). Der bekannte Ort, wo normalerweise Fußball vor vielen Leuten gespielt wurde, erhielt so eine neue Grun- dierung. Wichtig war es dabei, dass die internen Trainings- spiele möglichst mit zwei kompletten Teams gespielt und das Spielfeld nicht für Kleingruppen-Übungen genutzt wurde.
   Prof. Dr. Jan Mayer ist seit
zwölf Jahren bei der TSG Hoffenheim als Sportpsychologe beschäftigt. Der 48 Jahre alte Heidelberger arbeitete auch mit mehreren Nationalmannschaften, darunter Skispringer, Sportschützen, Boxer und DFB-Auswahlteams zusammen. Seine Erkenntnisse aus dem Spitzensport transferiert er in seinen Büchern in Strategien für jedermann.








































































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