Page 72 - Spielfeld_November_2019
P. 72

 72
 Ein Sieg im Halbfinale gegen Italien und sie hätten das Ticket gelöst. „Wir haben die ersten zwei Sätze verpennt, zu wenig an uns geglaubt. Mich hat das im Nachhinein wahnsinnig gefuchst“, sagt die 34-Jährige. Eine Chance bleibt noch: Im Februar kämpfen sie, wie auch die Herren, bei einem interkontinentalen Turnier in Kanada um das letzte Tokio-Ticket. „Das wird ein richtiger Fight, darauf liegt jetzt der Fokus unserer Trainingseinheiten. Wir müssen abgebrühter werden, das Ding in der Crunchtime, dann wenn es zählt, zumachen.“ Die größten Konkurrenten sind die Teams aus der Ukraine, Kanada und Slowenien.
In Slowenien startet auch das nächste Trainingslager der Nationalmannschaft, das bislang letzte war im Oktober in Bologna. Hermann geht weite Wege für ihren Sport. Für die monatlichen Trainingseinheiten in Deutschland fährt sie nach Magdeburg, Berlin oder Potsdam. Zweimal
die Woche trainiert sie in Hoffenheim und dazu stehen noch bis zu drei Einheiten individuel- les Kraft- und Ausdauertraining auf dem Plan. Auch die meisten Wochenenden nimmt der Sitzvolleyball ein, oftmals
muss sie schon donnerstags abreisen. „Mein Arbeitgeber unterstützt mich da total und stellt mich, wenn nötig, auch frei.“
Hermann ist ergotherapeutische Fach-
lehrerin an der Stephen-Hawking-Schule in Neckargemünd, eine staatlich anerkannte Privatschule für körperbehinderte und nicht behinderte Kinder und Jugendliche. Sie arbeitet in der Orientierungsstufe, den Klassenstufen fünf und sechs, unterstützt und fördert Schüler individuell beim Lernen, in der Kommunikation und der Mobilität. Beispielsweise hilft sie Schülern mit Behinderungen dabei, am Hauswirtschafts- oder Werk- unterricht teilzunehmen oder unterstützt sie außerhalb der Klassenräume im Umgang mit dem Rollstuhl, einem Rollator und öffentlichen Verkehrsmitteln.
Inklusion spielt nicht nur in ihrer Schule eine große Rolle. „Auf dem Spielfeld ist es völlig egal, ob du ein Handicap hast oder nicht. Sitzvolleyball baut Barrieren ab. Das ist so wertvoll.“ Zum Training kommen Spieler aus Kai- serslautern oder dem Raum Stuttgart nach Hoffenheim, weil der Verein der einzige weit und breit ist. Das würde Hermann gerne ändern. „Ich wünsche mir, dass dieser Sport in Deutschland bekannter wird.“ Für sie persönlich ist er mittlerweile viel mehr als ein Zeitvertreib. „Der
Sport war für mich eine Art Rehabilitation. Ich war schon immer ein Bewegungsmensch, umso mehr hat mir das in der Zeit meiner Erkrankung gefehlt.“
An Sport war 2001 nicht zu denken. Es ging ums Überleben. Hermann und ihre Eltern waren bei etlichen Ärzten, holten weltweit Rat ein. Doch letztlich lief es auf eine Entschei- dung hinaus: Entweder würde sie ihr linkes Bein verlieren oder mit hoher Wahrscheinlichkeit ihr Leben. „Das war ein krasser Gedanke. Aber es gab keine Alternative“, sagt sie. „Am Morgen vor der OP war ich ...“, Hermann hält kurz inne. „Das ist schwer zu erklären, aber es war klar, dass es ohne diese Operation zu Ende gehen würde. Mir ging es mit dem Bein nicht gut. Ich wollte es eigentlich nicht mehr haben.“ Sie saß teilweise im Rollstuhl, trug eine bandagierte Schiene, nahm kaum noch am Leben von
Gleichaltrigen teil. „Die Amputation war die beste Entscheidung“, sagt sie. Klar, manchmal wolle sie ihre Prothese in die Ecke kicken, aber sie habe diesen Entschluss getroffen und
ihn bis heute nicht bereut.
Noch in der Reha fasste sie den Ent-
schluss, Ergotherapeutin zu werden. Sie hatte ein Ziel: Zum Ausbildungsbe- ginn wollte sie ohne Krücken mit ihrer Prothese laufen. „Das war ein riesiger Ansporn für mich.“ Sie schaffte es. Langsam begann sie, wieder Sport zu treiben, kletterte, schwamm und spielte Tischtennis, bis sie nach einigen Jahren durch den Amputierten-Fußballer Christian Heintz zum Sitzvolleyball kam. Vor fünf Jahren zog die gebürtige Marbacherin nach Sinsheim, um die weiten Wege wenigstens teilweise etwas kürzer zu halten. 2018 landete sie bei der Wahl zur Sportlerin des Jahres in Sinsheim bereits auf dem zweiten Platz. „Damit hätte ich nie gerechnet, aber natürlich ist es schön, wenn man Vorbild sein kann.“ Diese Bestätigung bekommt sie auch immer wieder direkt von ihren Schülern. „Es gibt mir unheimlich viel, wenn sie zu mir kommen und sagen: ‚Frau Hermann, wenn Sie das schaffen, dann
probiere ich es auch.‘“
„Ich liebe es, über Grenzen zu gehen“, sagt Salome Hermann nach dem Training. Es gebe im Leben immer die Wahl: „Entweder du machst das Beste draus, oder du bleibst auf dem Sofa und ziehst dich zurück.“ Ihre Einstellung steht fest: „Herausforderungen sind dazu da, dass du sie überwindest.“
 REGION


















































































   70   71   72   73   74