Page 84 - Spielfeld_Dezember_2019
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 Schachingers Romanheld Ivo ist Stürmerstar beim FC Everton in der Premier League. Abends liest er seiner Tochter Lena Geschichten vor – etwa die von Ikarus, der zu nah an der Sonne fliegt und abstürzt. Ivo wird klar, dass auch seine Angst vor dem Absturz groß ist.
Ivo heißt mit vollem Namen Ivica Trifunović und ist die Hauptfigur des Romans. Man kann den Autor gar nicht genug für die Beobachtungsgabe rühmen, mit der er seinen Helden detailgenau porträtiert. Eher Nachteiliges bleibt nicht ausgespart: bescheidene Bildung, fehlende Manieren, Unbeherrschtheit auf wie neben dem Platz. Zugleich ist Schachingers Psycho- wie Soziogramm eines heutigen Fußballstars voller Empathie, auch voll kluger Bewunderung für ein spielerisches Vermögen, von dem wir Normalos nur träumen. Sensible, auch sehr witzige Szenen finden sich für Ivos Einsamkeits-, Versagens- und Abstiegsängste. Einmal liest er der kleinen Tochter die Geschichte vom Absturz des Ikarus vor und merkt instinktiv, dass es auch seine eigene sein könnte. Einmal sucht er nach dem Vorwurf der zwischenzeitlichen Geliebten, er sei „ein verdammter Narziss“, den Teampsychologen auf, um zu erfahren, um wen es sich bei diesem Typen eigentlich handele. Klug ist auch, wie der Autor mit der Realität spielt. Von Ronaldo bis Messi, von Timo Werner bis Jérôme Boateng kreuzt Ivo mit einer Fülle aktueller Akteure den Weg, der eigene Werdegang erinnert an jenen des österreichischen Offensivstars Marko Arnautović. Aber so konsequent das Buch jedes gängige Fußball-Klischee meidet, so selbstverständlich widersteht es auch der Versuchung zum Schlüsselroman. „Nicht wie ihr“ ist Literatur aus ganz eigenem Recht.
Die Haupthandlung spielt im Jahr 2017, wir sind in der Premier League. Ivo, Straßenfußballer aus Wien, ist mit umgerechnet 100.000 Euro pro Woche („das Sponsoring nicht mitgerechnet“) der bestdotierte Stürmer des FC Everton. Hinzu kommen Ausflüge zur
österreichischen Nationalmannschaft und Auftritte von Klubbesitzern, Verbandsfunktionären, Trainern, Vereinsärzten, Spielerberatern, Sportjournalisten – kurzum: Das Arsenal des Profifußballs passiert Revue. Fabelhaft, wie Schachinger Ivos Schweizer Ehefrau Jenny und die Mitglieder der bosnisch-ser- bischen Großfamilie Trifunović schildert. Originell sind Sprache und Stil – im Ganzen ein ruhiger Realismus, plötzlich aber heftige Zitatkaskaden im Rhythmus des Rap, im Ganzen ein deutscher Umgangston, gelegentlich aber englische Satz- passagen und nicht selten Austriazismen, also Wiener Dialektwörter wie „leiwand“ (toll), „schiach“ (hässlich), „Hakerl“ (Häkchen) oder „Tschusch“ (abwertend: Fremder).
In der Summe ist „Nicht wie ihr“ wie ein großar- tiger Spielzug: einfallsreich in Szene gesetzt, mit Intuition durchgeführt, raffiniert abgeschlossen. Also ist er ein Glücksfall für beide – für den Fußball und die Literatur.
„Nicht wie ihr“ Tonio Schachinger Verlag Kremayr
& Scheriau
302 Seiten, gebunden
ISBN 978-3218011532 Preis: 22,90 Euro
 „Das Wichtigste an ihm ist der Star.“
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