Page 36 - Spielfeld_Mai_2019
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drannehmen als andere Menschen, nur weil sie mich aus dem Fernsehen kennen, ärgert mich das extrem. Warum sollen andere Menschen länger warten als ich? Man darf den gegen- seitigen Respekt von Mensch zu Mensch nie vergessen. Ich hatte auch meine wilden Phasen, bin im Luxusauto und mit teurer Uhr in Stuttgart durch die City gefahren und habe den Star raushängen lassen. Das ist als junger Kerl auch mal in Ordnung, ich habe mir den Wagen ja auch durch viel Schweiß und harte Arbeit verdient. Aber man muss irgendwann auch wieder aufwachen und sehen, was wirklich wichtig ist. Und dazu gehören ganz besonders Charakterstärke, Respekt und Werte. Ich halte anderen Menschen die Tür auf, sage Bitte und Danke und gebe Leuten zur Begrü-
keinen Einfluss auf das eigene Leben. Sich das bewusst zu machen, befreit unglaublich. Wenn man immer nur den Zielen hinterherhetzt und nie etwas genießt, macht einen das irgendwann kaputt.“
Zur inneren Ruhe trägt auch die Erkenntnis bei, sich in der Rhein-Neckar-Region zu Hause zu fühlen. Schon beim Wechsel aus Braunschweig zur TSG hatte er „das Gefühl, nach Hause zu kommen“. Heimisch fühlt er sich mittlerweile auch bei der TSG: „Ich bin in der Region um Heilbronn aufgewachsen, habe lange beim VfB Stuttgart gespielt und fühle mich im Süden einfach wohl. Es ist keine Floskel, die Beziehung zur
ßung die Hand. Das ist doch das Mindeste.“
„Wenn man immer nur den Zielen hinterherhetzt und nie etwas genießt, macht einen das irgendwann kaputt.“
TSG ist eine ganz besondere. Ich habe mit dem Klub Tiefen und vor allem viele Höhen erlebt, bin hier WM-Teilnehmer geworden und habe der TSG viel zu verdanken. Ich habe die prägendste und erfolgreichste Zeit meiner Karriere und meines Lebens hier verbracht.“
Zur mentalen Stärke gehört auch
die Erkenntnis, nicht alles auf
einmal und mehr als alle anderen
erreichen zu müssen. „Viele machen
den Fehler, sich ein Ziel zu setzen und dann auf dem Weg dahin alles auszublenden und krampfhaft versuchen, es zu erreichen. Dabei vergessen sie, dass auch der Weg lohnens- wert ist und schöne Dinge bereithalten kann. Ich sehe das Leben und die Karriere mittlerweile eher wie die Tour de France. Wenn man am Ende glücklich und erfolgreich sein will, muss man nicht jede Etappe gewinnen, sondern auch mal durchatmen. Vor allem muss man auch mal innehalten und wertschätzen, was man schon erreicht hat. Man darf auch mal stolz auf sich sein – selbst wenn der Nachbar oder Teamkollege bereits mehr erreicht hat. Im Endeffekt haben Erfolge und Besitztümer anderer Menschen doch gar
Kein Wunder also, dass für Bičakčić, dessen Vertrag noch bis 2020 läuft, eine weitere Zusammenarbeit durchaus möglich ist. Dann müsste der inzwischen nur noch selten benutzte Spitzname „Eisen-Ermin“ umgewidmet werden in „Ewiger Ermin“. „Die Gespräche haben begonnen. Ich bin zwar auch immer für neue Dinge offen, muss aber auch ganz klar sagen, dass ich es mir sehr gut vorstellen kann, meine Karriere bei der TSG zu beenden.“ Spätestens am Ende seiner Lauf bahn aber sollte Ermin Bičakčić der TSG ein Andenken zurücklassen. Ein paar Schienbeinschoner vom Vorzeigekämpfer könnten eine Bereicherung für die Vitrine auf der Geschäftsstelle sein.
   Momente einer emotionalen Beziehung: Ermin Bicakcic kam 2014 zur TSG Hoffenheim (l.), qualifizierte sich in der vergangenen Saison nach dem 3:1-Sieg gegen Borussia Dortmund für die Champions League und feierte in dieser Spielzeit sein Debüt in der Königsklasse gegen Olympique Lyon (r.).
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