Page 80 - Spielfeld_Oktober_2019
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 EXPERTEN-TIPP
  Spannung und Entspannung
Prof. Jan Mayer ist seit elf Jahren bei der
TSG Hoffenheim als Sportpsychologe beschäftigt. Der 47 Jahre alte Heidelberger arbeitete auch mit mehreren Nationalmannschaften, darunter Skispringer, Sportschützen, Boxer und DFB-Auswahlteams. Seine Erkenntnisse aus dem Spitzensport transferiert er in seinen Büchern in Strategien für jedermann. Im zweiten Teil der SPIELFELD-Serie gibt Jan Mayer weitere Ratschläge, wie Stresssituationen im Job oder im Alltag besser bewältigt werden können.
 Ein zentrales Trainingselement der Sportpsychologie ist die Fertigkeit, Spannungs- und Entspannungszustände so zu regulieren, dass sie zu den gestellten Anforderungen
passen. Es gibt immer wieder Sportler, die ihre guten Trainings- leistungen im Wettkampf nicht umsetzen können, weil sie dann das für sie beste Aktivierungsniveau nicht erreichen. Sie sind entweder zu entspannt oder sind zu angespannt. Das bedeutet, für jede Leistungsanforderung gibt es ein Zuviel aber auch ein Zuwenig an Aktivierung. Es kommt für jeden Sportler darauf an, das Niveau herauszufinden, auf dem man am besten performt. Optimal ist es, wenn Sportler ihr ideales Aktivierungsniveau durch systematische und zielgerichtete Entspannung oder Mobilisierung selbstständig herstellen können. Dabei geht es nicht darum, immer möglichst entspannt zu sein. Ein gewisses Maß an Anspannung und Stress ist leistungsfördernd. Stress wird häufig nur negativ dargestellt. Im allgemeinen Verständ- nis ist Stress der Grund, weswegen Menschen ihre Leistung nicht abrufen, sich auspowern und letztlich kann dauerhafter, chronischer Stress auch krank machen.
Stress gehört allerdings zu den Grundbedingungen mensch- licher Existenz und ist ein uraltes Programm unserer Gene. In Gefahrensituationen ist es dem Organismus möglich, sekundenschnell Energiereserven zu mobilisieren. Innerhalb kürzester Zeit ist der Mensch kampf- oder fluchtbereit. Wenn vor dem Wettkampf körperliche Stressreaktionen spürbar sind, ist das gut so und wünschenswert. Mit dieser Vorstartspan- nung wird der Körper mobilisiert, man ist leistungsfähig und bereit. Diese Mobilisierung sollte aber unmittelbar vor dem Wettkampf entstehen und nicht schon zwei Stunden vorher, denn das erhöhte Widerstandsniveau ist nur begrenzt aufrecht zu halten. Akuter Stress ist demnach sogar leistungsförder- lich, dauerhafter und chronischer Stress beeinträchtigt die Leistungsfähigkeit und macht krank.
Fußballspieler sollten darauf trainiert sein, durch den Ein- satz von systematischen Strategien den für sie optimalen Bereich von Ent- und Anspannung ansteuern zu können. Zu viel Anspannung kann schaden, weil die Spieler „überpow- ern“, sie zu aggressiv und nicht abgeklärt genug agieren. Zu wenig Anspannung ist ebenfalls leistungsmindernd. Wenn Spieler oder Trainer Sätze von sich geben wie „Wir waren nicht gallig genug“ oder „Wir haben die erste Hälfte verschlafen“ ist das ein Hinweis, dass zu wenig Spannung oder Mobilisierung vorhanden war.
Eine wichtige Strategie, um in Anforderungssituationen zu bestehen, besteht darin, durch ein cleveres Management von Pausen, genau dann das ideale Spannungsniveau zu erreichen, dass jetzt in der aktuellen Situation erforderlich und hilfreich erscheint. Dazu kann man auch Pausen im Wettkampf nutzen. Auch beim Fußball finden sich im Spiel systematische Pausen (z.B. beim Seitenwechsel oder im Sommer die Trinkpausen) die man nutzen kann, um klei- ne Erholungsphasen in den Wettkampf einzubauen. Man beobachtet etwa, wenn Spiele in die Verlängerung gehen oder durch Elfmeterschießen entschieden werden, dass die Trainer, Betreuer und auch erfahrene Spieler versuchen, beruhigend und entspannend auf die Gruppe einzuwirken.
Das Prinzip, im richtigen Moment möglichst optimal ent- spannt oder angespannt zu sein, betrifft auch Situationen außerhalb des Sports. Bei Prüfungen jeglicher Art ist es wichtig, das richtige Maß für sich zu finden, um die Situation meistern zu können. Mit welchen Verfahren und Methoden die Aktivierung reguliert werden kann, stellen wir in der nächsten SPIELFELD-Ausgabe vor.
VON JAN MAYER
Bildquelle: www.gettyimages.de, Jekaterina Nikitina
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