Page 16 - Spielfeld_Mai_2019
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Aber nicht im Streit.
„Natürlich war er enttäuscht. Aber er hat akzeptiert, dass ich eine Vertragsklausel hatte, von der ich Gebrauch gemacht habe. Aber selbstverständlich hat man ein schlechtes Gewis- sen, wenn man durch eine Person so lange gefördert wurde, dieser zu sagen, dass man gehen wird. Das war nicht einfach für mich. Aber ich wollte den nächsten Schritt machen und das hat er auch verstanden. Ich glaube, er hatte gedacht, dass ich zu einem anderen Verein wechsele, weil er Leipzig eher auf Augenhöhe mit der TSG sieht als zum Beispiel Bayern oder Dortmund. Aber es geht ja auch um das Bemühen der Klubs. Ich hatte immer wieder verschiedene Angebote, aber es ist ein Unterschied zwischen einer Nachricht und drei Treffen. Leipzig hat einiges investiert, um mich zu bekommen. Das hat Dietmar auch verstanden und er ist mir nicht böse. Er weiß: Ich bin ihm sehr dankbar und habe immer die Verpf lichtung gespürt, ihm etwas zurückzugeben. Ich glaube, das ist mir auch gelungen.“
Ist Dankbarkeit denn überhaupt eine relevante Größe im Geschäft Fußball?
„Ja. Mir ist zum Beispiel die Beziehung zu meinen Spielern extrem wichtig. Ich weiß, dass sich die Spieler seit dreieinhalb Jahren für mich zerreißen. Sie haben einen großen Anteil daran, dass ich bereits eine sehr gute Karriere habe und viel- leicht sogar noch eine große Laufbahn vor mir. Als wir das Champions-League-Spiel bei Manchester City hatten, war das ja auch ein Grund, warum Nadiem Amiri, Dennis Geiger und Benni Hübner plötzlich dabei waren. Da geht es darum, sie zu belohnen, ihnen Danke zu sagen. Man weiß nie, wie oft sie noch die Gelegenheit dazu bekommen. Es war mir wichtig, dass sie die Chance bekommen, die Hymne zu hören, diese besondere Luft zu schnuppern – und vielleicht auch die Lust zu wecken, dafür zu kämpfen, es noch einmal zu erleben.“
Du darfst Dich mit Blick auf die letzten Spiele, etwa von Nadiem Amiri, bestätigt sehen. Er nannte Dich jüngst seinen „fußballerischen Papa“.
„Ich habe zu Nadiem menschlich einen sehr guten Draht, wir haben gemeinsam viele Dinge erlebt, die ja auch prägen. Freundin, Trennung, Schule. Da entsteht eine Beziehung ab- seits des Rasens, ein starkes Fundament. Und vielleicht gibt der Spieler am Ende der Saison doch ein paar Prozentpunkte mehr, weil er sich zurückerinnert. Auch für die Jungs ist es ein Geschäft; da steht das Ego an erster Stelle und erst dann kommt der Trainer. Aber vielleicht sagen sie sich auch: ‚Jetzt reiß‘ ich mir für den Coach noch mal den Allerwertesten auf, damit ich ihm zum Abschied ein Geschenk machen kann.‘“
Über viele Jahre gemeinsam erfolgreich bei der TSG Hoffenheim: Julian Nagelsmann und Nadiem Amiri.
„Alfred ist ein charismatischer Typ, zudem ein humorvoller Mensch, der sicherlich auch erfolgreich sein wird.“
Abschied ist das Stichwort. Inwieweit verändert sich die TSG ohne Julian Nagelsmann?
„Es soll nicht überheblich klingen: Aber man übertreibt nicht, wenn man sagt, dass ich an der Spitze stehe und der Klub auch mit mir verbunden wird. Leute wie Alexander Rosen und Dr. Peter Görlich haben mich ja auch bewusst vorn stehen lassen. Sie wollten nicht im Vordergrund stehen. Jetzt ist es an der Zeit. Sie machen einen sehr guten Job und sollten nun mehr die Lorbeeren einsammeln, als es zuletzt der Fall war.“
Und Alfred Schreuder, den Du gern in Dein Trainer-Team mit nach Leipzig genommen hättest, wird nun Dein Nachfolger.
„Ich glaube, dass ich sicher keinen leichten Übernahmezeit- punkt in Leipzig habe, aber der Übernahmezeitpunkt für Alfred ist auch nicht leicht. Er ist ein anderer Typ als ich, daher wird es nicht Eins zu Eins so weitergehen wie es jetzt ist. Das ist vielleicht sogar ganz gut. Alfred ist ein charisma- tischer Typ, zudem ein humorvoller Mensch, der sicherlich auch erfolgreich sein wird. Er hat eine andere Vita und eine andere Sprache als ich, er wird deshalb die Spieler auch anders mitnehmen. Seine Verpflichtung war ein gutes Signal, dass der Weg grundsätzlich weiter gegangen wird.“
Der Weg führte zuletzt in die Europa- und die Cham- pions League. Darf man das denn zukünftig erwarten? „Leider wird im Fußball sehr schnell vergessen, was noch vor drei Jahren war. Du kannst als Verein, wenn du wie wir nicht zu den Top 8 zählst, realistisch nicht mit dem internationa- len Geschäft planen. Geld schießt zwar keine Tore, aber es erleichtert den Erfolg.“
Was heißt das konkret?
„Wenn wir unter die ersten Zehn kommen, ist das per se erst einmal ein gutes Ergebnis für Hoffenheim. Wir sind auf einem Niveau mit sechs, sieben anderen Vereinen, die aber in den vergangenen Jahren schlechter waren als wir. Wir sind aber eben noch lange nicht auf dem Niveau von Gladbach, Lever- kusen, Schalke, Bayern oder Dortmund. Die investieren deutlich mehr als wir; deswegen kannst du mit solchen Er- folgen nicht immer planen. Es wird dann als Normalität angesehen, aber es ist auch in Jahr drei noch etwas ganz Besonderes. Es werden die Jahre kommen, in denen man nur Zehnter wird, und das ist kein schlechtes Ergebnis. Das ist im normalen Leben auch so. Wenn du einmal ein schnelles Auto hattest, willst du das immer haben. So ist es im Fußball auch. Wenn du Dritter warst, ist das normal für dich. Aber das ist es nicht für uns, kann es nicht sein.“
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