Page 84 - Spielfeld_Januar_2020
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In den Nachwuchsleistungszentren werde vieles ver- nachlässigt, zu schablonenhaft gedacht. Die kognitiven Fähigkeiten müssten herausgestellt, die Spieler zu Persönlichkeiten ausgebildet werden. „Es gibt keine Effenbergs oder Breitners mehr“, kritisiert er. In sportlicher Hinsicht werde zu viel „gegen den Ball trainiert“. Wichtig sei auch, was die Spieler mit dem Ball tun: Eins gegen Eins, das Spiel lesen, Lösungen finden, Kreativität.
Die Jugendarbeit der TSG hält er für „herausragend“ – von der Aufnahme und psychologischen Betreuung über Ausbildung, Leistungsdiagnostik, Trainingssteuerung und Fahrdiensten bis hin zu sozialen Komponenten. „Die TSG betreibt die beste Jugendarbeit in Deutsch- land.“ Krautzun selbst liegt diese Arbeit sehr am Herzen. Mit der chinesischen U20-Nationalmannschaft etwa erreichte er bei der Junioren-WM 2005 in den Niederlanden das Achtelfinale. „Anfangs schalteten 20 Millionen Menschen in China den Fernseher ein, später standen fast 180 Millionen nachts auf, um zu gucken. Ich werde dort heute noch von Fans, Hotel- angestellten oder Taxifahrern darauf angesprochen.“
Krautzun liebt besonders den englischen Fußball. Vor mehr als 40 Jahren lernte er auf einem Trainer- seminar Alex Ferguson kennen. Daraus entstand eine enge, lebenslange Freundschaft, zeitweise scoutete er sogar für den Schotten. „Er hat mich zu seiner Familie eingeladen, zu Haggis und Black Pudding.“ Krautzun lacht. „Da ist der Pfälzer Saumagen nichts dagegen.“ Auch zu den Trainerfreunden David Wagner und Jürgen Klopp hat er regelmäßig Kontakt. Kloppo spielte beim 1. FSV Mainz 05 unter Krautzun, ehe er 2001 dessen Trainerposten übernahm. Weitere prominente Nachfolger, die jeweils eine Vereinsära prägten: Otto Rehhagel in Kaiserslautern und Volker Finke in Freiburg. „Die haben schon alle von meiner Vorarbeit profitiert.“ Ärgern würde ihn das nicht, im Gegenteil: „Ich bin stolz drauf!“
ECKHARD KRAUTZUN IM WANDEL DER ZEIT
TSV 1860 München VfL Wolfsburg
(09.06.1979) (10.12.1994)
Nach seinem größten Erfolg gefragt, muss der Kosmopolit nicht nachdenken: Nicht der Bundesliga- Aufstieg mit 1860 München im Jahr 1979, nicht der DFB-Pokal-Sieg mit dem 1. FC Kaiserslautern anno 1996 und auch nicht die Qualifikation mit Tunesien für die WM 2002 – sein Trainerjob bei der philippini- schen Nationalmannschaft Anfang der 90er war es. Krautzun hatte zwei Monate Vorbereitungszeit für die Südostasien-Spiele. „Die Spieler kamen barfuß und in Sandalen zum Training.“ Bis ins Halbfinale schaffte es das Team und verbesserte sich auf der Fifa-Rangliste um fast 100 Plätze. In den 70er-Jahren formte er aus Spielern zweier verfeindeter Stämme eine erfolgreiche kenianische Nationalmannschaft, wurde Ostafrika-Meister. Der East African Standard, damals eine der auflagenstärksten Zeitungen Kenias, titelte: „All Power to the German Coach.“
Schon als Kind faszinierten Krautzun andere Länder und Kulturen. „Ich war immer neugierig und auf der Suche nach Abenteuern.“ Ohne den Fußball wäre er wohl Forscher oder Pilot geworden, meint er. Vielleicht Diplomat. In gewisser Weise wurde er das tatsächlich: „Diplomatisch auftreten, Feingefühl, Einfühlungsver- mögen, Toleranz und Anpassungsfähigkeit – das sind die wichtigsten Dinge im Ausland.“
Krautzun sammelte in seiner Karriere Geschichten für drei Trainerleben: Er hatte eine Audienz im Palast des äthiopischen Kaisers Haile Selassie, feierte 1970 mit Pelé den WM-Titel der Brasilianer mit einer Polonaise durch das Mannschaftshotel, trainierte Spielerlegen- den wie Gerd Müller oder Diego Maradona. Seit gut 15 Jahren arbeitet Krautzun nicht mehr als Trainer. Er hält weltweit Vorträge, ist an Fußballschulen tätig, bildet Trainer aus und sich selbst weiter: „Du musst ein ewiger Student des Fußballs bleiben.“ So gut wie jedes Wochenende ist er in den Stadien: Frankfurt, Mainz, Sinsheim, Darmstadt, Sandhausen – oder irgendwo anders auf der Welt.
1. FC Kaiserslautern St.Pauli
(13.04.1996) (12.07.1997)
    REGION
„Die TSG betreibt die beste Jugendarbeit in Deutschland.“





















































































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