Page 92 - Spielfeld_Juli_2018
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 Herr Brand, fünf Jahre sind seit dem Spiel ver- Die Hoffenheimer Spieler kamen auf Sie zugestürmt,
gangen. Mittlerweile sind Sie Schiedsrichter in
der Bundesliga und haben viel erlebt, sind die Erinnerungen an den 18. Mai 2013 dennoch frisch? „Ich habe es noch genau vor Augen. Es war ein sehr auf- regender Spielverlauf, eine Partie mit wahnsinnig vielen interessanten Entscheidungen. Unser Team war von Beginn an sehr gefordert – und das blieb bis in die Nachspielzeit so. Zudem war es meine erste Saison als Linienrichter in der Bundesliga und meine Premiere an der Seite von Jochen Drees. Es waren schon sehr besondere Umstände.“
Die TSG hatte das Spiel gedreht, Dortmund griff in Unterzahl an, sogar Aushilfstorwart Kevin Großkreutz stürmte mit. Dann
der vermeintliche Ausgleich – und
protestierten lautstark und gestikulierten wild. Dazu der Lärmpegel im Stadion – kann es da passieren, dass man seinem ersten Eindruck plötzlich nicht mehr traut? „Ich habe mich in dem Moment nur auf das Bild der Abseits- stellung konzentriert. Ich wollte das Bild in meinem Kopf nicht mehr verlieren und habe es sozusagen eingefroren. Dann fand die Kommunikation statt und ich habe nur auf Jochen geguckt, wie er zu mir gelaufen ist. Im Nachhinein hätte ich gar nicht mehr sagen können, welche und wie viele Spieler vor mir reklamiert haben. Mir ging es nur darum, das Bild im Kopf klar beschreiben zu können. Alles andere
 –
und das ist wohl eine entscheidende Fähigkeit als Profi-Schiedsrichter – habe ich komplett ausgeblendet. Die Kommunikation ist zum
Glück super abgelaufen.“
Es war ein mutiger Schritt, in dieser Situation vor dieser Kulis- se einzugreifen. Man hätte die Szene ja auch nach dem Motto „Im Zweifel für den Angreifer“
weiterlaufen lassen können ...
„Das sind Gedankengänge, die ich als Schiedsrichter noch nie hatte. Wenn man sich davon oder von den Emo- tionen auf den Rängen leiten lässt, ist man als Schiedsrichter auf dem Holzweg. Für die Entscheidungsfindung ist es völlig uninteressant, ob 50.000 oder 80.000 Zuschauer
im Stadion brüllen, man ist viel zu konzentriert.“
Dennoch galten Sie als noch sehr jung und hatten in der Bundesliga nicht viel Erfahrung – und die Auswirkun- gen der Entscheidung waren enorm ...
„In dem Moment war mir gar nicht bewusst, dass diese Situation den Kampf um den Klassenerhalt entscheidet. Ich kannte das Ergebnis von Fortuna Düsseldorf nicht (0:3 in
Hannover; d. Red.) und wollte nur die richtige Entscheidung treffen. Die Folgen wurden mir erst klar, als ich nach dem Schlusspfiff die Reaktionen der Spieler auf dem
Rasen gesehen habe.“
Momente für die Ewigkeit: Sejad Salihovic gleicht per Elfmeter aus (l.) und trifft per
weiterem Strafstoß zum 2:1. Dann erzielt der BVB das vermeintliche 2:2, doch
Schiedsrichter-Assistent Benjamin Brand greift ein, der Treffer wird nicht anerkannt und
das Spiel endet doch noch mit grenzenlosem Hoffenheimer Jubel.
 Ihr Einschreiten. Wie haben Sie die
Szene damals wahrgenommen?
„Ich habe gesehen, dass Lewandowski
im Abseits stand und eine Bewegung
zum Ball gemacht hat. Schiedsrichter
Jochen Drees hat zum Mittelpunkt
gezeigt, da habe ich durch den Funk
gesagt: ‚Jochen, wir müssen reden!
Wir müssen reden! Wir müssen
reden!‘ Er ist dann zu mir zur Sei-
tenlinie gelaufen und ich habe ihm
gesagt, was ich gesehen habe. Für ihn
war die Abseitssituation sehr schwierig zu
beurteilen. Er konnte aber aus seiner Perspek-
tive gut einschätzen, dass Lewandowski den Torwart irritiert hatte. Ich hatte natürlich die bessere Position für die Abseitsfrage. Wir haben dann beide Wahrnehmungen übereinandergelegt und eine Entscheidung getroffen – die zum Glück richtig war. Aber wir waren uns von Beginn an auch sehr sicher.“
„Ich habe mich in
dem Moment nur auf das Bild der Abseitsstellung konzentriert. Ich wollte das Bild in meinem Kopf nicht mehr verlieren und habe es sozusagen eingefroren.“ BENJAMIN BRAND
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